Stimmt Ihr Hippel zu: Der ideologische Mitläufer sitzt weniger am Stammtisch, sondern eher im Hörsaal.

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Stimmt 29%

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7 Antworten

Stimmt nicht

Die Grundbeobachtung, dass Menschen in ihrem Denken oft stark durch soziale Zugehörigkeit beeinflusst sind, teile ich durchaus – auch William von Hippels Hinweis auf die soziale Funktion unseres Denkens hat eine solide psychologische Basis. Aber der daraus gezogene Schluss, gebildete Menschen seien ideologisch anfälliger oder weniger realitätsnah als weniger Gebildete, greift viel zu kurz – und vermischt dabei „Bildung“, „Intelligenz“, „Status“ und „Meinungskonformität“ auf problematische Weise.

Erstens: Es ist wichtig zu unterscheiden, was mit „Bildung“ eigentlich gemeint ist.

Geht es um formale Bildung – also Schul- und Studienabschlüsse? Oder um geistige Reife, Urteilsfähigkeit und kritisches Denken? Denn das ist nicht automatisch dasselbe. Ein Hochschulabschluss sagt wenig über die Fähigkeit aus, unabhängig zu denken, Ambiguitäten auszuhalten oder Ideologien zu hinterfragen.

Zweitens: Intelligenz – verstanden als die Fähigkeit zu analysieren, zu abstrahieren, zu reflektieren – kann genau das Gegenteil von ideologischer Anfälligkeit bewirken. Der wirklich intelligente Mensch wird gerade nicht einer Meinung zustimmen, nur weil sie im Hörsaal oder am Stammtisch populär ist. Er vergleicht Behauptungen mit Fakten, stellt Fragen, prüft Widersprüche – und denkt eigenständig. Das ist der Unterschied zwischen sozialem Anpassungsdenken und geistiger Souveränität.

Drittens: Die Annahme, dass sozial höhergestellte Menschen per se stärker zur Selbstzensur neigen, weil sie mehr zu verlieren haben, ist zu pauschal. Entscheidend ist nicht der Status, sondern die Frage, wo der Mensch seine Identität verankert.

– Wer sich im Außen definiert (durch Prestige, Anerkennung, Gruppenzugehörigkeit), wird anfälliger für Meinungskonformität sein – unabhängig von Bildung oder Beruf.

– Wer sich im Inneren verankert (durch Reflexion, innere Wahrheit, Gewissen), denkt freier – auch unter Druck.

Viertens: Die Pauschalierung, dass komplexe Ideen wie z. B. humanitäre Zuwanderung oder Klimapolitik „intellektueller Blödsinn“ seien, entlarvt weniger den intellektuellen Überbau dieser Positionen, als vielmehr die Unfähigkeit, komplexe Zusammenhänge differenziert zu betrachten. Realität ist nicht immer einfach – und „gesunder Menschenverstand“ ist kein Ersatz für wissenschaftliche, ethische und historische Auseinandersetzung.

Ob jemand am Stammtisch sitzt oder im Hörsaal, sagt wenig über seine geistige Freiheit aus. Entscheidend ist, ob er denkt – oder nur übernimmt, ob er sich traut, zu widersprechen – auch der eigenen Gruppe.

Wahre Intelligenz zeigt sich dort, wo Denken unabhängig vom sozialen Preis möglich ist. Das ist selten – aber weder vom Bildungsgrad noch vom Beruf abhängig.


Inkognito-Nutzer   11.06.2025, 14:32

Vielen Dank für deinen sehr differenzierten Beitrag (insb. Bildung und Intelligenz, was die Meisten User hier nicht überrissen bekommen).

Dein Schlusssatz gefällt mir sehr gut:

Wahre Intelligenz zeigt sich dort, wo Denken unabhängig vom sozialen Preis möglich ist. Das ist selten – aber weder vom Bildungsgrad noch vom Beruf abhängig.

Das hätte hier ja wirklich eine interessante Frage sein können, wenn du deine schwachsinnigen eigenen Bewertungen nicht hättest einfließen lassen. Das gebildete Menschen im Schnitt mehr über gesellschaftliche Konsequenzen nachdenken erscheint mir mehr als logisch. Beispielsweise deine Formulierung "Klimapanik" hat aber nichts mit subjektiven Wertungen zu tun, denn menschengemachter Klimawandel ist wissenschaftlich eindeutig belegbar und zumindest eine Sorge diesbezüglich mehr wie angebracht. Wer das nicht versteht ist wirklich ausgesprochen dämlich und nur an mangelnder Bildung kann das dann nicht liegen. Dann glaube ich auch nicht, dass es mehr "Judenhass" in den gebildeteren Bevölkerungsschichten gibt, was für ein unsinniges Pauschalurteil! Und niemand wünscht sich unkontrollierte Zuwanderung, gebildete Menschen können i.d.R. aber differenzieren, dass Themen wie Asylrecht wichtige Grundpfeiler der Demokratie sind, was aber eben nicht bedeutet, dass wir Flüchtlinge unbegrenzt aufnehmen können und hier mehr Steuerung benötigen.

Stimmt nicht

So kann man sich seine intellektuellen Defizite natürlich auch schönreden...


Inkognito-Nutzer   11.06.2025, 14:34

Lies dir bablbrabl123 Beitrag mal durch. Selten liest man auf GF so etwas differenziertes und sachliches.

Stimmt nicht

Das mit dem Judenhass bzw. den Pro-Palästina Demos an Unis (und übrigens auch Schulen) lässt sich ganz anders erklären: dort ballen sich viele junge Leute die zu viel Zeit auf Tiktok verbringen und dort mit russischer und chinesischer, aber eben auch islamistisch-terroristischer Propaganda zugeschüttet werden.

Mitläufer sitzen, würde ich mal behaupten, überall. In der Uni, am Stammtisch, hinterm Taxisteuer und im Lehrerzimmer.

Ob sich sozial anpasst und auch die eigene Meinung anpasst hat etwas mit dem Charakter des einzelnen Menschen zu tun und nicht mit seinem Bildungsstand.

Die Tatsache, dass früher viele Akademiker auf weniger gebildeten Mensch rumgehackt haben, gesagt haben sie könnten sich keine eigene Meinung bilden und seinen zu faul zum selbstdenken, hat die Debatte nach der du hier fragst glaube ich angestoßen.

Viele Menschen, die nicht studiert haben, waren verärgert weil man ihnen etwas so grundlegendes wie denken abgesprochen hat und haben den Spieß umgedreht.

Ich finde beide Aussagen verallgemeinern das menschliche Wesen viel zu sehr.


Inkognito-Nutzer   11.06.2025, 14:26
Mitläufer sitzen, würde ich mal behaupten, überall. In der Uni, am Stammtisch, hinterm Taxisteuer und im Lehrerzimmer.

Deswegen steht in der Frage auch ,,eher".

Nur kurz. Vieles ist davon bekannt, allerdings ist die Schlussfolgerung, dass deshalb Judenhass oder eine angebliche Klimapanik an Universitäten anzutreffen ist, und implizit woanders nicht, Unsinn.

Die ideologische Anfälligkeit führt bei Gebildeten häufig zu einer statusbasierten Konformität, die aus Angst vor sozialem und, in einer kapitalistischen Gesellschaft, materiellem Abstieg entsteht

Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass es nicht auch andere Formen der Radikalisierung vorhanden sind. Die beiden größten Diktaturen in der Sowjetzeit und der Nazi-Zeit sind ja mitnichten von Intellektuellen getragen oder gar initialisiert worden.