Charakter-Perspektive: Dezon
Elyon nennt mich Dezon. Nur er kennt meinen Namen noch und nur er ist noch für mich da. Doch Elyon kommt erst morgen – und solange muss ich alleine trauern. Um meine Familie, meine Freunde, meine einstige Heimat – wie sie alle unter den Trümmern Kofurs begraben liegen. Hunderte Kilometer weit weg - und doch nicht mehr da. Das Elyon überlebt hat, weiß ich ziemlich sicher und es spendet zumindest ein wenig Trost. Schon seit Kindheitstagen waren wir beste Freunde – und nun kommt er nach Letzy, um hier zu wohnen.
Doch mit der Trauer mischt sich auch Reue, Neid und Wut. Reue darüber, dass ich mich von niemanden verabschieden konnte. Nicht von meiner Mutter, meinem Vater oder sonst irgendwen. Und der letzte Besuch war schon Monate her… Damals als meine Welt noch heil und in Ordnung war. Wut dagegen verspüre ich gegen die Menschen. Denn nur sie und ihre unstillbare Habgier sind daran schuld, dass dieser Steinrutsch überhaupt ausgelöst wurde und sie sind schuld an dem Tod aller, die ich kannte. Und dann ist da noch der Neid. Der Neid auf Elyon. Ich weiß das Neid das letzte ist was ich in so einer Situation fühlen sollte – und doch ist er da. Warum? Weil Elyon sich bei seinem Abschied aus Kofur darüber im Klaren war, dass er alle, die er dort kannte, vermutlich nie wiedersehen würde. Er hatte mit seinem Leben dort abgeschlossen und verabschiedete sich, als wären sie alle schon Tod. Während mich die Trauer zerbricht und von innen langsam auffrisst, wird sie bei ihm vorüber gehen – und das ist auch gut so.
Ich hingegen werde mich nie erholen können.
Ich habe mit meinem Leben abgeschlossen – kann den Tod schon fast sehen.
Und trotzdem bin ich noch hier.
Warum?
Für Elyon.
Denn wenn ich gehe, wer ist dann für ihn da?
Ganz genau. Niemand.
Ich denke, dass er mich jetzt mehr braucht als je zuvor.
Und um zu bleiben, brauche ich ihn.
Außerdem spüre ich das etwas in der Luft liegt, das nichts mit der Trauer, um Kofur oder die Opfer zu tun hat. In den letzten Tagen ist die Stadt voller. Mehr Menschen sind unterwegs und wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich wie zu tausenden Waren aller Art nach Süden aus der Stadt durch die steilen Berghänge transportiert werden. Wohin -weiß ich nicht. Es herrscht eine Art Aufbruchsstimmung und mein Gefühl sagt mir, dass ich abwarten soll.
Elyon wird meine Hilfe brauchen. Das weiß ich. Und ich werde da sein. Ich würde für ihn alles tun – sogar mein Leben geben, denn seins ist mehr wert. Er kann geheilt werden – ich werde unweigerlich an meiner Trauer zugrunde gehen.
Wenn nötig werde ich meine letzte Kraft aufbringen, um ihn zu schützen. Dies ist meine große Stärke – die Loyalität und die mentale Stärke trotz aller Verluste weiterzumachen.
Für Elyon.