War die Bahn früher pünktlich?

12 Antworten

Sie war anders organisiert und das ermöglichte vieles, was heute nicht mehr möglich ist. Es ist aber schwierig, nur auf die Verspätungszahl zu klopfen, ohne zu sehen, was heute vom Bahnbetrieb erwartet wird und was damals so unterwegs war.

Ich empfehle an der Stelle dieses Video von Gustav Richard:

https://www.youtube.com/watch?v=qhdHJJTZfx8

Heute kommen viele Probleme zusammen. Sparmaßnahmen in der Instandhaltung, miserable Qualität an gelieferten Neufahrzeugen. Ein viel größerer Konkurrenzkampf um das Personal, der zu generellem Personalmangel führt. Eine viel schlechtere Einsetzbarkeit des Personals durch die Aufspaltung in verschiedene Geschäftsbereiche, sodass kein Lokführer von Regio mehr für Cargo einspringen kann, obwohl vielleicht sogar noch eine Lizenz fürs Fahrzeug da wäre, was aber auch zunehmend unwahrscheinlicher ist. Mit dem Rollmaterial ist es da gleiche. Ich kann heute keine Güterzuglok mehr als Ersatz für eine defekte Regio-Lok einsetzen, weil anderes Unternehmen. Früher ging das.
Gleichzeitig ist der Sparkurs aber vorprogrammiert, wenn vorgeschrieben ist, dass sich auf eine Streckenausschreibung europaweit beworben werden können muss. Das führ dazu, dass sich zum einen alle gegenseitig unter den Tisch bieten und auch, dass sich Unternehmen aus vielen Ländern plötzlich in jeder kleinen Strecke auf dem Land zur Konkurrenz für unser Staatsunternehmen entwickeln. Wie gut das läuft... auch nicht besser. GoAhead Bayern wurde kürzlich von der ÖBB übernommen, Metronom hat die Auflösung seines Verkehrsvertrages angefordert, die Länderbahn hat seit Jahren massive Probleme mit Personal und Pünktlichkeit, Abellio ging pleite... und es gewinnen die Ersatzverkehrsbetreiber mit Lokomotiven und Wagenmaterial aus den 1960er Jahren (WFL, TRI, etc.).

Was haben wir davon? Die Ausschreibungen sind da, fordern ständig Neufahrzeuge (unter anderem, weil die alten kein WLAN haben - dafür bräuchte es keine Neufahrzeuge). Dann werden Neufahrzeuge bestellt, die alten wegen Betreiberwechsel abgestellt. Und dann verkehren aber erst zwei Jahre Lokwendezüge mit n-Wagen, weil die Neufahrzeuge entweder nicht fristgerecht geliefert werden oder absolut untauglich auf die Schiene kommen und keine Zulassung bekommen. Früher hat die Bundesbahn zusammen mit den Herstellern getestet und entwickelt. Die Entwicklungen waren auch schwierig und voller Kinderkrankheiten. Aber viele Fahrzeuge von damals sind heute noch zuverlässiger als die heutigen. Heute steht viel gutes Rollmaterial in den Abstellungen oder wird verschrottet, weil von Politik und Verkehrsverbünden nicht mehr akzeptiert.

Auch wird an jeder Ecke eine Taktverdichtung gefordert. Aber selbst wenn das überhaupt noch geht, erhöht das die Störungsanfälligkeit erheblich. Und so hangeln wir uns von einem Dilemma ins nächste.

Weder war früher alles ultimativ besser, noch ist die DB heute verantwortlich für alles, was verkehrt läuft.

Nitram  01.03.2024, 18:42

Wie wahr. Ich war 50 Jahre bei der DB in der Signalunterhaltung.

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Von Experte Giovanni47 bestätigt

Ich habe nur Erfahrungen aus der Zeit von ca. 1977 bis in die Gegenwart. Früher fuhren die Züge im Schnitt deutlich pünktlicher als heute. Und das, obwohl damals noch häufiger als heute auf verspätete Anschlusszüge gewartet wurde, was ja Verspätungen gewaltig streuen kann. (Allerdings waren die Fahrzeiten nicht immer so knapp kalkuliert.)

Damals gab es vor allem noch mehr Personal vor Ort, welches sich mal eben fix um Störungen kümmern konnte. Wenn heute das Stellwerk feststellt, dass eine Weiche nicht funktioniert, fahren da viele Stunden bis Tage keine Züge drüber, bis sich da mal jemand drum kümmern kann. Wenn ein Zug technische Probleme hat, wird der heute viel häufiger erstmal aus dem Verkehr gezogen, so dass es auf der Bahnlinie den ganzen Tag zu Ausfällen kommt. Früher gab es dann häufiger handwerklich oder technisch kundiges Zugpersonal oder Bahnhofspersonal, welches häufiger Störungen stehenden Fußes beseitigen konnte. Manchmal half auch nur ein Ölkännchen.

