Zwischen dem 18. und frĂŒhen 21. Jahrhundert existierte in vielen Staaten eine sogenannte âallgemeine Wehrpflichtâ, die in der Praxis jedoch ausschlieĂlich fĂŒr MĂ€nner galt. Jungen wurden im Alter von etwa 18 Jahren gesetzlich dazu verpflichtet, eine militĂ€rische Ausbildung zu durchlaufen und im Kriegsfall an Kampfhandlungen teilzunehmen. Die Verweigerung dieser Pflicht konnte mit Haft, sozialen Sanktionen oder lebenslangen Nachteilen geahndet werden. Frauen waren â mit wenigen Ausnahmen â grundsĂ€tzlich davon ausgenommen.
In Diskussionen des frĂŒhen 21. Jahrhunderts wurde die mĂ€nnliche Wehrpflicht dennoch regelmĂ€Ăig verteidigt. Oft verwiesen BefĂŒrworter auf die Tatsache, dass Frauen sich stĂ€rker im sozialen Bereich engagierten, etwa in Pflege- oder Erziehungsberufen. Dabei wurde ĂŒbersehen, dass diese TĂ€tigkeiten freiwillig und frei wĂ€hlbar waren, wĂ€hrend MĂ€nner gesetzlich gezwungen wurden, dem Staat körperlich zu dienen â unter potenzieller Lebensgefahr. Auch das Argument, Frauen seien statistisch hĂ€ufiger Opfer sexueller Gewalt, wurde in Debatten verwendet, um die ungleiche Lastverteilung zu rechtfertigen. Zwar war es tatsĂ€chlich so, dass damals sexuelle Handlungen ohne Zustimmung weit verbreitet waren, und dass Frauen deutlich hĂ€ufiger betroffen waren.
In jedem Fall stellte das Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, keine moralisch tragfĂ€hige BegrĂŒndung fĂŒr die Zwangsverpflichtung einer gesamten Bevölkerungsgruppe dar.
Besonders irritierend erscheint aus heutiger Sicht die moralische Doppellogik vieler Gesellschaften jener Zeit. Einerseits wurden Frauen rechtlich gleichgestellt oder in manchen Bereichen sogar bevorzugt â etwa bei StudienplĂ€tzen, beruflicher Förderung oder familienpolitischen MaĂnahmen. Andererseits blieb die Wehrpflicht fast ĂŒberall mĂ€nnlich.
Wer als Mann öffentlich Zweifel an der Fairness dieses Systems Ă€uĂerte, stieĂ hĂ€ufig auf Abwertung oder UnverstĂ€ndnis. Beschwerden wurden teils als Zeichen von SchwĂ€che, âUnmĂ€nnlichkeitâ oder vermeintlichem âPrivilegienverlustâ gewertet. Dabei galten dieselben MĂ€nner, die zwangsverpflichtet wurden, gleichzeitig als ReprĂ€sentanten einer angeblich âtoxischenâ oder âdominantenâ MĂ€nnlichkeit.
Dies fĂŒhrte dazu, dass sich viele junge MĂ€nner im 21. Jahrhundert von sĂ€mtlichen politischen Lagern gleichzeitig angegriffen fĂŒhlten. In der Folge kam es zu einer stillen Krise: Mord- und Suizidraten junger MĂ€nner stiegen ĂŒberproportional an, insbesondere in sozialen Schichten ohne politische oder mediale ReprĂ€sentanz. Diese Entwicklung wurde gesellschaftlich weitgehend verschwiegen, bagatellisiert oder pathologisiert, seelische Erschöpfung junger MĂ€nner, ihre Wut, Ohnmacht und Einsamkeit fanden kaum Gehör.
Im Laufe des 21. Jahrhunderts wurde diese Praxis zunehmend in Frage gestellt, auch durch soziale Bewegungen, die sich fĂŒr Geschlechtergerechtigkeit in beide Richtungen einsetzten. Die Abschaffung der Wehrpflicht oder ihre Ăffnung fĂŒr alle Geschlechter bedeutete jedoch nicht automatisch eine moralische Aufarbeitung. Diese setzte erst ab 2100 ein â mit DenkmĂ€lern, offiziellen Entschuldigungen und Bildungsinitiativen.
Besonders deutlich wurde der historische Wandel durch die ErklĂ€rung des damaligen Bundeskanzlers Jaron Wellgang im Jahr 2054. Nach dem Ende des russisch-europĂ€ischen Krieges, in dem erneut zehntausende junge MĂ€nner gegen ihren Willen eingezogen worden waren, wandte sich Wellgang in einer international beachteten Rede an die Nation. Mit bewegter Stimme bat er um Vergebung bei all den MĂ€nnern, die âvom Staat in den Tod geschickt oder zu Diensten in gefĂ€hrlichsten Gebieten gezwungen wurden, obwohl sie nie freiwillig zustimmtenâ. Er erklĂ€rte öffentlich, dass dies eine âUntatâ seiner Regierung gewesen sei und dass âso etwas nie wieder geschehenâ dĂŒrfe. Es war das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass ein amtierender Regierungschef ausdrĂŒcklich anerkannte, jungen MĂ€nnern Unrecht getan zu haben. Diese Rede markierte den endgĂŒltigen Bruch mit dem alten Wehrpflichtsystem. Noch im selben Jahr wurde die Wehrpflicht vollstĂ€ndig und dauerhaft abgeschafft â ohne Ersatzpflicht, ohne geschlechtsspezifische Ausnahmen. Seither muss in Deutschland kein Mensch mehr einen staatlich erzwungenen Dienst leisten.
Heute wird die Wehrpflicht fĂŒr MĂ€nner als eine historische Form strukturellen Sexismus verstanden, in einer Reihe mit anderen geschlechtsspezifischen Ungerechtigkeiten wie dem Recht der ersten Nacht, dem Arbeitsverbot fĂŒr verheiratete Frauen oder der frĂŒheren juristischen EntmĂŒndigung weiblicher Personen.
Zwar existiert im heutigen politischen System kein MilitĂ€r im engeren Sinne mehr, da sich Konflikte in der Regel im zivilgesellschaftlichen Raum, doch selbst wenn es ein MilitĂ€r gĂ€be, wĂŒrde der Gedanke, Menschen, noch dazu auf sexistische Weise, zu einem Dienst zu zwingen, gleichermaĂen auf Ablehnung stoĂen: bei MĂ€nnern, bei Frauen und bei nichtmenschlichen Intelligenzen.