Meinung des Tages: Versorgungslücke in der Kinderpsychotherapie – Systemfehler oder Einzelfälle?

47 Antworten

"In Deutschland ist die Anzahl von Kassensitzen von Ärzten und Psychotherapeuten, die über die gesetzliche Krankenkasse abrechnen können, begrenzt."

Schon schade sowas lesen zu müssen. Bedürftige sollten nicht so lange auf freie Plätze oder überhaupt Hilfe warten. Mit Geld geht alles schneller, leider, und das sollte sich ändern.


MichaelStumpf  18.06.2025, 22:20

Eine Privatpraxis darf ich als fertig ausgebildeter Psychotherapeut jederzeit aufmachen. Damit darf ich aber nur mit den Privaten KK abrechnen. Die Abrechnung von gesetzlich Versicherten ("Kostenerstattungsverfahren") ist bürokratisch und eine Zumutung!
Um mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu dürfen, benötige ich einen Kassensitz. Dieser kostet je nach Region bis zu 200.000 €, obwohl er -gesetzlich gesehen- gar kein Geld kosten darf (!). Hinzu kommt, dass wir von den gesetzlichen Krankenkassen schlechter bezahlt werden und höhere AUflagen erfüllen müssen (z.B. Anschluß an die Telematikinfrastruktur, welche im Monat ca. 250 € kostet).
...und jetzt überlegt mal alle, warum es für gesetzlich Versicherte so schwer sein könnte...
Ich selbst bin aus Solidarität gerne weiterhin gesetzlich versichert. Auch wenn es mich jeden Monat sehr viel Geld kostet.

Dieses Problem gibt es ja nicht nur bei den Kindern, sondern zieht sich durch alle Altersstufen. Auch Erwachsene müssen teilweise fast ein Jahr warten, bis sie eine ambulante Psychotherapie antreten können. Ich denke eher weniger, dass es grundsätzlich zu wenig Therapeuten gibt (fast alle staatlichen Unis in Deutschland haben einen NC von nahezu 1,0 weil die Studiengänge seit vielen Jahren überfüllt sind), aber die bürokratischen Hürden eine eigene Praxis anzumelden und zu betreiben, sind sehr hoch. Hinzu kommt noch die extrem lange Zeit, bis zur Approbation.

Der normale Weg wäre, einen Bachelor und Master in Vollzeit zu machen. Wenn man durchstudiert, sind das schon mal mindestens allein schon 5 Jahre. Zeit, in der man kein Geld verdient und ggf. von Bafög leben muss. Anschließend muss man mindestens ein weiteres Jahr als "Praktikant" zur Psychotherapeutenausbildung ableisten, in welchem man zwar auch nahezu Vollzeit arbeiten muss, aber oft nur 1000€ verdient (sogar das wurde erst kürzlich gesetzlich verankert - davor bekamen die Praktikanten oft überhaupt nichts an Geld sondern allenfalls nur einen Gutschein für ein Mittagessen in der Einrichtung). Man selbst kann keine Leistungen abrechnen, arbeitet aber ganz normal mit. Das kostet dem jeweiligen Haus Geld und Zeit. Viele müssen noch einen Nebenjob auch noch machen um überhaupt über die Runden zu kommen. Danach kann man seine Approbation beantragen und dann steht man letztlich da, wie jemand der eine Ausbildung abgeschlossen hat - ganz unten in der Karriereleiter in einer neuen Klinik oder man bereitet sich auf die Selbstständigkeit vor. Wenn man das nicht von Anfang bis Ende pausenlos durchzieht, kann man da schon für ungefähr insgesamt 10 Jahre rechnen. 10 Jahre studieren, arbeiten und das quasi für ohne Geld. Wenn man dann arbeitet, muss man dann erstmal auch sein Bafög und die ganzen Auslagen abzahlen. Das können, je nachdem, bis zu 200.000€ im Laufe der 10 Jahre werden - an Gebühren, Semestergebühren, Prüfungsgebühren, Approbationsgebühr... Wie lange muss man arbeiten um das wieder rein zu bekommen? Alles sehr, sehr unlukrativ.

Wieviele Menschen das wohl durchziehen? Mit 19 Jahren nach dem Abitur studieren um dann mit ca. 29 Jahren mal "anzufangen" als verschuldeter psychologischer Psychotherapeut zu arbeiten?

