Ist Sexarbeit moralisch vertretbar – oder wird sie nur deshalb moralisch abgelehnt, weil Sex gesellschaftlich so stark aufgeladen ist?

9 Antworten

Ist Sexarbeit moralisch vertretbar ... Ich frage mich, ob Sexarbeit wirklich unmoralisch ist

Nein, Sexarbeit ist meines Erachtens NICHT per se unmoralisch.

Entscheidend ist, dass die Sexarbeit wirklich freiwillig und einvernehmlich ausgeübt wird. Wenn das der Fall ist, ist Sexarbeit ein legitimer Beruf.

Geld oder Vorteile gegen Sex ist in jeder Kultur verbreitet und ergibt sich oftmals fast wie von alleine. Nicht umsonst wird Prostitution das "älteste Gewerbe der Welt" genannt und da dürfte was dran sein.

Der Grenze zwischen sexuellen Gefälligkeiten gegen Aushaltenlassen, Geschenke, Versorgung bis hin zur klaren Prostitution ist ohnehin nicht sauber zu ziehen, sondern sehr verschwommen.

Gleichwohl sollte man bedenken, dass Moral ohnehin nur ein gesellschaftsinterner Kodex ist, um das Zusammenleben zu vereinfachen. Es gibt keine absolute Moral, sondern Moral ist abhängig von Religion, Kultur und Tradition und je heterogener eine Gesellschaft wird, desto unklarer und kleiner wird die gemeinsame Moral.

Multikulti bedeutet auch immer multiple Moralvorstellungen und je mehr sich Religionen und Kulturen mischen, desto weniger moralischer Kern bleibt übrig, desto willkürlicher wird Moral letzendlich.

Eine Frage, ob X moralisch ist, kann man daher nur für sich selbst oder nur für eine bestimmte Kultur beantworten, nicht aber pauschal für alle.

In vielen Kulturen wird Sex mit Liebe, Reinheit ... verbunden. 

Mit Liebe ja. Das sehe ich auch so. Sehr viele Menschen haben Sex nur mit Menschen, mit deinen sie in einer Beziehung sind.

Mit Reinheit? Eher nein. Das mag ein religiös verbrämtes Idealbild sein, aber in der Realität erkenne ich nichts, was Sexualität und Reinheit miteinander verbindet. Fast alle haben mehrere Sexualpartner im Leben, fast alle haben Sex aus Lust. Wo Reinheit da Platz finden soll, ist mir schleierhaft. Schon was "Reinheit" genau sein soll, ist eher unbestimmt, oder?

oder eher ein kulturelles Tabu, das wir übernommen haben?

Ja, Prostitution ist religiös tabuisiert und diese alten Tabus sind auch in wenig gläubigen oder ungläubigen Kontexten durch Tradition noch vorhanden.

Ich kann allerdings gut nachvollziehen, dass es solche Tabus gibt. Sexualität ist für sehr viele Menschen eben etwas sehr Intimes, das dem eigenen Partner vorbehalten ist. Gerade im Kontext von Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten ergibt das ja auch grundsätzlich erst einmal großen Sinn und bis vor wenigen Jahrzehnten waren Treue und Exklusivität die einzigen probaten Mittel, sich wirklich sicher davor zu schützen.

Warum wird nur bei Sexarbeit ständig über emotionale oder psychische Belastung gesprochen? Es gibt so viele Berufe – Pflege, soziale Arbeit, sogar Einzelhandel – die Menschen psychisch kaputt machen. 

Ja, da hast du recht. Das ist reine Heuchelei. Diejenigen, die am meisten gegen Sexarbeit sind, sorgen sich in Wahrheit am wenigstens um die Prostituierten, sondern um ihre eigene, ach-so-hochgehaltene Moral.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Lebenserfahrung

Marwin388 
Beitragsersteller
 16.06.2025, 14:20

Findest du, dass, selbst wenn Sexarbeit gesellschaftlich eine andere Rolle hätte es trotzdem nichts daran ändert, dass Frauen in solchen Zusammenhängen oft ausgenutzt werden oder als etwas „Falsches“ dargestellt werden, also als untergeordnet gegenüber Männern, weil patriarchale Machtverhältnisse weiterhin bestehen und unterstützt werden?

Kajjo  16.06.2025, 14:25
@Marwin388
 dass Frauen in solchen Zusammenhängen oft ausgenutzt werden

Also das finde ich definitiv nicht. Bei Tantramassagen zum Beispiel wird die Masseurin ganz sicher nicht ausgenutzt oder benutzt, sondern sie ist in Kontrolle und verwöhnt den Gast. Das ist 100% einvernehmlich und seriös.

