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Mein 16-jähriger Cousin aus Österreich hat mir dieses Essay geschickt?

Wie findet ihr es? Was soll ich ihm für eine Rückmeldung geben?

Oft habe ich den Eindruck, dass die Gesellschaft – und in meinem Fall konkret die Schule – über mich herrscht. Ich möchte daher in folgendem Essay versuchen, diese Aussage sachlich und nüchtern zu betrachten.

Theoretisch ja, praktisch nein.

Rein theoretisch bin ich ein eigenständiger, selbstdenkender Mensch. Niemand kann meine Gedankengänge nachvollziehen, niemand besitzt diese Fähigkeit. Niemand kann mich absolut zu etwas zwingen. In diesem Sinn bin ich ein Individuum. Und doch: Die Schule macht mich oft unglücklich. Ich habe nicht vor, alles hinzuschmeißen, aber ich erkenne, dass ich immerhin Macht darüber habe, wie ich meine Freizeit gestalte – und diese konzipiere ich so, dass sie mich erfüllt und mir das Gefühl vermittelt, zu leben.

Institutionen wie die Schule existieren, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Ohne solche übergeordneten Mächte, die das Handeln der Menschen lenken, wären wir bei weitem nicht auf dem gesellschaftlichen Niveau, das wir aus der gegenwärtigen Epoche gewohnt sind. Die meisten Menschen brauchen dieses System, das ihnen Sicherheit gibt. Für weitblickende und reflektierte Menschen – zu denen ich mich zähle – ist es jedoch schwierig, sich darin einzuleben. Wir hinterfragen, was schiefläuft, und entlarven vieles, das auf den ersten Blick fair wirkt, sich jedoch als reine Ungerechtigkeit herausstellt.

Österreichs Demographie zählt heute rund neun Millionen Menschen, was einen neuen Rekord darstellt. Angesichts dieser Dimension braucht es ein System, das alles in geordneten Bahnen lenkt. Andernfalls drohte ein massiver Kollaps. Meine ursprüngliche Ansicht, ich sei ein freies, unabhängiges Individuum, muss ich daher revidieren: Als österreichischer Staatsbürger habe ich keine vollständige Macht über mich selbst. Im apokalyptischsten Ernstfall – Krieg – könnte ich nicht einmal über meine eigene Existenz bestimmen. In solchen Extremsituationen existiert keine Struktur mehr, die sich auf heutige Pflichten, wie Steuern zahlen beruft. Stattdessen herrscht Chaos – und dennoch bliebe mir die Selbstbestimmung verwehrt.

Die wenigsten Menschen stellen sich diese Fragen. Doch im Grunde ist das System nicht fair, und niemand ist wirklich ein Individuum – auch wenn man uns das im Kindesalter versucht, einzutrichtern. Ganz ehrlich: Bis dato habe ich keine Lösung für diese Aporie gefunden. Vielleicht würde man, wenn man die Mühe aufbringt, die komplexen Gesellschaftsstrukturen sukzessive zu analysieren, im Laufe der Zeit Ideen kreieren, die erste Wege aus diesem scheinbaren Macht-Labyrinth eröffnen.

Angst, Menschen, Politik, Gesellschaft