Was können christliche Kirchen gegen den Mitgliederschwund tun?

30 Antworten

Das Problem ist viel tiefer als nur Missbrauchsskandale, Kirchensteuer oder moralische Fragen (so wichtig und berechtigt diese Kritikpunkte auch sind). Der Kern des Problems ist: Die Kirchen haben es über Jahrzehnte versäumt, den Menschen verständlich und erlebbar zu machen, worum es im Christsein überhaupt geht.

Viele erleben die Kirche als Institution, als moralische Instanz, als Traditionsverein – aber nicht als Raum echter Begegnung mit Gott.

Doch genau das ist der Ursprung der christlichen Botschaft:

  • Nicht Regeln befolgen, sondern Beziehung leben.
  • Nicht Moral verkünden, sondern Liebe leben.
  • Nicht Angst vor Strafe, sondern Wandlung des Herzens durch die Nähe zu Gott.
  • Nicht im Ego („Ich muss leisten, um wertvoll zu sein“), sondern im Sein („Ich bin geliebt und verbunden, weil ich bin“).

Jesus hat keine Religion gegründet, sondern Menschen eingeladen, wieder mit Gott verbunden zu sein. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21) – es ist nicht irgendwo da draußen, nicht an Regeln gebunden, sondern beginnt im Herzen des Menschen, jetzt, in diesem Moment.

Die Kirchen könnten den Mitgliederschwund dann wirklich aufhalten, wenn sie:

  • Missstände konsequent und ehrlich aufarbeiten (Missbrauch, Machtstrukturen, fehlende Glaubwürdigkeit).
  • Die Sakramente nicht als „Mechanik“ lehren (Ja ist auch nicht die Intention der kath. Kirche, aber viele Geistige bringen es nur als mechanisches Ritual rüber, „Du bist halt getauft, ich schütte dir Wasser drüber dann bist du Christ - überspitzt dargestellt aber teilweise ist es nicht anders“), sondern als geistliche Wegbegleiter, die helfen, diese innere Beziehung zu vertiefen.
  • Das Evangelium nicht als Regelbuch verkünden, sondern als Einladung zur Wandlung und Befreiung vom Ego.
  • („Lass bei allem, was du tust, die Liebe entscheiden, nicht das Ego.“)
  • Die Früchte des Geistes (Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung – Gal 5,22) nicht nur lehren, sondern selbst leben und ausstrahlen.

Denn das ist es, wonach sich viele Menschen – gerade auch die, die aus der Kirche austreten – insgeheim sehnen: Echtheit. Wahrheit. Innerer Frieden. Ein tieferer Sinn, der nicht auf Leistung, Vergleich oder Angst beruht.

Solange Kirche das nicht authentisch vermitteln kann und selbst oft nur „Namenschristentum“ lebt („weil man es halt so macht“), wird sie immer weniger Menschen erreichen – vor allem in einer Zeit, in der Menschen Fragen stellen und sich mit bloßen Antworten wie „weil es Tradition ist“ nicht mehr abspeisen lassen.

Die Kirchen müssten sich also selbst wieder auf das Wesentliche rückbesinnen:

Nicht „was müssen wir ändern, um Leute zu halten?“, sondern:

„Leben wir das, was Jesus wirklich gelehrt hat?“

Wenn diese Frage ehrlich gestellt und beantwortet wird, könnte Kirche wieder glaubwürdig werden. Nicht als Machtinstitution, sondern als geistliche Heimat für Suchende.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es natürlich auch heute viele Priester, Seelsorger und geistliche Menschen gibt, die – soweit ich das beurteilen kann – diesem eigentlichen Auftrag ehrlich und authentisch gerecht werden. Menschen, die versuchen, wirklich Herz zu Herz zu sprechen, die die Beziehung zu Gott in den Mittelpunkt stellen und nicht bloß ein Regelwerk verwalten.

Aber leider erlebe ich (und viele andere) eben auch das Gegenteil: eine Kirche, die häufig an verkrusteten Strukturen festhängt, die das Eigentliche – die innere Wandlung, das Leben im Geist, die Freiheit im Sein – entweder nicht vermitteln kann oder selbst nicht mehr wirklich lebt - ein Unglauben in der Kirche selbst

Und das ist auch irgendwo nachvollziehbar:

Diese Strukturen sind historisch gewachsen, sie lassen sich nicht einfach von heute auf morgen „umkrempeln“. Auch viele Geistliche sind ja selbst Teil dieses Systems, auch sie tragen Verletzungen, Prägungen, auch sie sind Suchende. Vieles können sie vielleicht nur im kleinen Kreis ihrer Gemeinde oder in persönlicher Begleitung wirklich bewirken.

Nicht einmal ein Papst kann das allein grundlegend verändern – weil es eben nicht um einzelne Köpfe geht, sondern um eine tiefe geistige Ausrichtung, einen Kulturwandel.

Aber genau darin liegt auch die Chance:

Jeder, der diesen Weg selbst geht – ob Laie oder Priester –, trägt etwas bei zu dieser Erneuerung. Nicht durch „bessere Programme“ oder Marketing, sondern durch das eigene Zeugnis: durch Sein, durch Liebe, durch Präsenz, durch den Mut, ehrlich zu leben, was Jesus gelehrt hat.


wolfruprecht  27.04.2025, 21:13

Das ist das Beste, das ich bisher in GF zu diesem Thema gelesen habe. Genau darum geht es!

Unser Sohn ist gerade mit seiner indonesischen Frau in Jakarta. Unser Schwiegertochter hat ein Bild der Kirche geschickt und schrieb dazu: Jeden Sonntag sind in dieser Kirche 5 hl. Messen und jedesmal ist die Kirche voll, und zwar ganz voll, immer. Und das in einem Land mit 87% Muslimen und gerade mal 3% Katholiken. Die Botschaft Jesu wird dort nicht nur verkündet, sie wird gelebt.

bablbrabl123  27.04.2025, 21:41
@wolfruprecht

Das freut mich sehr zu hören – und es zeigt genau, worum es geht:

Wenn die Botschaft echt ist, wenn sie gelebt wird, braucht es kein Marketing. Dann berührt sie Herzen, ganz von selbst.

Denn das Evangelium ist keine Theorie – es ist gelebte Wahrheit, Liebe, Beziehung.

Wo das sichtbar wird, da wächst Leben. Danke für das schöne Beispiel!

Die Wahrheit - das was Ist, der "Ich bin" steht für sich selbst und muss eben auch nicht verteidigt werden. LG

Ihre mittelalterlichen Moralvorstellungen und Kindesmissbrauch einstellen... beispielsweise.


MarcoNo2211  12.05.2025, 20:00

Sind sie denn gläubig? Welche moralvorstellungen finden die Leute so veraltet, ich hab das nie verstanden

Kinder, Jugendliche und junge Familien durch bedarfsorientierte Angebote besser an sich binden. Und vor allem: sich bei der religiösen Erziehung der Jugend nicht mehr auf den schulischen Religionsunterricht verlassen, sondern selber tätig werden nach dem Vorbild der Christenlehre in den östlichen Landeskirchen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich habe Religionspädagogik studiert.

Ich fände es wichtig, dass die Kirche sich auf ihre Kernthemen besinnt: Die Verkündigung des Evangeliums und praktizierte Nächstenliebe.

Warum sollte man in einer Kirche sein, wenn man nicht an Gott glaubt?

Die Abschaffung der Kirchensteuer wäre wohl am effektivsten.

LG.