Auch die Bedarfsplanung ist seit Jahren absolut unrealistisch. Ich arbeite mittlerweile fast 15 Jahre in diesem Bereich und ich kenne keinen einzigen Fall (!), der zeitnah einen regulären Therapieplatz ambulant bekommen hätte. Die Rede ist von z.B. Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie oder Traumatherapie (das, was helfen würde). Nicht irgendwelche stützenden Gespräche auf Zeit oder eine übergangsweise Betreuung durch eine Institutsambulanz. Die schnellsten Plätze bekommt man meistens nur bei Instituten, die Psychotherapeuten in Ausbildung betreuen, damit die schnell ihre Pflichtstunden für die Approbation beisammen haben. Aber das sind ja auch noch keine fertigen Psychotherapeuten.

Eine Vereinfachung des Systems und eine angemessene Bedarfsplanung wären sicher hilfreich!

Was auch noch oft dazu kommt sind Patienten, die eigentlich überhaupt nicht für eine Psychotherapie geeignet sind. Viele Menschen melden sich für irgendeinen Therapeuten an ohne überhaupt zu wissen, was für Verfahren er anbietet und ob diese Verfahren überhaupt geeignet wären. Dadurch gehen viele Ressourcen auf sinnlose Vorgespräche verloren. Viele Patienten sind nicht richtig informiert, wissen gar nicht was es bedeutet, eine Psychotherapie zu machen. Es ist keine "Lebensberatung", wo man 2-3x hin geht und es ist alles wieder gut. Ebenso ist es ein Irrtum zu denken "der Therapeut macht das dann schon dass es passt". Hier bin ich froh, dass ich zumindest meine Patienten auf eine Traumatherapie vorbereiten kann und mit ihnen gemeinsam drauf hinarbeite. Manche Leute haben auch überhaupt keine Lust auf eine Psychotherapie und werden von Angehörigen genötigt, einen Termin auszumachen, was dann natürlich auch keinen Effekt hat. Die meisten Therapeuten melden sich nicht mal mehr, wenn nicht der Patient selbst anruft, sondern ein Angehöriger des Patienten. Es ist hier im Lande einfacher einen Arbeitsplatz zu finden, als überhaupt einen Therapeuten, der einen nehmen würde und man die "Vorauswahl" schafft.

Bei den Psychiatern (Ärzten) sieht es etwas besser aus, aber im Endeffekt hat auch niemand mehr von denen Zeit, gemeinsam mit Patienten herauszuarbeiten ob und welche Psychotherapie geeignet wäre und sie in die Materie einzuführen. Meistens stehen die Patienten alleine da, mit ihrer Überweisung zu "ambulante Psychotherapie". Und dann macht hald jeder das, was er meint.

Auch die Krankenkassen müssen das doch merken. Manche Krankenkassen bieten einen "Terminservice" für sämtliche Fachrichtungen an in welchen versprochen wird, dass man IMMER binnen 2 Wochen einen Termin bei einem Facharzt bekommt. Komischerweise sind davon Psychiater und auch Psychotherapeuten ausgeschlossen. Manchmal kommt es auch vor, dass im Kleingedruckten konkret drin steht, dass man nicht mal fragen soll, ob sie das in Ausnahmefällen nicht vielleicht doch machen würden. Schon komisch!

Um schlussendlich zur Beantwortung der Überschrift des Beitrags zu kommen: JA, es ist ein Systemfehler und absolut nicht nur Einzelfälle.


Insomnia12345  17.06.2025, 13:06

Sehr guter Beitrag!

Insomnia12345  17.06.2025, 13:17
@Thomas Richter

Wenn ich etwas ergänzen darf?

Du schreibst ganz richtig

Was auch noch oft dazu kommt sind Patienten, die eigentlich überhaupt nicht für eine Psychotherapie geeignet sind.

Das erlebe ich beruflich such sehr oft. Aber selbst wenn ein Patient geeignet ist und dann nach Monaten einen Psychotherapeuten findet, muss natürlich für beide das "Arbeitsklima" stimmen. Nicht umsonst gibt es ja die probatorischen Sitzungen. Weil die Patienten aber oft große Angst haben wieder monatelang auf einen anderen Platz zu warten, bleiben sie oft bei einem Therapeuten, mit dem es eigentlich nicht passt.

Und wenn ich ganz ehrlich bin: es gibt wirklich sehr tolle Psychotherapeuten, aber es gibt auch eine Menge Leute, die von ihrem Fach eigentlich nichts verstehen. Das habe ich oft genug erlebt.

