Meinung des Tages: Gedenken an die Reichspogromnacht - was können wir gegen Antisemitismus tun?
85 Jahre nach den großen Pogromen in Deutschland und vor dem Hintergrund des Krieges im Nahen Osten wird seitens der Politik über einen umfassenderen Schutz von Juden in Deutschland debattiert. Dabei stellt sich auch die Frage, was der Einzelne im Kampf gegen Antisemitismus tun kann….
Der 9. November als Schicksalstag der Deutschen
Mit Blick auf die deutsche Geschichte gilt der 9. November als besonderer Tag, da er mit einer Vielzahl an historisch bedeutsamen Ereignissen und Wendungen in Verbindung steht: Am 9. November 1918 wurde in Deutschland die Weimarer Republik ausgerufen, womit das Ende des Kaiserreichs und der Beginn einer bis dato neuen (kurzen) politischen Ära eingeläutet worden ist. Vor exakt 100 Jahren unternahmen Adolf Hitler und der hochdekorierte General Erich Ludendorff einen Putschversuch, mit dem Ziel, die bestehende politische Ordnung durch eine Militärdiktatur abzulösen. Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde am 9. November 1948 das Grundgesetz verabschiedet, das die Grundlage der westdeutschen Demokratie und später der Verfassung der Bundesrepublik bildete. Und am 9. November 1989 wurde die Berliner Mauer geöffnet, womit sowohl die Wiedervereinigung Deutschlands als auch das Ende des Kalten Krieges besiegelt werden konnte.
Die Reichspogromnacht als Wendepunkt in der NS-Politik
Auch im Jahre 1938 ereignete sich mit der Reichspogrom- bzw. Reichskristallnacht ein weiteres (dunkles) Ereignis in der deutschen Geschichte: In der Nacht vom 9. auf den 10. November zerstörten Anhänger der Nationalsozialisten in zahlreichen deutschen Städten Synagogen, plünderten jüdische Geschäfte und misshandelten tausende Juden. Das Ganze geschah zumeist vor den Augen der Zivilbevölkerung und gilt nicht nur als die größte Pogrom-Welle seit den großen Pest-Pogromen des Mittelalters, sondern die Ereignisse des 9. November 1938 markieren darüber hinaus den traurigen Wendepunkt der systematischen Ausgrenzung und Verfolgung von Juden, die wenige Jahre später im Menschheitsverbrechen des Holocausts endeten.
Antisemitismus heute – was können und müssen wir tun?
85 Jahre nach der durch das nationalsozialistische Regime initiierten Pogromnacht und auch in Anbetracht des aktuellen Konflikts zwischen der Hamas und Israel haben deutsche Politiker über einen umfassenderen Schutz für jüdisches Leben in Deutschland debattiert. Für Innenministerin Nancy Faeser sowie weitere Bundestagsabgeordnete sei es untragbar, dass auf momentanen Pro-Palästina-Demonstrationen antisemitische und menschenfeindliche Hetze betrieben wird, die u.a. dazu führt, dass viele Juden in Deutschland angefeindet werden und sich nicht mehr trauen, ihren Glauben sichtbar nach außen zu tragen. Derartige Zustände seien insbesondere nicht mit dem Credo des „Nie wieder“ vereinbar, das als Reaktion auf die Verbrechen der Nazis als für Deutschland konstituierende Haltung entstanden ist. Faeser verwies darauf, dass alle, die judenfeindliche Hetze betreiben, „mit der ganzen Härte des Rechtsstaates“ rechnen müssen und klar antisemitische Äußerungen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien.
Vor allem die Unionsparteien drängen auf ein härteres Strafmaß bei politisch motivierten Straftaten. Wenn es nach Alexander Dobrindt ginge, sollten antisemitische Parolen als besonders schwerer Fall von Volksverhetzung eingestuft und mit mehrmonatiger Haftstrafe bestraft werden. Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die durch antisemitische Hetze auffallen, solle der deutsche Pass entzogen werden.
Seitens von CDU / CSU wird hier allerdings vergessen, dass der in Deutschland vorherrschende Antisemitismus aus dem rechten Spektrum auch nach Kriegsende nie verschwunden, sondern jüngst viel mehr durch den Antisemitismus vieler Geflüchteter sowie den aus dem linken intellektuellen Milieu im negativen Sinne bereichert worden ist. Cem Özdemir plädiert dafür, den Kampf gegen Antisemitismus zur Pflicht eines jeden republikanischen Bürgers zu machen. Weiterhin müsse sich die Politik mit Blick auf das Bildungswesen fragen, ob das Lehren und Problematisieren von geschichtswissenschaftlichen Fakten sowie die konsequente und ganzheitliche Erziehung hin zu demokratischen und mündigen Bürgern mit der für die Sache notwendigen Ernsthaftigkeit betrieben wird.