Auch Escort-Service ist meist völlig einvernehmlich und gehoben und die Dame weiß ganz genau, was sie bieten will und was nicht.

Dagegen würde ich schon sagen, dass Laufhäuser/Bordelle eher dazu tendieren, dass die Damen Dinge machen müssen, die nicht immer zu 100% einvernehmlich oder frei gewählt sind.

Man muss die verschiedenen Arten von Sexarbeit schon unterscheiden.

oder als etwas „Falsches“ dargestellt werden

Na ja, das passiert natürlich aufgrund der Moralvorstellungen des Verurteilenden. Das wird man wohl nie zu 100% vermeiden können. Manche gucken auch auf Putzfrauen oder Müllmänner herab.

als untergeordnet gegenüber Männer

Nein, das sehe ich nicht so. Zumal es ja auch männliche Prostitution gibt.

Ich sehe da keine größere Unterordnung als bei vielen anderen Dienstleistungsberufen auch, völlig unabhängig vom Geschlecht.

Marwin388 
Beitragsersteller
 16.06.2025, 14:31
@Kajjo

Ich finde den Job trotzdem gefährlich, weil es leider Männer gibt, die Frauen in der Sexarbeit sexuell missbrauchen oder schlecht behandeln – obwohl diese Frauen ihre Dienste freiwillig anbieten. Außerdem höre ich immer wieder, wie manche Männer diese Frauen als minderwertig oder weniger wertvoll bezeichnen. Das macht die Situation für viele Frauen noch schlimmer und zeigt für mich aber, wie stark patriarchale Einstellungen hier wirken.

Kajjo  16.06.2025, 23:12
@Marwin388
 den Job trotzdem gefährlich

Klar, manche Jobs in der Sexarbeit sind gtefährlich. Aber wie du selbst schon in der Titelfrage geschrieben hast ("viele Jobs sind emotional belastend"), so gilt auch hier , "viele Jobs sind gefährlich". Ob nun Feuerwehrmann, Polizist, Sprengmeister... gibt viele Jobs, die deutlich gefährlicher als Sexarbeit sind.

wie manche Männer diese Frauen als minderwertig oder weniger wertvoll bezeichnen

Das mag so sein -- aber wie gesagt, dasselbe wird auch über Putzfrauen oder andere einfache Berufe gesagt. Was irgendwer sagt, ist ja nicht der Maßstab.

Abgesehen davon denke ich, dass drastisch (!) mehr Frauen Prostituierte abwerten als Männer. Wenn ich richtig hinhöre, dann finden erheblich mehr Männer Sexarbeit in Ordnung als Frauen.

wie stark patriarchale Einstellungen hier wirken.

Ich glaube, mit den patriarchalen Strukturen hast du dich verrannt. Ich sehe da so gut wie keinen Zusammenhang.

Fast keine Frau, ausser ein paar, macht diesen Job wirklich freiwillig. Entweder wegen Menschenhandel oder geldnot, oft gibt es keinen anderen Ausweg. Die Freier können sich nie sicher sein, ob die Frau, die sie bezahlen es wirklich will, 10 mal am Tag es mit einem anderen zu tun. Allein deshalb ist zumindest der Sexkauf sehr unmoralisch

Finde es durchaus vertretbar da es tatsächlich Menschen gibt die es gerne für Geld tun.

Gibt sogar Menschen die darauf angewiesen sind um überhaupt sexuelle Kontakte zu haben. Z.B. zum Teil Menschen mit Behinderung.

Es ist anrüchig und tabu... und damit eben schon immer ein spannendes Thema zum drüber lästern. Und das wird sich auch nicht ändern. Egal wie aufgeschlossen eine Gesellschaft wird.

Außerdem frage ich mich: Warum wird nur bei Sexarbeitständig über emotionale oder psychische Belastung gesprochen?

Faktisch falsch. Es wird auch bei anderen Berufen darüber gesprochen. Aber der Zusammenhang ist schon immer ein anderer - ganz einfach weil die Belastung eine andere ist. Sex zu haben ist einfach etwas sehr intimes - auch wenn man es beruflich macht.

Ein Job als zb Altenpfleger ist auch emotional anstrengend - aber nicht intim für die pflegende Person!

Wenn Sexarbeit freiwillig, sicher und respektvollgeschieht – warum soll sie dann unmoralisch sein?

Ja. Wenn.... Aber ob das wirklich immer alles so freiwillig, sicher und respektvoll ist, ist oft nicht ganz klar.