Thomas Richter  17.06.2025, 13:28
@Insomnia12345

Ich frage mich auch oft, was 5 Jahre in einer Uni zu studieren ohne überhaupt mal mit irgendeinem anderen Menschen Kontakt zu haben Menschen plötzlich bescheinigt, dass sie überhaupt für diesen Beruf persönlich geeignet sind. Nur weil jemand eine 1,0 im Abitur hatte, ist der noch lange nicht befähigt, den Beruf auszuüben, nur weil er sich jahrelang Theorie reingezogen hat.

Insomnia12345  17.06.2025, 13:41
@Thomas Richter

Ja, das frage ich mich auch! Ich bin zwar kein Therapeut, aber arbeite in der Psychiatrie. Ich habe natürlich nicht das Fachwissen, was die anderen dort im Studium erworben haben, das ist mir klar! Und dann kommen zu uns die ganzen jungen Leute im oder kurz nach dem Studium, sind noch grün hinter den Ohren und meinen sie könnten anderen erklären, wie das Leben funktioniert. Die setzen sich vor Leute hin, die wirklich viel Sch*** erlebt haben, die teilweise 3mal so alt sind und haben jetzt DIE Diagnose und DAS Patentrezept. Die Patienten kommen dann reihenweise zu mir (ich bin Seelsorgerin) und berichten das.

Was vielen fehlt ist die Lebenserfahrung, die berufliche Tauglichkeit und vor allem eine ganze Menge Demut. Demut um dem Patienten erstmal zuzuhören, statt nach 5min glauben zu wissen, was er jetzt braucht.

Thomas Richter  17.06.2025, 13:50
@Insomnia12345

Eine praktische Ausbildung mit semesterweisem oder monatsweisem Studium würde wahrscheinlich schon viel ändern denke ich mir. Nur jahrelang in der Uni zu sitzen spiegelt überhaupt nicht die praktische Arbeit danach wider. Es würde vielleicht auch die finanziellen Probleme etwas entschärfen, wenn die angehenden Therapeuten dann auch Geld fürs Arbeiten bekommen würden.

Daschi464  18.06.2025, 18:13
@Insomnia12345

Du sprichst mir direkt aus der Seele! Seit Monaten mit meinem Sohn erlebt!

Du machst nen tollen und so wertvollen „Job“ , ohne euch sähe es auf den Stationen der Psychiatrie sehr traurig und einsam aus !

Danke 🙏🏻

Lennis130  17.06.2025, 13:34
die bürokratischen Hürden eine eigene Praxis anzumelden und zu betreiben, sind sehr hoch.

Nicht nur die bürokratischen. Auch die finanziellen Hürden sind hoch. Wenn sich Psychotherapeut*innen verschulden müssen, um einen Kassensitz zu bekommen, dann ist das auch nicht gerade hilfreich.

Thomas Richter  17.06.2025, 13:38
@Lennis130

muss man sich nicht wundern, dass viele dann doch nur in einer Bachelorstelle in einer Klinik als wenigerbezahlter Psychologe arbeiten, bevor man den Aufwand auf sich nimmt, bis zur eigenen Praxis durchzukommen.

Arbeitsstellen bekommt man immer. Die meisten Kliniken sind froh wenn sie überhaupt jemanden bekommen, der ein Studium in Psychologie abgeschlossen hat und so arbeiten möchte.

Darkrider280  18.06.2025, 19:53
ich kenne keinen einzigen Fall (!), der zeitnah einen regulären Therapieplatz ambulant bekommen hätte.

Dann bin ich Dein Erster. Ich hatte das sogar zweimal.

Thomas Richter  18.06.2025, 20:08
@Darkrider280

Wow, cool, das freut mich!

Ich hatte eher immer so die Erfahrung gemacht, dass schon Plätze gefunden wurden, aber das meistens dann nichts Halbes und nichts Ganzes war. Wenn beispielsweise jemand dringend einen Traumatherapeuten gesucht hat, kam er allenfalls nach paar Wochen bei einer "Übergangslösung" an, z.B. psychologische Betreuung in einer Ambulanz oder bei Psychologen die noch Stunden sammeln müssen für ihre Approbation und von einem Therapeuten "beaufsichtigt" wurden oder bei irgendwelchen Leuten die zwar gesagt haben "das passt", aber letztendlich keine Traumatherapie durchgeführt haben und die spezielle Qualifikation auch gar nicht dafür hatten.

