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Wie beurteilt ihr den Eklat bei BVerfG-Richter-Wahl?

BVerfG-Richterwahl: Am Freitag wurde die geplante Wahl der nominierten drei BVerfG-Richter:innen Günter Spinner, Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold während der Sitzung wieder von der Tagesordnung genommen. Zuvor hatte sich abgezeichnet, dass Dutzende Abgeordnete der CDU/CSU nicht bereit sind, Brosius-Gersdorf zu wählen, weil sie sie für zu links halten. Die CDU/CSU beantragte dann aber die Absetzung der Wahl Brosius-Gersdorfs unter Berufung auf BVerfG-Richterwahl: Am Freitag wurde die geplante Wahl der nominierten drei BVerfG-Richter:innen Günter Spinner, Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold während der Sitzung wieder von der Tagesordnung genommen. Zuvor hatte sich abgezeichnet, dass Dutzende Abgeordnete der CDU/CSU nicht bereit sind, Brosius-Gersdorf zu wählen, weil sie sie für zu links halten. Die CDU/CSU beantragte dann aber die Absetzung der Wahl Brosius-Gersdorfs unter Berufung auf Recherchen des Plagiatjägers Stefan Weber. SPD und Grüne bestanden darauf, dass an diesem Tag gar keine BVerfG-Richterwahlen stattfinden. Sa-FAZ (Stephan Klenner), Sa-taz (Christian Rath), Welt (Ricarda Breyton), tagesschau.de (Kolja Schwartz), spiegel.de (Dietmar Hipp u.a.), bild.de und LTO schildern die Vorgänge. Die SPD hält an Brosius-Gersdorf fest und bietet Gespräche der Kandidatin mit der CDU/CSU-Fraktion an. Die Rechtsprofessorin sei "in der Fachwelt absolut anerkannt", so SPD-Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch. Die Grünen forderten eine Sondersitzung des Bundestags in der anstehenden Woche. Bundestags-Präsidentin Julia Klöckner (CDU) stellte einen neuen Anlauf aber erst nach der Sommerpause, ab dem 10. September, in Aussicht. Bis zur Ernennung von Nachfolger:innen bleiben die ausscheidenden Richterinnen und Richter geschäftsführend im Amt. Mo-SZ (Detlef Esslinger/Wolfgang Janisch u.a.) und Mo-taz (Luisa Faust) berichten.

https://www.lto.de/recht/presseschau/p/2025-07-14-eklat-bverfg-richterwahl-urteil-vergewaltigung-entfuehrung-block

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„Wir sind doch nicht in Amerika – Zur Realität der Richterwahl in Deutschland“

Die Aufregung ist groß – mal wieder. Diesmal geht es um die Wahl von Frau Dr. Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht. Kritiker aus Politik, Medien und sozialen Netzwerken werfen ihr vor, als frühere Gutachterin und Professorin eine persönliche Haltung etwa zum Thema Schwangerschaftsabbruch vertreten zu haben, die als ideologisch gefärbt oder einseitig interpretiert wird. Was hier jedoch auffällt, ist weniger der Inhalt der Debatte, sondern ihre Emotionalisierung. Denn eines scheint in der allgemeinen Erregung in Vergessenheit zu geraten: Wir sind nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Dort, im US-Supreme-Court, ist die Ernennung eines Richters eine politische Großveranstaltung, ein ideologischer Stellvertreterkrieg zwischen Republikanern und Demokraten. Die Richterinnen und Richter des Supreme Courts sitzen in der Regel auf Lebenszeit, und ihre Urteile können ganze Gesellschaften prägen – siehe Roe v. Wade oder Dobbs v. Jackson. Die politische Motivation bei der Besetzung ist dort offen gewollt und systemisch verankert. Nicht so in Deutschland.

Hier gilt: Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht werden für längstens zwölf Jahre gewählt – ohne Möglichkeit der Wiederwahl. Die Auswahl erfolgt nicht durch einen Präsidenten, sondern durch die beiden Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat, wobei jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Diese Hürde zwingt zu parteiübergreifender Verständigung und verhindert in der Regel extreme oder rein parteipolitische Nominierungen.

Zudem: Ein einzelner Verfassungsrichter kann nicht eigenmächtig handeln. Anders als in manchen medialen Darstellungen sitzen am Bundesverfassungsgericht keine neun „Supreme Lords of Law“, sondern acht Richter pro Senat, die gemeinsam entscheiden – im Kollegialprinzip. Es braucht eine Mehrheit, oft sogar qualifizierte Mehrheiten bei bestimmten Verfahren. Und insbesondere in Verfahren der Verfassungsbeschwerde, mit denen sich Frau Dr. Brosius-Gersdorf künftig schwerpunktmäßig befassen wird, ist der Spielraum ohnehin stark begrenzt: Hier geht es darum, ob geltendes Recht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das ist keine politische Agenda, sondern ein juristischer Prüfauftrag.

Die Diskussion über die Haltung von Frau Brosius-Gersdorf zum Thema Abtreibung etwa verkennt zudem, dass die Rechtslage in Deutschland durch § 218 StGB und die dazugehörige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig geregelt ist. Diese kann eine Verfassungsrichterin nicht einfach „kippen“ – selbst wenn sie wollte. Vielmehr müsste erst ein konkretes Gesetz verabschiedet, dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt und diese dann unter juristischen Gesichtspunkten geprüft werden. Persönliche Überzeugungen sind hier zweitrangig, der Maßstab bleibt das Grundgesetz.

Das bedeutet nicht, dass Kritik grundsätzlich unzulässig ist. Gerade in einem demokratischen Gemeinwesen muss auch die Auswahl von Verfassungsrichterinnen und -richtern öffentlich diskutiert werden dürfen. Aber die Form und Heftigkeit der aktuellen Debatte sind überzogen und gehen am Wesentlichen vorbei. Frau Dr. Brosius-Gersdorf ist eine anerkannte Staatsrechtlerin, sie hat sich in Wissenschaft und Praxis bewährt – und selbst wenn manche ihrer Positionen streitbar erscheinen, ist genau das der Sinn eines Pluralismus im Gerichtswesen: unterschiedliche Perspektiven unter einem gemeinsamen Verfassungsrahmen.

Wer also behauptet, mit ihrer Wahl sei unsere Verfassung in Gefahr, der ignoriert nicht nur die institutionellen Sicherungen unseres Rechtsstaats, sondern betreibt auch unnötige Panikmache. Wer glaubt, eine Richterin könne allein das Land „nach rechts“ oder „nach links“ kippen, der denkt in den Kategorien Washingtons – nicht Karlsruhe.

Und das sollten wir uns als Demokratie nicht angewöhnen.

Denn: Wir sind nicht in Amerika. Und das ist auch gut so.

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CDU, Demokratie, Verfassung

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