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Anti-Merz-Graffiti im Sauerland: Was die illegale Durchsuchung bei einer Juso-Politikerin mit der Kanzlergattin zu tun hat

Die Polizisten hätten gegen 6:15 Uhr geklingelt, sagt Nela Kruschinski, Juso-Vorsitzende im Kreis Menden im Sauerland. Ausgerechnet am 1. April dieses Jahres. Doch ein Scherz war das nicht.

Ihr Vater habe den Beamten die Tür geöffnet. »Ich fragte mich: Wer ist das da unten? Im Flur sah ich dann fünf Beamte mit schusssicheren Westen.« Die hätten ihr einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Arnsberg gezeigt und erklärt, warum sie gekommen seien: wegen mehrerer Graffiti gegen den heutigen CDU-Kanzler Friedrich Merz, unter anderem am Bürger- und Schützenheim in Kruschinskis Heimatstadt Menden. Der strafrechtliche Vorwurf gegen die junge Frau: gemeinschädliche Sachbeschädigung.

Inzwischen ist klar: Der Durchsuchungsbeschluss war rechtswidrig. Das hat eine Große Jugendkammer des Landgerichts Arnsberg jüngst festgestellt, auf Beschwerde von Kruschinskis Anwalt hin. Und zwar mit deutlichen Worten. Die Gerichtsbeschlüsse liegen dem SPIEGEL vor.

Kommunalwahlen stehen bevor

Nach einem Bericht des WDR ist der Fall nun zum Politikum geworden, kurz vor den NRW-Kommunalwahlen am kommenden Sonntag. Jochen Ott, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Düsseldorfer Landtag, spricht von einem »Hammer«, der »mit parlamentarischen Mitteln aufzuklären« sei.

Der Vorwurf hat mit der Rolle eines Kriminalhauptkommissars in diesem Fall zu tun, Wolfgang E., er ist Mitglied der CDU; und mit der Direktorin des Amtsgerichts Arnsberg, das die illegale Durchsuchung anordnete: Das ist Charlotte Merz, die Frau des Kanzlers. Seit 1994 arbeitet sie in Arnsberg als Richterin.

Die Merzens

Der Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer sagte dem SPIEGEL: »Es wirkt, als ob der Rechtsstaat zum CDU-Inside-Job wird, wenn es darum geht, eine junge Juso-Aktivistin zu schikanieren, deren politische Haltung einem nicht passt.«

Auftritt im Sauerland

Am 26. Januar, mitten im Bundestagswahlkampf, trat der damalige Kanzlerkandidat Merz mit seiner Frau im Bürger- und Schützenheim in Menden auf. Zwei Tage zuvor hatte er angekündigt, Anträge zur Migrationspolitik in den Bundestag einzubringen, »unabhängig davon, wer ihnen zustimmt«. In der Nacht vor dem Auftritt wurde das Gebäude beschmiert: »Merz aufs Maul!«, stand dort, »Geh weg, Fascho-Fritz« und »Nie wieder CDU!«, dazu eine schwarz-rote Antifa-Flagge.

Bald darauf verdächtigte die Kriminalinspektion Staatschutz des zuständigen Polizeipräsidiums Hagen die Juso-Frau Kruschinski, damals 17, für die Graffiti verantwortlich zu sein. Die Beamten, so erzählt es Kruschinski heute, durchsuchten ihr Zimmer, konfiszierten Handy und Tablet.

Zudem habe sie in Begleitung ihres Vaters auf die Wache kommen müssen, wo ihre Aussage aufgenommen und ihr Fingerabdrücke abgenommen worden seien. »Das war natürlich erstmal ein großer Schock«, sagt Kruschinski. »Große Angst hatte ich aber nicht. Ich wusste ja, dass ich es nicht war.«

Zwar habe sie vor dem Schützenheim gegen Merz' Auftritt demonstriert, sagt Kruschinski, mit den Schmierereien habe sie allerdings nichts zu tun gehabt.

Der Durchsuchungsbeschluss, der Ende Februar erging, stützte sich lediglich auf die Aussage einer Zeugin, die in der Tatnacht zwei junge Erwachsene in der Nähe des Schützenheims gesehen haben wollte, eine Frau und einen Mann. Dazu kam ein anonymer Hinweis an die Polizei, man solle gegen Kruschinski und einen Bekannten von ihr ermitteln.

Dass Kruschinski Juso-Mitglied ist und in der Nähe des Tatorts bei ihren Eltern wohnt, reichte dann dem zuständigen Richter des Amtsgerichts, einem Richter auf Probe, für den notwendigen Tatverdacht und den Durchsuchungsbeschluss.

Klatsche vom Landgericht

Diese Zeugenaussage bewertete das Landgericht nun als »zur Personifizierung von Beschuldigten ersichtlich nicht geeignet«, und der anonyme Hinweis habe »keinerlei sachliche Qualität«. Auch dass Kruschinski der Jugendorganisation einer konkurrierenden Partei angehöre »rechtfertigt in keiner Weise die Annahme«, sie würde deshalb Straftaten begehen.

Was das Landgericht darüber hinaus anprangerte: Weder ein mündlicher noch ein schriftlicher Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine Durchsuchung sei in den Akten dokumentiert. Sich insoweit nur auf Angaben der Polizei zu stützen, sei »rechtsstaatlich bedenklich«.

Eine Durchsuchung muss eigentlich von der Staatsanwaltschaft beantragt werden. Auf Anfrage des SPIEGEL teilte die Polizei mit, der zuständige Staatsanwalt habe dem ermittelnden Polizisten am Telefon erklärt, einen Antrag stellen zu wollen. Diese Absicht habe der Polizist dann »verschriftlicht« und an das Amtsgericht Arnsberg versandt.

Für den Düsseldorfer Strafrechtsprofessor Till Zimmermann ist klar: »Der Ermittlungsrichter muss sich vergewissern, dass der Antrag vom Staatsanwalt kommt.« Anders wäre es nur bei Gefahr im Verzug, aber das scheide hier aus. Schließlich waren seit der Tat Wochen verstrichen.

Kruschinski nahm sich den SPD-Abgeordneten und früheren nordrhein-westfälischen Justizminister Thomas Kutschaty als Anwalt.

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