Habe schon oft Therapieberichte angefordert im Auftrag und das wurde dann ein eine halbe Seite lang meistens so sehr allgemeines Zeug obwohl der Patient schon ein Jahr durchwegs in Therapie war. Kein Wunder, dass da irgendwie nichts vorwärts geht.

Darkrider280  18.06.2025, 20:16
@Thomas Richter
Wow, cool, das freut mich!

Ich muss dazu sagen : Eine Person hat damals darauf Einfluss genommen, dass es geht. Also wenn ich dort angerufen hätte, hätte es wahrscheinlich nicht geklappt.

aber das meistens dann nichts Halbes und nichts Ganzes war.

Das hat meiner Erfahrung nach aber nichts mit der Wartezeit zu tun. Ob eine Therapie hilft oder nicht, ist ja recht individuell.

Ich hatte lange und kurze Wartezeiten. Da merkte ich keinen Unterschied.

Darkrider280  18.06.2025, 20:19
@Thomas Richter

Ich finde es übrigens gut, dass man mit Dir vernünftig diskutieren kann , wenn es unterschiedliche Erfahrungen gibt. Mit einigen "Experten " hier kann man das nicht. Das zeichnet Dich hier aus.

Ich bin selber Psychotherapeut.

Wir würden gerne mehr Therapieplätze anbeiten jedoch gibt es hier verschiedene Probleme:
- Eine Anstellung eines Kollegen in einer Einzelpraxis ist organisatorisch eine Katastrophe. Für ein bis zwei Angestellte, um sein Kontingent maximal ausschöpfen zu können, gibt es viele bürokratische Hürden, sodass es schlichtweg nahezu unmöglich ist (viele würden es gerne machen!).
- Die Ausbildung zum Psychotherapeuten ist bisher eine Katastrophe. Nach einem mind. 5-jährigem Psychologiestudium muss man eine 3-5-jährige Weiterbildung machen. Während dieser verdient man häufig unter dem Mindestlohn und muss noch 20.000 bis 120.000 € für die Ausbildung bezahlen.
Zusammengefasst muss man um Kinder- und Jugendpsychotherapeut zu werden 10 Jahre Zeit und insgesamt währenddessen schnell über 100.000 € investieren. Das Geld haben die Wenigsten. Aufgrund der Lernbelastung ist begleitendes Arbeiten gehen schwer möglich. Während ich in meinen frühen 20ern bei schönem Wetter in der Unibilbliothek gelernt haben, fliegen andere 3mal im Jahr in Urlaub und sparen sich Geld an für die Verwirklichung von Wünschen. Wenn man da noch vor 30 heiraten und evtl. Kinder bekommen möchte, steht man unter enormen Druck und hoher Belastung. Diese Belastung möchten viele nicht mehr eingehen.
Gerade im Kinder- und Jugendbereich gibt es jetzt bereits zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten.
Die Ausbildungsreform hat nur bedingt geholfen: Die finanzielle Situation ist nach wie vor ungeklärt und fragwürdig, die Ausbildung dauert nun mindestens 10 Jahre (!) und es gibt wesentlich weniger Ausbildungsplätze. Dadurch wird die Situation nicht verbessert!
- Das Gehalt ist verglichen mit der Ausbildung sehr schlecht. Wir bekommen in einer Praxis nur den gerichtlich festgelegten Mindestlohn! Abrechnungstrickserein, wie bei anderen Fachärzten, ist bei uns praktisch nicht möglich. Zusatzausbildungen, für die andere Fachärzte mehr Geld bekommen, werden bei uns nicht honoriert und kosten nur viel Zeit und Geld. Psychotherapeut ist der mit großem Abstand am schlechtesten bezahlte fachärztliche Beruf. Selbst Hausärzte, die ca. das Doppelte von uns verdienen, möchten sich aufgrund der schlechten Bedingungen in vielen Regionen nicht mehr niederlassen. Auch bei uns findet man im ländlichen Raum kaum noch Praxisnachfolger. Hätte ich im Ingineursbereich, Finanzwesen oder Jura gelernt (wie mein Bekanntenkreis), wäre mein Gehalt jetzt doppelt so hoch und meine Kosten wesentlich geringer.
- Dies Kassensitzproblematik ist allgemein bekannt. Die 1960er/1970er Generation, die um das Jahr 2000 noch die Sitze kostenlos und in nahezu unbegrenzter Anzahl bekommen hat, verlangt jetzt rechtswiedrig teilweise bis zu 180.000 € pro Zulassung. Das Vergabeverfahren ist eine Ausbeutung der jungen Psychotherapeuten und bevorzugt die Abgeber.