Unsere Fragen an Euch: Was kann und muss der Einzelne im Kampf gegen Antisemitismus leisten? Welche Verantwortung kommt Online-Plattformen beim Kampf gegen Antisemitismus zu? Was erwartet Ihr von Bildung und Politik, um Antisemitismus einzudämmen? Seid ihr selbst schon einmal aktiv geworden oder kennt ihr Menschen, die antisemitisch angefeindet worden sind?
Wir freuen uns auf Eure Antworten
Viele Grüße
Euer gutefrage Team
Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundestag-debatte-antisemitismus-100.html
https://www.sueddeutsche.de/politik/reichspogromnacht-85-jahrestag-gedenken-synagoge-1.6300704
27 Antworten
Ich freue mich natürlich darüber, dass am 9. November an diese schrecklichen Dinge erinnert wird. Wenn eine ausländische Gruppe zu Besuch in unserer Stadt ist, führe ich sie regelmäßig zu den 4 Stehlen, wo an die deportierten Juden erinnert wird. Alle Namen sind dort aufgeführt.
Mit einer Sache komme ich nicht klar, je älter ich werde. Warum haben wir bis weit in die 80er Jahre kein Gedenken gepflegt? Weil in den 50er und 60er Jahren die Täter noch unter uns waren. Man hat den Opfern Namen gegeben. Jetzt muss man auch wissen, wer die Täter waren.
J. Stroop, "Sohn" der Stadt, ist verantwortlich für das Massaker im Warschauer Ghetto. Vom kleinen Angestellten hat er bei den Nazis Karriere gemacht. Dort hat er gut verdient, und von dem Geld hat er eine Villa am Stadtrand gebaut. Bis heute weigert sich das Staatsarchiv, die Adresse mitzuteilen. Stroops Erben profitieren noch heut von den Taten dieses Mannes. Auch das gehört zum Gedenken. Ich bin sicher, dass das heute bei der Gedenkfeier nicht erwähnt wird.
Detmold. Es ist wohl wenig bekannt. Selbst Autoren wie Ben Wilson, der umfangreich über Warschau geschrieben hat, erwähnt diesen Menschen nicht.
Was kann und muss der Einzelne im Kampf gegen Antisemitismus leisten?
Nun, zuallererst sollte man damit anfangen, nur das als Antisemitismus zu bezeichnen, was auch Antisemitismus ist.
Offiziell werden auch Aussagen gegen israel als antisemitisch gewerter, was das Vorgehen gegen echten Antisemitismus deutlich erschwert, schon allein da es diesen ins lächerliche zieht bzw. die Maßnahmen dagegen ideologisch motiviert erscheinen lässt (was sie derzeit oftmals auch sind).
Welche Verantwortung kommt Online-Plattformen beim Kampf gegen Antisemitismus zu?
Keine andere als bezüglich anderen Diskriminierungen auch.
Was erwartet Ihr von Bildung und Politik, um Antisemitismus einzudämmen?
Das übliche. Aufklärung, Konforntation, Beseitigung von Vorurteilen, Motivation zum Selbstdenken, etc.
Seid ihr selbst schon einmal aktiv geworden oder kennt ihr Menschen, die antisemitisch angefeindet worden sind?
Nein.
Ist aber auch schwer, denn die der meiste Antisemitismus geschieht denke ich nicht in der Anwesenheit von Juden und ich kenne auch sowieso kaum Juden von denen ich wüsste, dass sie Juden wären. (Auch wenn das nicht die einzigen Semiten sind, aber "Antisemitismus" bezieht sich in heutiger Wortbedeutung zumeist sowieso nicht mehr auf Semiten sondern auf Juden als Religion.)
Es gibt relativ wenige Juden in Deutschland - sogar (im Vergleich zu Gesamtbevölkerung) wenige Muslime. Laut Statistiken. Das Problem dürfte also gar nicht so groß sein.
Es reicht, bestehende Gesetze konsequent anzuwenden und durchzusetzen. Die paar Überreaktionen wegen dem Nahostkonflikt dürften temporärer Natur sein. (Sofern man das Problem dort auch beiseite legt irgendwann.)
Was man nicht tun sollte: Unter dem Deckmantel eines Kampfes gegen Antisemitismus ... Islamophobie zu betreiben (wie es die BILD und insbes. "konservative" Parteien tun), dann das fördert gerade den Hass und provoziert extremst. Insbesondere von der Einführung von Sondergesetzen (wie manche es fordern - speziell auf Israel zugeschnitten) sollte man absehen.
