Naja, Geschichte ist ja im Gegensatz zur bloßen Historie immer auch gedeutete Geschichte. Welche Nationen waren in den letzten Jahrhunderten federführend in der Geschichtsschreibung? Das war vorallem Großbritannien und später dann auch die USA. Beide Länder sind sehr evangelisch bzw. anglikanisch geprägt. Aus protestantischer Sicht war die Reformation durch Luther natürlich ein Befreiungsschlag gegenüber der Kirche.
Allein die Tatsache, dass die Reformation den Beginn der "Neuzeit" markiert, macht ja deutlich, dass dies eine Deutung aus evangelischer Sicht ist. Vorher das dunkle Mittelalter und durch die Reformation dann ein neues Zeitalter.
Dabei war "das Mittelalter" ja durchaus sehr unterschiedlich. Es gab unter den einfachen Menschen mit Sicherheit auch viel Wunderglaube, wie alte Wallfahrten bezeugen. Aber es gab auch große Gelehrte wie Thomas von Aquin oder Meister Eckhard.
Bei der Darstellung des Mittelalters gibt es dabei oft zwei Tendenzen: Entweder man klammert die Kirche total aus und fokussiert sich auf Ritterburgen oder man zeigt die Kirche als alles beherrschende Machtinstitution. Mit der gelebten Spiritualität der Menschen beschäftigt man sich dagegen wenig, obwohl es da viele Anhaltspunkte geben würde. Auch die Entstehung des modernen Gesundheitswesens, etwa durch den Malteserorden, wird in Berichten über das Mittelalter selten thematisiert.
Unser heutiges Bild vom Mittelalter ist sehr verfremdet. Im negativen Sinne durch die Aufklärung, die das Mittelalter bewusst düster zeichnete, um das Licht der Aufklärung heller strahlen zu lassen. Im positiven Sinne von der Romantik, die das Mittelalter sehr verklärte und sich zahlreiche Sagen ausdachte, man denke da z.B. an die Rheinromantik, das Kyffhäuser-Denkmal oder an die Stücke von Wagner. Die meisten Menschen sind von einer dieser Verfremdungen geprägt.
Wahrscheinlich auch, weil das Mittelalter oft so wenig greifbar ist. Aus der Barockzeit haben wir z.B. wesentlich mehr Dokumente und Erinnerungsstücke.