Im Fazit ist man dann 30-35 Jahre alt, hat ca. 50-150.000 € Ausbildungsschulden, muss 50-150.000 € für ne Kassenzulassung bezahlen, hat noch nicht geheiratet, keine Kinder, kein Haus gekauft (zumindest keine finanziellen Rücklagen dazu), keine Handwerklichen Fähigkeiten oder "Freunde die billig renovieren", bekommt bei 50h Woche nach Abzug von Steuern, Sozialabgaben und Kosten gut 5.000 € netto Gehalt (wofür man von anderen selbstständigen oder Angestellten bei Autobauern noch ausgelacht wird) und soll damit glücklich sein?
Leider sind mit besseren Zugängen und besserer Qualität im medizinsystem keiner Wählerstimmen zu bekommen. Ansonsten wäre die Situation nicht so katastrophal gewurden.


Lennis130  17.06.2025, 13:53
Psychotherapeut ist der mit großem Abstand am schlechtesten bezahlte fachärztliche Beruf.

Also mir ist gänzlich neu, das Psychotherapeut*innen überhaupt Fachärzte/Fachärztinnen sind... Das sind doch die Psychiater*innen, oder nicht? Wie kann ein Mensch Facharzt/Fachärztin sein, ohne Medizin studiert zu haben?

MichaelStumpf  18.06.2025, 22:30
@Lennis130

Es gibt auch Ärzte die Psychotherapeuten sind. Der Ausbildungsweg und die Arbeit steht sowohl Ärzten wie Psychologen offen.
Ca. 25% der PT sind "Ärztliche Psychotherapeuten"
ca. 75% der PT sind "Psychologische Psychotherapeuten"
Im neuen Ausbildungssystem spricht man von "Fachpsychotherapeuten".
Die Arbeit sowie Abrechnung und Befugnisse sind diesselben.

Das hat historische Gründe: Ursprünglich kommt die Psychotherapie aus einer Zeit, wo es den Studiengang "Psychologie" gar nicht gab. Sie war auch nur Medizinern vorbehalten. Da diese jedoch hierfür kaum ausgebildet sind und nicht ansatzweise den Bedarf deckten, wurden Psychologen hier "mit ins Boot" geholt. Als Übergangslösung gab es den "Heilpraktiker für Psychotherapie", der mit dem eigentlich "Heilpraktiker" nichts zu tun haben sollte. Seit 1999 sind Psychotherapeuten genauso approbiert wie Apotheker & Ärzte und im System der Kassenzulassung drin (Somit ist der "HP für PT" überflüssig und gehört genau wie der Heilpraktiker an sich abgeschafft).
Deshalb zählen Psychotherapeuten sowohl im Abrechnungssystem wie auch bei der Niederlassung, Statistiken, Telematikinfrastruktur, usw. als eigene Kategorie im Bereich der Facharztberufe. An vielen Kliniken werden sie auch entsprechend im Tarifvertrag eingruppiert.

Lennis130  18.06.2025, 22:56
@MichaelStumpf
Es gibt auch Ärzte die Psychotherapeuten sind.

Sind das dann nicht trotzdem Psychiater*innen, die lediglich auch therapieren dürfen?

Denn ich habe im Psychiatrie-Unterricht der Berufsschule gelernt: Psychiater*innen sind die Fachärzt*innen, die dürfen dann auch Medikamente verschreiben.
Das dürfen Psychotherapeut*innen nicht, weil sie den medizinischen Background nicht haben.