Was man tun sollte: Aufhören alle Palästinenser (da sind auch viele die nicht der Hamas angehören) als Menschen zweiter Klasse anzusehen. Menschen die sowas kritisieren und dagegen protestieren: Demos erlauben.
Dann können alle Dampf ablassen. Da wo offensichtlich zu Gewalt aufgerufen wird, geht man dagegen an. Und irgendwann legt sich das alles. Wenn man aber natürlich weiterhin Menschen zu Menschen zweiter Klasse degradiert, wird das immer (so lang man das aufrecht erhält) Gegenwehr provozieren. Und dass ein paar dabei sind die immer mal über die Stränge schlagen kommt halt dann vor.
Es gibt relativ wenige Juden in Deutschland
Da sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Es gibt viele jüdische Gemeinden, die ihren Glauben leben, Synagogen besuchen und ihre Kultur und ihre Feiertage leben. Man bekommt es nicht so direkt mit, wenn man nicht persönlich jüdische Mitbürger kennt und regelmäßig in Kontakt kommt, denn sie verstecken sich auch gerne. Und gerade das ist das Schlimme. In den letzten Jahren mussten sie sich kaum mehr verstecken und jetzt geht es plötzlich wieder los, dass sie sich z. B. nicht mit Kippa in die Öffentlichkeit wagen.
Auch wenn es nicht die Masse der deutschen Bevölkerung ist und auch wenn es unter den muslimischen Menschen nur eine geringe Zahl sein sollte, die ihren Antisemitismus offen und gefährlich austragen, es sollte einfach nicht sein, dass sich jüdische Mitbürger nicht mehr sicher fühlen.
Hier in unserer Kleinstadt gibt es auch noch zahlreiche ältere Mitbürger, wo man auf Grund deren Familiennamen schon auf jüdischer Herkunft schließen könnte. Es gibt hier sogar noch einen jüdischen Friedhof. Selbst unser wirklich sehr netter und humaner Vermieter scheint seines Namens nach aus jüdischer Herkunft abzustammen. Mit den etlichen Leuten, mit denen ich es bisher zu tun hatte, gab es bisher überhaupt keinerlei Probleme. Probleme schaffen zunehmend nur ganz andere Volksgruppen, auf die man gerne verzichten würde.
Es gibt relativ wenige Juden in Deutschland - sogar (im Vergleich zu Gesamtbevölkerung) wenige Muslime. Laut Statistiken. Das Problem dürfte also gar nicht so groß sein.
Das ist ein Trugschluss, dem du hier erliegst...
Der statistische Anteil bestimmter ethnischer Gruppen an der Gesamtbevölkerung spielt keine Rolle.
Auch eine Minderheit kann sehr laut sein, wenn sie sich konsequent für etwas einsetzt. Wie groß das Problem ist, hängt also nicht von der Bevölkerungszahl ab, sondern davon, wie viele Menschen proportional zur Bevölkerungsdichte und sortiert nach Nationalität dieses Gedankengut teilen.
Und dann sehen wir wieder, dass es Stadtviertel gibt, in denen der Hass offen ausgelebt wird, in denen 'Juden' bis vor die Haustür verfolgt werden, in denen Hauswände und/oder Türen beschmiert oder markiert werden, in denen religiöse Symbole an Wände und Garagen gesprüht werden usw.
Das heißt nicht unbedingt, dass es überall flächendeckend gleichermaßen schlimm ist, aber dass sich einzelne Gruppen radikalisieren und solche Vorfälle natürlich den Schnitt nach oben treiben.
Statistisch gesehen haben die Vorfälle um ca. 200% zugenommen...
Prof. Dr. Jensen von der TU Berlin konnte in einer Studie ebenfalls einen Anstieg des Antisemitismus von Muslimen gegenüber Israel von über 80% feststellen.
Mit, wie du es nennst - " Islamophobie" hat das nichts zu tun. Viele leben hier einfach offen ihren Hass gegen 'Juden' aus!
Da fragt man sich doch, wie du zu der von mir zitierten Schlussfolgerung kommst, dass "das Problem eigentlich nicht so schlimm sein kann".
Es ist auch statistisch belegt, dass mit der Einwanderung zehntausende Antisemiten ins Land gekommen sind.
Antisemitismus geht gar nicht und darf nicht zugelassen werden egal von wo her kommt. Was aber auffällt ist das bestimmte Mainstram Medien behaupten dass Antisemitismus vor allem ein Problem ist dass aus der rechten bzw Neo-Nazi Szene kommt und da vor allem aus dem Bereich der "Urdeutschen" und das stimmt so nicht! Beispiel: Die größte rechtsextreme Vereinigung in Deutschland sind die "Grauen Wölfe!" Das ist eine türkische Motorradgang!
