Ich hatte so jemanden früher in meinem Freundeskreis - den Kontakt hatte ich zwischenzeitlich abgebrochen gehabt. Es war/ist eine Bekannte von mir, wir sind fast auf den Tag genau gleich alt und kennen uns seit der Kindheit; sie hat eigentlich einen guten Charakter, viele beachtliche Talente und "wirklich was drauf", aber sie stammt aus prekären Verhältnissen, gammelte nach der Mittleren Reife einige Zeit ziellos zuhause rum, holte dann mehr schlecht als recht die Fachhochschulreife nach und kam danach wieder nicht in die Puschen.
Sie gammelte danach erneut zuhause und auf der Straße rum, das ging über Monate so. Ich habe ihr, weil sie mir leid tat, ich sie eigentlich immer gemocht habe und wusste, dass sie was kann und man ihr nur einen Anreiz schaffen muss, diverse Jobs und Praktika vermittelt vom Landratsamt über eine Druckerei bis zu einem befreundeten Autohändler - überall ging was daneben und jedes Mal fragte man mich indirekt, was ich denen denn da für eine Tranfunzel geschickt hätte. Sie bekam eine Ausbildung über meine Kontakte, da ging aber auch alles schief und sie hat sie gerade so gepackt. Es war mir sehr peinlich. Leider hatte sie ab ca. 18/19 Jahren zudem Probleme mit dem Alkohol und hat auf Partys regelmäßig unangenehm Furore gemacht. Dennoch ließ ich nichts auf sie kommen, weil ich sie kannte und wusste, da kann man viel rausholen, aus ihr ist was zu machen, man muss nur den richtigen Weg finden für sie, dann könnte es schon klappen und irgendwie wird's schon gehen.
Der Rest verlief dann so im Sande, sie hat ihre Lehre gerade so bestanden, der Kontakt wurde lockerer. Dann traf man sich im Sommer 2013 wieder auf der Geburtstagsfeier eines meiner damaligen Nachbarn, wo sie nachts stockbesoffen unterm Tisch Mundharmonika blies und im Wald sich ihrer Notdurft entledigte, sich auf der Rückbank des Citroen Xantia eines Gasts in den Fußraum des Autos übergab und in der Waldhütte randalierte und die Männer anmachte, bis mein Nachbar die Polizei holen wollte. Das hat mich damals sehr erschrocken; ich habe das zum Anlass genommen mich von ihr zu distanzieren.
Ich fühlte mich richtig veralbert, weil ich merkte, dass meine jahrelangen Bemühungen für sie überhaupt nicht fruchteten und mehr oder weniger für die Katz' waren. Das sagte ich ihr ziemlich genau so in dem Wortlaut. Ich merkte, es war ihr total peinlich und die ganzen Umständlichkeiten waren ihr unangenehm und mir tat es selber einfach nur leid ... aber ich wusste dabei doch genau, sie wird sich auch in Zukunft nicht im Griff haben. War in der Zeit mehr oder weniger fortlaufend hin- und hergerissen zwischen nackter Wut und meinem Helfer-Gen, aber ich dachte mir andererseits ... wenn es wirklich nicht und unter keinen Umständen klappt, dann kann ihr wahrscheinlich keiner helfen.
Im Juni 2018, fast auf den Monat fünf Jahre danach, sprachen wir uns auf einem Konzertabend aus - sie machte den ersten Schritt und entschuldigte sich. Sie hat mich damals angesprochen. Ich habe ihr dann auch eine neue Chance gegeben, inzwischen scheint sie im Leben angekommen zu sein, ich habe mit ihr regelmäßig Kontakt. Sie hat einen Freund, eine kleine Wohnung, eine geregelte Arbeit und endlich auch Ziele. Imponiert hat es mir, dass sie den Weg zurück fand und die Entschuldigung von ihr aus kam. Wir schreiben immer wieder miteinander - nicht regelmäßig, aber fortlaufend; der Kontakt reißt nicht ab und ich glaube, sie ist auf einem guten Weg für sich.