MichaelStumpf  19.06.2025, 13:47
@Darkrider280

Ganz korrekt ist dies auch nich.
Ein Psychiater ist ein Facharzt für Psychiatrie. Es kein kein Facharzt für Psychotherapie udn kein Psychotherapeut! Das sind 3 unterschiedliche mögliche Spezialisierungen und Weiterbildungen. Psychiater dürfen kein Psychotherapie anbieten.. Hierfür fehlt ihnen schlicht ide Qualifikation. SIe dürfen ledeglich Medikamente verschreiben (in der Praxis sind das dann 2-5 Minuten Temrine "Depression schlimmer? - Ja. - Okay, dann mehr Antidepressive." D.h. die dürfen NUR Medikamente verschreiben, weil Ihnen der Bakcground für Psychotherapie fehlt.
Gleichzeitig stimmt jedoch, dass psychologische Psychotherapeuten keine Medikamente verschreiben dürfen. Ärztliche Psychotherapeuten dürfen dies auch nur, wenn sie hierfür die erlaubnis der KV haben. Wobei viele dies nicht direkt paralell anbieten möchten (praktisch heißt dies entweder man bietet Psychotherapie an, oder man verschreibt Medis - unabhängig davon ob man es darf oder nicht). Gemäß S3 Leitlinien soll beides häufig komplementär angewendet werden.

Es liegt nicht daran, dass es zu wenige Ärzte gibt, sondern daran, dass die Plätze zu inflationär vergeben werden, es in vielen Fällen gar nicht sein müsste und man die Kinder oft in Ruhe lassen müsste bzw. kein Bedarf vorhanden ist - da geht es ums Normendenken, aber auch um Personen, die sich selbst verwirklichen wollen und die Kinder als Gefahr des geringsten Widerstands sehen. Ich habe in all den Jahren so einiges erlebt, beruflich, als Ehrenamtler und privat.

Von digitalen Angeboten halte ich in diesem Bereich (nur um das anzuschneiden) sehr wenig, auch die normale Arztsprechstunde kann ein digitales Angebot nicht ersetzen. Es gibt Dinge, wo Digitales Sinn macht, aber hier ist das meiner Meinung nach nicht gegeben.

Eine kritische Anmerkung aus eigener langjähriger Beobachtung und Erfahrung: Wenn Kinder vernünftige und solide Familien, Freunde, Vorbilder und Lehrer haben (nicht so junge Damen, die vor ihrer Verbeamtung gut Wetter machen wollen & vorwiegend bei Jungs meinen diverse angebliche "Syndrome" zu orten, ehe sie alle Hebel in Bewegung setzen und sich als engagierte selbstbewusste junge Pädagoginnen feiern lassen) und ein intaktes soziales und räumliches Umfeld, in dem sie Kinder sein dürfen und nicht wie Zinnsoldaten gedrillt oder wie Idioten oder wie kleine Erwachsene behandelt werden oder einem extremen Normendenken ausgesetzt sind, brauchen sie in der Regel keine "Therapien" und erst recht keine Medikamente - denen genügen Beachtung, Ehrlichkeit, ein liebevolles Vorbild und Umfeld, ein schönes Hobby, Kontakt zu Tieren, Kontakt zur Natur ... so was in der Art.

Vor allem die Passage mit den jungen Lehrerinnen sollte man sich mal ganz bewusst und durchaus auch kritisch zu Gemüte führen, denn genau da hängt es in der Regel und landen völlig normale Kinder - meist Buben - beim Therapeuten, die da eigentlich nicht hingehören und der jungen Lehrerin entweder "zu aufgeweckt" oder alternativ auch "nicht selbstbewusst genug" sind - zumal das Schulsystem eher auf Dinge aus ist, die Mädchen beherrschen (Stillsitzen, gefällig und nett sein) und weibliche Lehrkräfte oft eher mit Mädchen sympathisieren.

Hammerhart formuliert: Solche Fälle, wo die Moralkeule geschwungen wird oder es den Junglehrerinnen um die eigene Karriere geht und gar nicht mal um das Kindeswohl, klauen dann denjenigen die Therapieplätze, die wirklich große Probleme haben und Hilfe brauchen, etwa bei Lernschwierigkeiten, Aggressionen, extreme Schüchternheit, Folgen von Mobbing, Missbrauch oder auch Depressionen mit Suizidgefahr bei Jugendlichen oder familiären Sachen wie Bildungsferne, Elternverlust, schweren körperlichen Leiden wie Krebs (das können auch Kinder kriegen) und deren psychisch oftmals nötiger Nachsorge usw. - und die Kinder- und Jugendtherapeuten sind dann überlastet und diejenigen, die wirklich Beistand bräuchten, schauen dann in die Röhre und müssen schauen, wo sie bleiben.

Ich kenne Fälle, wo Kinderpsychologen sagten "nicht schon wieder ein Kind von der Frau ..." und die Behandlung mehr oder weniger ablehnten, weil klar war, dass es da nicht um ernsthafte Probleme ging.

