Mein Freund ist super klug und sauber – aber sein Aussehen bringt mich in einen Loyalitätskonflikt. Wie ehrlich darf ich sein?
Ich (23, w) bin seit fast 3 Jahren mit meinem Freund (24) zusammen. Ich studiere Medizin, er Physik.
Ich habe mich immer eher zu Menschen aus dem MINT-Bereich hingezogen gefühlt – der „konventionelle“ Look war mir nie wichtig, eher die tiefgründigen, wissenschaftlichen Unterhaltungen die man miteinander führen kann.
Mein Freund ist ein totaler Nerd für sein Fach und sogar objektiv ziemlich attraktiv, vor allem früher – aber darum geht es mir nicht.
Er ist ein sehr kluger, achtsamer und vor allem extrem sauberer Mensch – fast schon zwanghaft, was Hygiene betrifft. Aber sein äußeres Erscheinungsbild spiegelt das garnicht mal so sehr wieder und ist mit der Zeit so chaotisch geworden, dass ich zunehmend in einen inneren Konflikt komme.
Er trägt oft unpassende Kleidung (zu kurze Hosen, zu große Shirts, seltsame Farbkombinationen), obwohl er sehr wohlhabend ist und einen vollen Kleiderschrank hat. Und vor allem: Seine Gesichtsbehaarung ist völlig ungebändigt – Monobraue, Ziegenbart, Wangenhaare, lange Koteletten, Oberlippenbart, der ihm schon mal ins Essen hing.
Durch exzessives Duschen (übermäßige Hygiene) hat er extreme Hautreizungen entwickelt, große rote und verkrustete Stellen.
Einmal durfte ich ihm den Oberlippenbart kürzen, was ihm sichtlich unangenehm war – alles andere lehnt er ab mit dem Argument: „Wenn ich was ändere, fällt’s allen auf.“ Ich habe es dann nie wieder angesprochen, denn das Argument zieht einfach nicht, wenn alle sich das Maul über sein Aussehen zerreißen, eben weil der solche Kleinigkeiten nicht pflegt.
Was mich besonders belastet: Seit Beginn der Beziehung unterdrücke ich meine Gefühle dazu. Anfangs dachte ich: „Sind halt ein paar Haare, interessiert doch keinen.“ Aber mit der Zeit häuften sich Kommentare – aus seinem Umfeld (seine Schwester, teilweise auch seine Mutter) und meinem. Sogar seine beiden engsten Freunde (die ihn seit Geburt kennen und ihn sehr schützen) fragen mich regelmäßig, ob ich nicht mal "sanft etwas wegschneiden" kann. Ich stehe immer hinter ihm, aber es ist mir inzwischen unangenehm geworden. Fremde starren uns auf der Straße oft mit Abwertung hinterher – und auch wenn er immer betont, dass ihm das egal ist, macht er selbst oft sarkastische Witze über sein Aussehen: „die denken bestimmt ich bin reich, sonst würdest du nicht mit mir ausgehen“.
Als neulich eine gemeinsame Freundin ganz sachlich äußerte, dass seine Monobraue „nicht schön und unattraktiv“ sei (in seiner Abwesenheit), war er richtig betroffen – das hat mich ehrlich überrascht. Er sagt zwar, dass ihn Meinungen nicht interessieren, aber seine Reaktionen zeigen oft das Gegenteil.
Was mich zusätzlich reizt: Er äußert sich manchmal abfällig über das Aussehen anderer (z. B. von Informatikern oder Kommilitonen), dabei leistet er sich selbst den größten Stilbruch. Diese Widersprüchlichkeit verletzt mich – weil ich denke: Wie kannst du dich über andere lustig machen, aber meine Rückmeldungen zu dir nie ernst nehmen?
Und was ich hier ehrlich sagen muss, auch wenn es schwerfällt:
Ich finde seinen Look inzwischen selbst immer unattraktiver. Ich liebe ihn, aber ich merke, dass meine körperliche Erregung leidet – ich habe oft keine Lust mehr auf Intimität, befriedige ihn aber trotzdem regelmäßig, damit er nicht frustriert oder traurig ist. Meine eigenen Bedürfnisse kommen dadurch immer mehr zu kurz. Und das alles während er sich bei mir durchaus traut, mal einen anderen Look oder mehr Styling einzufordern.
Ich liebe ihn. Aber es wird immer schwerer, ehrlich zu bleiben, ohne ihn zu verletzen. Er scheint evtl. auf dem Autismus-Spektrum zu sein (ohne Diagnose), was vieles erklären würde – seinen Rückzug & seine Sturheit. Ich möchte ihn nicht verändern, aber ich möchte mich auch nicht schämen müssen, ihn zu lieben.
Manchmal fragt er mich auch, ob ich mich für ihn schäme, wenn ich mit ihm in der Stadt unterwegs bin, ich antworte immer nein, aber nur, weil ich weiß, dass es ihn nur verletzt und er nichts, absolut nichts an seinem Aussehen verändern würde.
Er fragt aber die Antwort hatte und hat nie eine ernsthafte Konsequenz, wobei ich mittlerweile seinen Oberlippen Bart immer stutzen darf, wenn dieser zu lang wird. Das aber eher aus pragmatischen Motivationen (seine Barthaare schmecken ihm nicht).
Was kann ich tun? Wie ehrlich darf man sein in einer Beziehung, wenn das äußere Erscheinungsbild belastet – ohne dass es um Eitelkeit geht? Und: Wie gehe ich mit dem Fremdscham-Gefühl und dem sexuellen Rückzug um, die ich gar nicht haben will, aber doch spüre?
Danke für jede respektvolle Antwort 🙏