Zu suggerieren dass die Enkel der Nazis die Wurzel allen Übels sind ist an den Haaren herbeigezogen
Das was der Reichsprogromnacht aber am ähnlichsten kommt sind die
arabisch, islamischen Gruppen die gewaltsam auf deutschen Strassen gegen Israel demonstrieren.
Ist Greta und die trans-community auch antisemitisch?.
Das Problem ist dass die Gesellschaft aber auch Politik und Medien keine
rational, kritische Herangehensweise mehr hat für Proportionen und Prioritäten. Es fehlt eine gesunde kognitive Bewertung von Ursache und Wirkung. Und unbequeme Wahrheiten werden schnell gecancelt.
Da werden Nebenschauplätze aufgebauscht und große Probleme ausgeblendet weil sie nicht in eine irrationale Ideologie passen!
Okay das der Antisemitismus solche Ausmasse angenommen hat, ist in keinster Weise akzeptabel und generell stellt sich mir die Frage warum ist das so.?? Ich persönlich bin der Meinung das das auch mit der Israelisch Siedlungspolitik zu tun hat.!! Die grosse Chance einer zwei Staatenlösung wurde schon vor langer Zeit wirklich vertan und es war nicht wirklich erkennbar das da von allen Staaten mit Nachdruck eine Lösung zu finden gearbeitet wurde.!! Von daher ist die Reaktion in gewisser Weise verständlich und das es jetzt solche Ausmasse angenommen hat und so viele unschuldige Opfer zu beklagen sind und das auf beiden Seiten ist das Resultat dessen.!!
Völlig richtig.
Wusstest du, dass laut GG Art 8 nur Deutsche das Versammlungsrecht haben? Es heißt nicht: Alle sich in Deutschland befindenden Personen haben ...
Die Mütter und Väter des GG haben sich etwas dabei gedacht, nämlich dass die Konflikte von Personen aus anderen Ländern nicht auf deutschen Straßen ausgetragen werden. Genau das ist aber jetzt der Fall.
Interessant!
Damit könnte man Demonstrationen für oder gegen etwas durch Ausländer und Auftritte ausländischer Politiker unterbinden. Theoretisch wäre dann auch ein Grill-Treffen am Badesee einer türkischen Großfamilie verbietbar.
Es fragt sich nur, wie die Polizei das sicherstellen soll.
Ich habe das mit dem Badesee ironisch aufgenommen. Es geht aber wohl im politische Demonstrationen. Gleichzeitig haben wir natürlich die Meinungsfreiheit. Im GG steht "Wort und Schrift". Auf diese Formulierung könnten sich antisemitisch eingestellte Palästinenser berufen. Allerdings darf durch die freie Meinungsäußerung nicht die Würde anderer Menschen verletzt werden. Also muss bei antisemitischen Äußerungen eingeschritten werden.
Zu den Auftritten ausländischer Politiker sagt das GG eigentlich nichts. Aber es ist schon ein Prioblem. Vor Jahren trat Erdogan in Deutschland auf. Mir sind ein paar Formulierungen im Gedächtnis geblieben. Zu den zuhörenden Türken: "Ihr seid Türken und bleibt Türken, egal was die Deutschen sagen. Assimilation ist gegen die Menschenwürde. Wenn jede Türkin drei Kinder zur Welt bringt, dann wollen wir mal sehen, wer sich integrieren muss." Inzwischen überträgt man nicht einmal eine Rede von ihm auf einen Leinwand.
Zum Art. 8 GG hat mir das Innenministerium ausweichend geantwortet. Ich glaube, die haben die Frage nicht verstanden oder sie wollten sie nicht verstehen.
Der Badesee war auch ironsich gemeint.
Man sollte schon unterscheiden zwischen (durch das Ausland gesteuerte) politischer Aktivität (für oder gegen eine ausländische Regierung) und einer Freizeit-Aktivität.
Angeblich ist der Islamverband Ditib politisch neutral. Doch der Moscheeverein betreibt nationalistische Werbung für den türkischen Präsidenten Erdogan
wer einen deutschen pass besitzt,hat die deutsche staatsangehörigkeit und darf dämon-strieren.
Völlig richtig. Deshalb sind Ideen wie den Pass entziehen völliger Blödsinn.
Auf diese Formulierung könnten sich antisemitisch eingestellte Palästinenser berufen.
Witzig. Palästinenser sind nämlich Semiten und können nicht antisemitisch sein,ohne nicht gegen sich selbst zu sein.
Ich glaube nicht, dass Kinder in Gegenwart ihrer Eltern zu foltern durch irgendwas zu rechtfertigen ist und von irgendwas eine Konsequenz sein kann und darf.
In welcher Stadt?