XXX

Ich bin vor einiger Zeit übrigens wieder mal von einer verzweifelten "Jungsmama" angefunkt worden mit der Bitte, ihr menschlich, fachlich und wenn nötig mit juristischem Einlass aus so einer Nummer - da geht es um angebliches ADHS, aber ich kenne den Buben gut und ich habe auch den Gedanken, dass den Leuten deswegen übel mitgespielt werden soll, weil sie weder reich noch cool noch in den Vereinen aktiv sind und ihr Nachname keine Rolle spielt in der Gemeinde, in der sie leben; ich kenne das Thema nur zu gut - wieder rauszuhelfen. Mal sehen, wie das Ganze wird. Mir tun die Leute und der Bub leid, aber wir kriegen das schon hin.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

October2011  17.06.2025, 12:53

Das haben wir als Familie so auch erlebt.

"Entwicklungsberichte" enthalten oftmals völlig erfundene Schwächen/ Probleme, denn der Bericht muss dramatisch genug sein, um einen Schulbegleiter/ Lebenshilfe beantragen zu können.

Mein Kind konnte laut Kindergartenbericht z.B. mit 3,5 Jahr nur 40 Wörter sprechen; ein Gutachten von einer Logopädin bescheinigte dann dem Kind, einen normalen, altersentsprechenden Wortschatz und Grammatik zu haben.

Besonders übel ist, das da "mitgefangen, mitgehangen" gilt. Wenn der grosse Bruder das Fragile X Syndrom hat, dann hat es der kleiner Bruder selbstverständlich auch. Ein Gentest beim SPZ ergab dann, dass beide nicht darunter leiden. Aber bis zum Testergebnis war ich eben die Mutter, die es nicht sehen und wahrhaben wollte....

Das Ergebnis des Tests wurde übrigens nicht von der Erzieherin akzeptiert; das SPZ solle dann doch bitte weiterer Tests machen und einfach auf alle Erbkrankheiten testen!

annabg777  17.06.2025, 18:03
@October2011

Schrecklich so Lehrerinnen. Das sind diese typischen Öko Tanten die unter gleichaltrigen immer schüchtern sind, wenig selbstsicher, Zweifeln immer an sich selbst.. ich kenne diese ungeschminkten Brille tragenden Öko Frauen. Ganz schlimm. Und wenn die dann endlich unterrichten dürfen und Macht haben zeigt sich ihr Charakter. Das sind Frauen die immer an sich selbst zweifeln und mit Direktheit und Konfrontation nicht klar kommen. Und das projizieren die auf Kleine Jungs weil die eben lauter sind wie Mädchen. Wenn der 5 jährige Lucas laut ist sind diese Frauen dominant und Maßen sich an irgendeine psychische Erkrankung zu diagnostizieren. Wenne Lucas lauter Vater mit ihnen spricht sind sie die Feiglinge die sie schon zuvor waren und sagen nix. Boah ich hasse diese Art von Öko Frauen ohne Witz

rotesand  17.06.2025, 18:24
@October2011

Solche Biographien habe ich auch erlebt - und es war in der Regel auf die oben geschilderte Zielgruppe (Lehrerinnen und Erzieherinnen auf der Suche nach Anerkennung) zurückzuführen. Es ist dann auch typisch, dass Erzieherinnen meinen, immer Recht zu haben.

Tragischer Höhepunkt war ein introvertierter und stiller Junge, bei dem es hieß, er leide an Asperger und müsse auf eine Sonderschule - es kam schnell raus, der war einfach sehr ruhig und wenig gesprächig von seinem Naturell her und nicht sehr gesellig in seiner Art, aber völlig normal und auch nicht geistig behindert, er kam auch aus einer Familie, in der wenig gesprochen wurde und die als sehr zurückhaltend und ungesellig bekannt war im Ort. Ein anderer bekam diese Diagnose, weil man nicht mehr weiterwusste und die Eltern und Lehrer was auf dem Papier lesen wollten, damit man "was tun konnte" - in Wahrheit war er schon mit 12/13 Jahren depressiv und litt unter Kinderdepressionen.

vanOoijen  17.06.2025, 16:46

Darüber könnte ich auch berichten. Ich hatte durch die Akten in der Kanzlei meiner Ex da so einige Einblicke. Ich erinnere mich an einen Rosenkrieg zwischen zwei Akademiker-Eltern, bei promoviert. Deren Tochter (unter 10 Jahre alt) hatte diverse Therapeuten für alles mögliche, angefangen bei Dyskalkulie.

rotesand  17.06.2025, 18:31
@vanOoijen

Das fängt oft mit Ergotherapie und angeblichen "Wahrnehmungsstörungen" an, wobei man sich fragt, was "Wahrnehmungsstörungen" sind und wer diese festlegt und nach welchen Kriterien. Ich bin da vorsichtig, Ergotherapie war in meiner Kindheit sowieso scheint's mal in Mode.

