Ein Jahr BSW: Gekommen um zu bleiben?
Seit Oktober 2023 ist klar: Wagenknecht und die Linke gehen getrennte Wege. Vier Wahlen später blickt das BSW auf eine Erfolgsserie zurück. Das hängt mit der Popularität der Namensgeberin zusammen. Aber nicht nur damit.
Sahra Wagenknecht wirkte angespannt an diesem Oktobertag vor genau einem Jahr. Hinter der Bundestagsabgeordneten und ihrer bisherigen Partei lagen quälende Monate eines Trennungsprozesses. Nun aber besiegelte die Politikerin den Bruch mit der Linken. Zugleich gab sie die Gründung eines Vereins bekannt. Mit dem Ziel, eine neue Partei zu gründen: das Bündnis Sahra Wagenknecht.
"Wir leben in einer Zeit weltpolitischer Krisen", sagte die Bundestagsabgeordnete damals in der Bundespressekonferenz. Es gebe immer mehr Kriege - mit großem Eskalationspotenzial, so Wagenknecht. "Und ausgerechnet in dieser Zeit hat die Bundesrepublik die wohl schlechteste Regierung ihrer Geschichte."
Die Neugründung als historische Mission: Das ist der Anspruch, der schon bei diesem ersten BSW-Auftritt erkennbar wurde. Mit auf dem Podium saß unter anderen Amira Mohamed Ali, wie Wagenknecht bis dato bei der Linken: "Wir wollen nicht tatenlos zusehen, dass immer mehr Menschen sich enttäuscht von der Demokratie abwenden." Wagenknecht ergänzte, das BSW solle auch eine "seriöse Adresse" für diejenigen sein, die sonst AfD wählen würden. Christian Leye, der jetzige BSW-Geschäftsführer, gab die Losung aus: "Wir sind gekommen, um zu bleiben."
Wie das gelingen soll? Erstens mit einer linken Sozial- und Wirtschaftspolitik. Im BSW-Programm finden sich dazu Forderungen wie die, "Lohndrückerei" zu verhindern und die Tarifbindung zu stärken. Zweitens verlangt das BSW ein Ende der Waffenlieferungen für die angegriffene Ukraine sowie mehr Einsatz für Friedensverhandlungen. Drittens will die neue Partei ungeregelte Einwanderung stoppen. Eine Mischung aus linken und konservativen Positionen in einem Programm: Das ist neu im Parteiensystem der Bundesrepublik.
"Grundsätzlich trifft das erstmal einen Nerv", stellt der Parteienforscher Constantin Wurthmann im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio fest. Die Menschen in Deutschland seien im Schnitt eben wirtschafts- und sozialpolitisch "ein bisschen linker orientiert", aber in gesellschaftspolitischer Hinsicht "ein bisschen konservativer". Insofern schließe das BSW tatsächlich eine "inhaltliche Lücke", so der Wissenschaftler vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung.
Darin dürfte ein Grund für die Wahlerfolge liegen, die das BSW inzwischen eingefahren hat. Bei der Europawahl im Juni schaffte es die Wagenknecht-Partei aus dem Stand bundesweit auf mehr als sechs Prozent der Stimmen. Im Herbst dann erzielte das BSW zweistellige Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Zudem kommt der neuen Partei in allen drei Ländern eine Schlüsselrolle bei der Suche nach einer Regierungsmehrheit zu.
Allerdings hat auch die AfD bei den zurückliegenden Landtagswahlen gut abgeschnitten, wurde in Thüringen sogar stärkste Kraft. Bisherige Umfragen deuten darauf hin, dass das BSW eher im Stimmenreservoir von Linken, SPD oder Union fischt.
Demgegenüber steht eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap zur Brandenburg-Wahl. Demnach haben fast ein Drittel der BSW-Wähler angegeben, sie würden sich ohne BSW auf dem Wahlzettel zurzeit für die AfD entscheiden. Ob Wagenknecht also ihr Ziel erreicht, der AfD im großen Stil Wähler abspenstig zu machen: Das ist einstweilen eine offene Frage.