Nicht falsch verstehen, JEDER Mensch sollte sein Geld so verdienen dürfen wie er möchte. Aber sehr viele haben auch einfach keine Alternative und müssen so arbeiten. Und deren Kundschaft ist das üblicherweise vollkommen egal. Sie sehen es eher dann als Chance für sich um den Preis auch noch zu drücken


Marwin388 
Beitragsersteller
 16.06.2025, 14:08

Ich kenne jemanden, der Sexarbeiter ist, und er sagt, dass er(sie) diesen Beruf ausübt, weil er damit doppelt so viel verdienen kann wie ein Arzt. Das sehe ich auch so. Was sagst du zu der Aussage ?

lynnmary1987  16.06.2025, 14:30
@Marwin388

Ja, kann funktionieren eine Zeitlang. Aber bestimmt nicht ewig und sehr viele die so einer Arbeit nachgehen haben schwere, psychische Folgen zu erwarten.

Und wer dann nicht auch noch über gewisse finanzielle Intelligenz besitzt um mit dem Verdienst langfristig etwas erwirtschaften zu können....kannst dir ein drei Fingern abzählen, dass so was selten gut ausgeht.

Ich denke die Rolle von Sex hat viel damit zu tun, dass Sexarbeit so abgelehnt wird, da es eben etwas Besonderes sein soll und nichts, was man erkaufen sollte, vor allem da man häufig unfreiwillig in die Branche kommt. Dieser Zwang ist ein wahres Problem.

Aber selbst wenn es eine andere Rolle hätte, ändert es nichts daran, dass Frauen bei sowas oft ausgenutzt werden oder als etwas falsches dargestellt werden, also als etwas unter dem Mann gestellt, da es patriarchalische Machtverhältnisse unterstützt.

Zudem kann man Sexarbeit trotzdem ablehnen, da so der Mensch, Mittel für ein fremdes Ziel ist und man das kritisieren kann, auch wenn es freiwillig geschieht.


Marwin388 
Beitragsersteller
 16.06.2025, 14:14

Du hast wichtige Punkte angesprochen, vor allem den Zwang und die Ausbeutung, die es leider oft in der Sexarbeit gibt. Gleichzeitig argumentieren manche Menschen, dass es eben auch viele gibt, die Sex einfach haben wollen – und dafür keinen anderen Weg sehen, weil sie sonst keinen Zugang dazu haben. Diese Frauen bieten dafür eine Möglichkeit, die von manchen auch respektiert wird.

Und sexarbeit bingt soo viel Geld .

Und es gibt Leute die sagen:

Sexualisierung und Machtverhältnisse sind das Kernproblem – nicht die Sexarbeit selbst.
Denn auch Frauen, die beispielsweise ein Kopftuch tragen und sich bewusst gegen sexuelle Freizügigkeit entscheiden, werden trotzdem sexualisiert und mit männlicher Macht konfrontiert. Das zeigt, dass es nicht um die Entscheidung der Frauen oder um Sexarbeit an sich geht, sondern um ein tief verwurzeltes gesellschaftliches Machtgefälle, in dem Männer Sexualität kontrollieren und Frauen oft als Objekte wahrgenommen werden.
Daher sollte die moralische Debatte nicht auf Sexarbeit und die Frauen, die darin tätig sind, fokussieren, sondern auf das zugrundeliegende Machtverhältnis und die patriarchalen Strukturen, die Sexualität und Körper kontrollieren und bewerten.

Was sagst du dazu ?

Rosabaer  16.06.2025, 14:20
@Marwin388

Das Argument, dass sie Sex einfach wollen, finde ich schwierig. Nur weil man es will, heißt es nicht, dass man es sofort durch Geld bekommen soll. Es ist zwar ein Bedürfnis, aber genauso kann eine Umarmung es sein und trotzdem bekommt man diese nicht unbedingt. Manche Dinge brauchen Zeit und sollten nicht einfach so zugänglich sein. Diese Frauen bieten zwar eine Möglichkeit, aber selten freiwillig und wenn, dann auch nur wegen dem von dir erwähnten Geld. Dieses Geld könnten sie gar nicht bekommen, wenn es nicht Männer geben würde die dafür zahlen. Wieso gibt es nicht auch das Gegenteil?

Und es stimmt, das Kernproblem liegt nicht an der Sexarbeit selbst, sondern daran, dass diese überhaupt möglich ist und unterstützt wird. Das liegt an den patriarchalen Strukturen und Machtverhältnissen. Diese sind so lange da, dass es akzeptiert wird und somit Sexarbeit möglich ist ohne dass es als ein großes Problem gesehen wird. Sonst wäre es längst komplett verboten.