Ich etwa "musste" mit acht Jahren einige Male zur Ergotherapie gehen (warum auch immer - wahrscheinlich, weil es damals schlicht in Mode war; meine halbe Klasse ging damals zur Ergotherapie, scheinbar alles kranke Kinder, wenn man den Ärzten Glauben schenkte - ich fand die alle völlig normal und sie sind es heute als Erwachsene auch, habe zur Grundschulklasse noch Kontakt) und fand es dort so furchtbar in jeder Hinsicht, dass ich jede Woche Angst davor hatte und heilfroh war, dass es endlich vorbei war. Ich sträubte mich total, wollte lieber spielen, zeichnen, Freunde treffen, Fahrrad fahren, auf den Spielplatz, fernsehen oder ein Buch lesen. Zum Glück hatte meine Familie dann ein Einsehen und ich musste da nie wieder hin. 

Mein Banknachbar hatte leider weniger Glück. Er musste damals auch zur Ergotherapie und das deutlich länger als ich - er klagte schon in der Schule lautstark und verstand es nie, warum alle anderen spielen und Freunde treffen, er aber mit der Mama jeden Dienstag um 13.30 Uhr zur Ergotherapie musste. Auch als er Besuch hatte, war das Thema präsent. Ich erinnere mich noch an die Worte seiner Mutter, als ich beim Spielen dort war und er wieder klagte; sie sagte nur, er werde ihr dafür "nochmal dankbar sein", dass er da hin muss, weil er immer sagte, "die anderen müssen doch da auch nicht hin, wieso ich?", und als er fragte, warum andere Kinder da nicht hinmüssen entgegnete die Frau "weil er deren Eltern egal ist, du hast es ja so viel besser". Aber es war schon am Tag davor immer ein Drama, wenn er da wieder hin musste und es musste am Ende dann auch noch abgebrochen werden, weil er entweder weinte oder protestierte und ausrastete, obwohl er eigentlich ein "galanter" Junge im eigentlichen Sinne war - wirklich "galant". Grund waren angebliche "Wahrnehmungsstörungen", obwohl der Bub völlig normal wirkte und ein begabter Schüler war, der bei allen beliebt war - komisch, warum lässt man die Leute nicht so, wie sie sind?!

Gerade bei Kindern im Grundschulalter muss man sowieso vorsichtig sein, wenn man da als Psychologe oder Erzieher oder "Pädagoge" rankommen will: Die merken das in der Regel sehr schnell, wenn man ihnen an den Karren fahren will und reagieren dann entsprechend, sind skeptisch, abweisend, mauern und blocken vollständig ab.

vanOoijen  17.06.2025, 18:41
@rotesand

Für mich gehört das zum Phänomen "Helikoptereltern". Einige Kinder werden übertherapiert (in meinem Beispiel wohl weil Herr und Frau Dr. einfach nicht akzeptieren konnten, dass ihre Tochter schlecht in Mathe war - sie haben halt kein Genie gezeugt, sondern nur ein durchschnittliches Mädel 😄). Hingegen fehlt sinnvolle therapeutische Hilfe in der Unterschicht häufig, beziehungsweise kommt erst viel zu spät.

Topflappen555  18.06.2025, 19:43

Was du schreibst passt ganz gut zum aktuellen Zeitgeist, lebhafte Kinder sind heute nicht mehr wirklich in Mode, sie verursachen viel Arbeit usw. Also ab zur Therapie, irgendwie herunterfahren, notfalls auch mit Medikamenten.

Denkfehler!

Man sollte die Ursachen für die pschischen Erkrankungen der Kinder angehen.


Benedikt581  17.06.2025, 14:34

Richtig! Insbesondere die Fähigkeit zur Resilienz - weitaus wichtiger noch als die Ursache an sich.