Zudem konnte man früher auch häufiger auf Ersatzzüge und Ersatzloks zurückgreifen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Von Experte rotesand bestätigt

Mag sein, dass die Züge zu Zeiten der Bundesbahn pünktlicher waren, aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Zur Realität der Bundesbahn gehört auch, dass deutlich weniger Züge als heute fuhren, dass auf vielen Strecken von Samstagnachmittag bis Montagmorgen der Zugverkehr komplett eingestellt wurde, und dass die Bundesbahndirektionen weitgehend ohne Beteiligung der Länder oder der betroffenen Kommunen über das Zugangebot im Nahverkehr (und die Stilllegung ganzer Strecken) entscheiden konnten.

Heute gibt es auf vielen Strecken ein erheblich besseres Zugangebot (in der Regel Taktfahrplan, auch am Wochenende), durch die Regionalisierung des Nahverkehrs können die Länder bzw. Verkehrsverbünde selbst über den Umfang des Zugangebots entscheiden, und auch das Durchschnittsalter der eingesetzten Fahrzeuge ist deutlich niedriger als zu Bundesbahnzeiten.

mineralixx  04.02.2024, 20:15

Dass früher werniger Züge fuhren ist eine unbewiesene Behauptung. Einfach mal das Kursbuch/Sommerfahrplan von 1969 nehmen und nachschauen. Da fuhren z.B. auf der Strecke zw. Koblenz und Mainz (D-Züge und heute IC-Züge ausgenommen) gerundet 40% mehr Züge! Genauso z.B. Hamburg-Altona - Westerland sowie Fulda - Frankfurt. Es gab keine Streiks - und Zugausfälle waren äußerst selten. Es gab an kleineren Bahnhöfen noch Fahrkartenverkauf, Gepäckaufbewahrung usw.

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Rolf42  04.02.2024, 20:43
@mineralixx

Grundlage meiner Aussage sind meine persönlichen Erfahrungen, die ich in den 1980ern und frühen 1990ern auf verschiedenen Strecken im Nahverkehr vor allem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gemacht habe.

Dabei erinnere ich mich an Strecken, auf denen es tagsüber Fahrplanlücken von 2 Stunden (oder auch mehr) gab. Manche Anschlüsse funktionierten wegen des fehlenden Taktfahrplans nur ein- oder zweimal am Tag, und der letzte Zug fuhr oft auch erheblich früher als heute.

Natürlich gab es auch damals schon Strecken mit einem ähnlich dichten Fahrplan wie heute (oder sogar dichter), aber es war nicht die Regel.

Meine Sammlung alter Kursbücher befindet sich leider an einem ein paar hundert Kilometer entfernten Ort, sonst könnte ich meine Angaben auch damit belegen.

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Dreamdrummer  06.02.2024, 10:57
@mineralixx

Zwischen Hannover und Hamburg oder rund um Köln mag das sein, aber fahr mal von Kassel nach Gera oder von Nürnberg nach Stuttgart. Auf solchen "Nebenfernstrecken" wurde früher spätestens um 20 Uhr der Bahnsteig hochgeklappt.

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Nitram  01.03.2024, 18:44

Das mit der Zugdichte in der Bundesbahnzeit zu heute bezweifle ich stark.

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In meiner Gegend war sie immer pünktlich. Wir hatten damals auch eine bessere Anbindung an München. Heute braucht man mindestens 120 min dahin, vorausgesetzt die Bahn ist pünktlich, was aber oft überhaupt nicht der Fall ist, wenn nicht gleich der Zug ganz ausfällt. Damals gab es morgens einen Zug, in dem man in 90 min hinkam. Wir hatten hier einen Eilzughalt, danach kamen auf 122 km Strecke nur noch 5 Halte und kein Umstieg. Heute sind das 15 oder mehr Haltestellen.

(derzeit dauert die Strecke nach München sogar 210 min, weil wieder mal Bauarbeiten und Schienenersatzverkehr ist. Früher ging das mit den Bauarbeiten viel schneller, aber heute dauert das ewig)

Bei der Bundesbahn gab es in jedem größeren Kontenpunkt Lokführer die eine Schicht nur als "Bereitschaft" hatten, meist haben die dann Loks in die Werkstatt gebracht, oder sind für kurzfristig erkranke Lokführer eingesprungen, es kam aber auch schon mal vor dass eine "Hilfslok" für einen liegengebliebenen Zug schnell startbereit sein musste. Diese Lok stand natürlich schon bereit, da ja die Bundesbahn Güter und Personenzüge gemischt gefahren hat, hatte jeder Lokführer alle Ausbildungen und konnte auch zwischendurch mal mit einer Güterzuglok einen IC zum Endbahnhof bringen.

Bereitschaften sind dem Rotstift der Bahnprivatisierung und den BWLern zum Opfer gefallen, ebenso die Ersatzparks, Ersatzloks und Reservetriebwagen. Wenn ein Lokführer heute krank wird, fallen eben Züge den ganzen Tag über aus, krachts am Bahnübergang fällt der Umlauf eben bis auf weiteres aus, ganz einfach.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
Nitram  01.03.2024, 18:50

Dem mit den BWLern stimme ich voll und ganz zu. Da kommen Leute mit Diplom von der Uni setzten "Duftmarken" und bekommen eine Einsparprämie und verschwinden zum Quartalsende zu der nächsten Stelle.

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