Fest steht: Der Persönlichkeitsfaktor spielt für BSW-Wähler eine große Rolle. Bei der Europawahl gaben fast 80 Prozent von ihnen an, ohne Wagenknecht würden sie die neue Partei nicht unterstützen. Das ist wenig überraschend, schließlich ist das BSW ganz auf seine Namensgeberin zugeschnitten. Was sich beispielsweise im Merchandising der neuen Partei zeigt. Ob Taschen, Tassen oder Shirts: Das alles ist jeweils mit Wagenknecht-Konterfei online erhältlich.Politisch relevanter als Fanartikel sind allerdings die innerparteilichen Strukturen. Wie das BSW auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios mitteilt, hat die Partei zurzeit 922 Mitglieder. Es gibt einen Bundesvorstand mit Wagenknecht und Mohamed Ali an der Spitze. Mittlerweile haben sich zwölf Landesverbände gegründet, zuletzt in Baden-Württemberg.
So werden neun Monate nach der Gründung erste Risse im BSW erkennbar. Wagenknecht hat ein Interesse daran, mit unverfälschtem Markenkern in die kommende Bundestagswahl zu ziehen - Regierungsbeteiligungen auf Landesebene könnten dieses Ziel gefährden. Wolf scheint dieses Risiko nicht zu scheuen. Hinter den Kulissen wird offenbar hart gerungen. Ausgang: offen.
Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bsw-wagenknecht-partei-100.html
- Was haltet Ihr nach dem ersten Jahr von der neuen Partei?
- Werdet Ihr dem BSW bei der kommenden Bundestagswahl Eure Stimme geben?
- Wieso? / Wieso nicht?
8 Antworten
Sahra Wagenknecht kontrolliert jede noch so kleine Regung in "IHRER" Partei.
So wie man es von einer Altstalinistin erwarten kann
Okay, das war viel zu lesen.
Grundsätzlich ist mir die Wagenknecht sympathisch. Sie redet Klartext und sagt Dinge, die sich andere nicht trauen würden. Und ich bin selbst auch einer der größten Kritiker was die Waffenlieferungen betrifft. Die Frage ist, ob ich die Ukraine einfach so fallen lassen würde. Wenn man sich Putins Rhetorik so anschaut, dann ist man bei einer Einstellung der Waffenlieferungen noch weit entfernt von einem Frieden.
Ich werde der BSW meine Stimme diesmal wohl nicht geben. Entweder wähle ich wieder eine Kleinpartei wie die ödp(sind aber leider nicht zugelassen), die Piraten oder die Humanisten. Aber wahrscheinlich werde ich sogar aus taktischen Gründen diesmal seit langem wieder die SPD wählen. In der Hoffnung, dass sie keine erneute große Koalition eingehen. Eigentlich überlegen ich, wie ich am geschicktesten gegen die von mir verhasste Union und die AfD wählen kann. Meine vorher recht hohen Sympathiewerte für die Grünen und sie FDP sind deutlich gesunken.
Ich finde die BSW distanziert sich deutlicher von der russischen Regierung, als es die Medien oder sie anderen Politiker einsehen oder zugeben wollen. Die Frage ist weniger, ob die Partei Sympathien für Putin hegt, sondern viel eher, wie sie ihm durch ihr Handeln ungewollt in die Karten spielen würde. Es ist eine seltsame Partei. Dort scheint Weitsicht und Naivität sehr dicht beieinander zu liegen. Vielleicht würde ich die Partei genau deswegen nicht wählen.
Dankeschön! Ich bemühe mich immer, differenziert zu analysieren, was aber oft dazu führt, dass ich falsch verstanden werde oder sogar mit viel Gegenwind konfrontiert werde.
Danke. Ich finde deine Beiträge immer bereichernd. Kann nur nicht so ganz einschätzen, wo du politisch stehst.
Ich finde Deine Antworten bereichernd, aber bin weder Mathematiker, noch Musiker, noch introvertiert.
Meine Beiträge sind ein Potpourri aus aktuellen Themen und nicht immer ist meine Themenauswahl mit meiner persönlichen Meinung verknüpft. Ich bin ein Newsman und manchmal geht es schlicht um Klicks.
Wie hier:
https://www.gutefrage.net/diskussion/die-endgueltige-antwort-auf-alle-penis-fragen
Wenn ich sowas im politischen Kontext mache wird gerne böse etwas hineininterpretiert. Aber ich bin halt kein Troll der Suggestivfragen stellt. Die Inflation dieser hier nervt mich ebenfalls.
Trotzdem habe ich auch Meinungen und manchmal positioniere ich mich klar.
Aber das kann man nicht anhand meiner Themenauswahl analysieren, sondern eher anhand meiner Antworten.
