Wer von Euch hat "L'amour toujours" schon einmal mit verändertem Text mitgesungen und warum?
Auch Wochen nach der Empörung über das Sylt-Video wird der Eurodance-Hit "L'amour toujours" mit Neonazi-Parolen gegrölt - auf Partys, in der Schule, bei der Fußball-EM. Es ist nicht der erste Fall, bei dem ein Lied umgetextet wird.
Das sogenannte "Sylt-Video" steht für viele exemplarisch für die Verknüpfung des Partylieds mit der rechtsextremen Parole. Dabei war Sylt längst nicht der erste Vorfall. Recherchen der NDR-Medienredaktion ZAPP zeigen, wie die Neonazi-Parole schon seit langem zu "L'amour toujours" gesungen wird, wie sie ihren Weg aus Neonazi-Kreisen in die Mitte der Gesellschaft fand - und wie sie sich immer weiter ausbreitet.
Dass populäre Musik missbraucht wird, um rechtsextreme Ideologien zu verbreiten, ist keineswegs neu. Schon in den 1920er-Jahren hat sich die nationalsozialistische Bewegung Arbeiterlieder angeeignet. Auch nach der NS-Zeit passierte das immer wieder: Vor 20 Jahren wurden etwa auf den Udo Jürgens-Schlager "Mit 66 Jahren" Holocaust-verherrlichende Parolen getextet. Der Versuch verfolgt stets das gleiche Ziel: rechte Positionen in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.
Verändert hat sich hingegen die Strategie. Die Neue Rechte arbeite inzwischen mehr mit Humor, sagt Mario Dunkel, Professor für Musikpädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Durch die ironische Ebene, könne "man immer wieder einen Schritt zurückgehen und sagen: Das war nicht so gemeint", erklärt Dunkel. "Man kann eine extrem rechte Botschaft senden und gleichzeitig sagen: Das war doch nur ironisch."
In ganz Deutschland wird inzwischen die rechtsradikale Parole zu "L'amour toujours" gesungen, in allen Bundesländern, in allen Gesellschaftsschichten, auf Partys, in der Schule, bei der Fußball-EM. ZAPP hat bei allen Landeskriminalämtern, bei Staatsanwaltschaften und einer Meldestelle für Rechtsextremismus angefragt sowie zahlreiche Medienberichte gesammelt. Bis Anfang Juli 2024 wurden insgesamt 389 Fälle medial oder polizeilich erfasst. Das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Ob die Parole aus vermeintlicher Ironie, Provokation oder Überzeugung gesungen wird, ist dabei nebensächlich. Jeder einzelne Vorfall trägt die rechtsextreme Position weiter in die Mitte der Gesellschaft.
Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/sylt-gigi-dagostino-rechtsextreme-100.html
38 Stimmen
8 Antworten
Wo man grölt, da lass dich nicht nieder,
denn böse Menschen haben böse Lieder.
Hallo vanOoijen,
abgesehen davon, dass ich mich altersbedingt längst nicht mehr der Fraktion der feierwütigen Partytiere zurechne, weiß ich, was ich meinem Ruf als "links-grün-Versiffter" schuldig bin und da ich außerdem über einen m. M. halbwegs funktionierenden moralischen Kompass verfüge, verbietet es sich mir selbstverständlich, Parolen rechtsextremer Provenienz mitzugrölen, selbst wenn diese getarnt im Gewand eines harmlosen Popsongs daherkommen und sich daher leicht als "feucht-fröhlicher Fetenspaß" verharmlosen lassen.
Denjenigen, die sich bislang noch nicht mit den "braunen Schmuddelkindern" gemein gemacht haben, da sie deren Welt- und Menschenbild "eigentlich" nicht teilen, sollte jedoch klar sein, dass sie eine Parole grölen, die, wie von dir bereits erwähnt, während der 1980er Jahren im neonazistischen Milieu entstand; eine Parole, die unzweifelhaft menschenverachtend ist und daher nicht als Partyspaß, ironisches Zitat oder mit der Lust an der Provokation abgetan werden sollte.
Es stimmt mich sehr nachdenklich, wie viele Menschen - ohne geschlossen rechtsradikales bis -extremes Weltbild - sich nicht scheuen, auf jeden noch so kritisierenswerten "TikTok-Trend" auf- bzw anzusprigen, da sie anscheinend an einem Mangel an Empathie, Geschichts- und Unrechtsbewusstsein leiden und abgestumpft sind gegen ausländerfeindliche Ressentiments, die mittlerweile - unter anderem auch aufgrund verbaler Tabubrüche der AfD - leider zunehmend "gesellschaftsfähig" zu werden scheinen: hm, eine gute Vorbereitung auf das "großangelegte Remigrationsprojekt", das dem faschistoiden Ex-Geschichtslehrer/-verdreher Höcke vorschwebt?
By the way, ist es Zufall, dass Rechtsextreme mit "L'amour toujours" gerade eine "Ode an die Liebe" von GIGI D'Agostino gekapert haben: ich erinnere an den in rechtsextremen Kreisen wohl bekannten Song "Döner Killer" der Rechtsrock-Band "GIGI & die braunen Stadtmusikanten", der dem mörderischen NSU-Trio ein musikalisches Denkmal setzte...?!
Dankeschön für dein Lob, der mögliche Zusammenhang ist mir auch erst kürzlich aufgefallen, als ich im Rahmen eines Artikels über den NSU zufälligerweise über das erwähnte Machwerk gestolpert bin.
Hab noch einen entspannten Sonntag - mit oder ohne gf, liebe Grüße.
Das ist eine 5-Sterne-Top-Antwort, Garnet, die muss ich noch 3 Mal in Ruhe lesen = Verstehen ist kein Problem, aber mir mangelt's doch am Hintergrundwissen. Toll geschrieben, Garnet. 🖐😉👍
Guten Abend, Garnet, auf Deinen (guten) Gedankenanstoß hin habe ich mir das "Björn-Höcke-Video" (ARD) angeschaut und bin zumindest schon mal einen Schritt weiter. - Vielen Dank, Garnet, für diesen Hallo-Wach-Effekt. 😉👍 "Auch der Vorsitzende der AfD in Thüringen Björn Höcke spricht von einem "großangelegten Remigrationsprojekt" und "wohltemperierter Grausamkeit". Höcke ist nach Aussage von Experten Chefideologe der Partei."
Hallo Seren, nach dieser sicherlich höchst unerfreulichen Exkursion ins blau-braune Höcke-Universum wünsche ich dir von ❤- zen einen erfreulicheren Tagesausklang und einen guten Start in die neue Woche, liebe Grüße aus meinem "links-grün-versifften Mikrokosmos" 😉.
- Das widerspräche total meinen politischen und ethischen Überzeugungen.
- Ich finde solche Musik sowieso grässlich. Ich würde da so oder so nichts mitsingen/mitgrölen.
Ich habe es nicht einmal gehört. Halte mich generell fern von sozialen Medien.
... ehrlich gesagt, ich hab' diese musikalische Geschmacksentgleisung auch noch nie gehört, und ich bin gar nicht daran interessiert, diese Art von "Musik" in mein Dasein zu integrieren = und mitsingen.. ? NEVER. Niemals. 😉👍
Ist zum Meme mutiert. Wird man auch nie wieder wegbekommen.
Hab‘s trotzdem nie mitgesungen. Auch nie gehört - bis auf diese Twitter-Videos.
Großartige Antwort.
Und:
Interessanter Aspekt.