Und was ich klar sagen kann ist, dass ich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein Linker bin. In der Gesellschaftspolitik hingegen ist das nicht so klar. In der Drogenpolitik bin ich liberal. Sobald es in Richtung Religion, Wokeness, LGBTIQ geht findest Du mich auf der konservativen Seite.
Ich hoffe das konnte zur Einschätzung beitragen.
https://www.gutefrage.net/jahresrueckblick/77bb1f809ee5cdc1dae68ce016d830a6
Okay, danke für die Einblicke. Ich bin in manchen Punkten auch konservativ. Grundsätzlich stören mich oft irgendwelche coolen Trends, die oft auch gar nix mit Politik zu tun haben. Ich fand zu Beispiel "Harlem Shake" immer nervig. TikTok ist mir auch zu blöd. Mit gefällt auch der "Wenn ich mich zu Demokratie, Toleranz, Antirassismus etc. bekenne, dann bin ich ganz toll"-Trend nicht! Siehe meine Frage: https://www.gutefrage.net/umfrage/wieder-ihr-euch-mit-solchen-gesellschaftlichen-statements-ablichten-lassen
Die Partei steht vor dem Dilemma, daß die Vorsitzende sich nicht klonen kann. Einerseits will sie alles selbst in der Hand haben, sie ist gewissermaßen das Parteiprogramm in Person, andererseits kann die Partei nur Bestand haben, wenn die Basis wesentlich breiter aufgestellt ist.
Das zweite Dilemma ist die Frage, ob man lieber für einen Politikwechsel steht oder für eine Beteiligung an einer Altparteienregierung. In Thüringen hat man den zweiten Weg gewählt und einer wackligen Koalition unter einem blassen, unpopulären Ministerpräsident zur Macht verholfen. Wenn es der Spitzenkandidatin Katja Wolf nicht gelingt, dieser Regierung den eigenen Stempel aufzudrücken, wird sich der aktuelle Abwärtstrend des BSW noch fortsetzen.
Ich bin mir sicher, dass man sich Beteiligungen an Landesregierungen so früh nicht gewünscht hat. Aber das gehört halt zur Verantwortung einer seriösen Partei dazu.
Was haltet Ihr nach dem ersten Jahr von der neuen Partei?
Ich glaube ihr immer noch nicht ihren Migrations- Kurswechsel. Wirtschaftspolitisch sind sie gar nicht so schlecht und dieser Identitäre Unsinn hört endlich auf.
Werdet Ihr dem BSW bei der kommenden Bundestagswahl Eure Stimme geben?
Wäre das Migrationsthema nicht so drängend, dann ja. Wenn ernsthafte Konzepte von der Partei kommen, würde ich es mir nochmal überlegen.
Wieso? / Wieso nicht?
Aktuell können wir noch etwas gegen die den Schritt Richtung Mittelalter machen. Spätestens wenn die Babyboomer das zeitliche gesegnet haben, schließt sich das Fenster. Jede Partei die dieses Thema nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit angeht, ist in meinen Augen nicht mehr wählbar.
Ich glaube noch immer dem alten Slogan aus Bill Clintons erster Amtszeit: "It's the economy, Stupid!".
Die Wirtschaftspolitik ist der Dreh- und Angelpunkt - auch bezüglich Migration. Wer will die denn, wenn nicht die Wirtschaft? Das gute Herz der grünen Gutmenschen wird lediglich missbraucht. Zudem leben die nicht in Verhältnissen in denen Migranten eine Armutskonkurrenz darstellen.
BSW ist das, was die Linke früher war, bevor sie grün wurde. Deswegen auch der Umstand, dass sie mehr Zustimmung erfährt als die Partei die Linke. Es stellt sich daher die Frage, wer sich von wem abgespalten hat, wer das Original ist, wer die Inhaltsänderer.
Die Personalie Wagenknecht garantiert, dass dieses originale Links nicht wieder in ein grünes Pseudolinks zurückfällt. Schlussendlich ist es tatsächlich eine auf ihre Person zugeschnittene Bewegung, man weiß jedoch so, woran man bei dieser Partei ist, wofür sie (sie und ihre Partei) steht. Das ist definitiv nicht bei allen Parteien so.
Kann ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen.
Nach langer Zeit in der SPD bin ich in die Linke gewechselt, aber bestimmt nicht für Gendern und Veganfraß.
Coole und differenzierte Antwort. Much appreciated! 👌