Lassen die Götter mit sich Handeln?

4 Antworten

Von Experte verbosus bestätigt
  • Polycrates … ingentes divitias sibi parabat ‘Πολυκράτης verschaffte sich immensen Reichtum’, dann steht da noch ein abl.abs., den ich mit Präpositionalausdruck auf­löse ‘nach dem Sieg über viele Feinde’, natürlich ginge auch ein Nebensatz ‘weil/nachdem er viele Feinde überwunden hatte’, oder Beiordnung ‘Πολυκράτης hatte viele Feinde besiegt und kam zu großem Reichtum’. Irgendwie verstehe ich nicht, warum parabat im Imperfekt steht, Plusquamperfekt würde doch besser passen.
  • appellabatur ‘er wurde genannt’ was wurde er er genannt felix ‘ein Glücklicher’. Das Imperfekt drückt hier wohl aus, daß die Leute ihn gewohnheitsmäßig für glück­lich hielten.
  • amicus … monuit ‘ein Freund ermahnte’ wen? eum ‘ihn’
  • dei … non sinunt ‘die Götter lassen nicht’, was sie nicht zulassen steht im AcI ‘daß die Menschen immer glücklich sind’
  • ‘Πολυκράτης fragte’, dann steht noch ein abl.abs. dabei, und da können wir wieder alle Varianten ausprobieren: unterordnend (‘nach­dem diese Worte gehört wurden’), beiordnend (‘diese Worte wurden gehört und …’) und mit Präpositionalausdruck (‘nach dem Hören dieser Worte’). Es bietet sich auch an, das ganze auf Deutsch aktiv auszudrücken: ‘nachdem er diese Wor­te gehört hatte’, ‘er hörte diese Worte und fragte’, ‘auf diese Worte hin fragte …’.
  • ‘was soll ich tun’, danach kommt eine Bedingungssatz si … cupio ‘wenn ich wün­sche’, und davon ist wiederum ein AcI abhängig ‘daß die Götter mir geneigt sind’
  • Der Freund antwortete.
  • Das Prädikat ist delige, ein Imperativ ‘wähle, suche aus’. Angesprochen ist natür­lich Πολυκράτης, der etwas auswählen soll, und zwar eam rem ‘diese Sache’, wel­che wird in einem Relativsatz erklärt quam …amas ‘die du am meisten liebst’, und außerdem gehört noch e divitiis tuis ‘aus deinen Reichtümern’. Nach dem et geht der Satz weiter mit einem neuen Imperativ abice ‘wirf weg’ und zwar quam longis­sime ‘so weit weg wie möglich’
  • Das Prädikat ist eris ‘du wirst sein’ mit dem Prädikatsnominativ felix ‘glücklich’. Non iam heißt ‘nicht mehr’. Dabei steht noch ein abl.abs. re amissa ‘nachdem diese Sache weggeworfen worden ist’, ‘nach dem Verlust dieses Gegenstandes’.
  • conciliabis ist ein Futur, also ‘So wirst Du Dir die Götter geneigt machen’, ‘So wirst Du die Gunst der Götter gewinnen’
  • Prädikat ist cepit, er nimmt oder ergreift etwas, nämlich ein consilium, er faßt also einen Entschluß. Davor steht ein abl.abs. sermone … habito ‘nachdem er diese Un­ter­haltung mit dem Freund geführt hatte’, ‘nach dieser Unterredung mit dem Freund’.
  • iaciam ist das Futur von iacĕre, also ‘ich werde meinen Goldring ins Meer werfen’
  • Er berichtete den Gefährten von diesem Entschluß.
  • Die Prädikate ist ascendit also ‘er bestieg’ was? navem ‘ein Schiff’ und nach dem et dann noch iecit ‘er warf’, nämlich den Ring ins Meer. Außerdem steht da noch ein abl.abs., und danach ein tamen, also ist der Ablativ konzessiv aufzulösen: ‘ob­wohl die Freunde lachten’, ‘trotz dem Lachen der Freunde’ oder sogar beiordnend ‘die Freunde lachten, aber trotzdem bestieg …’

Damit sind wir durch, und wir übersetzen das alles in anständiges Deutsch:

Nach dem Sieg über viele Feinde kam Πολυκράτης an riesige Reichtümer; deshalb pfleg­ten die Leute ihn glücklich zu nennen. Aber ein Freund ermahnte ihn: „Die Götter las­sen es nicht zu, daß die Menschen dauerhaft glücklich sind. Πολυκράτης hörte die­se Worte und fragte „Was soll ich tun, wenn ich will, daß die Götter mir günstig ge­sinnt sind?“ Der Freund antwortete: „Von deinen Reichtümern wähle denjenigen Ge­gen­­stand, den du am meisten liebst, und schleudere ihn so weit weg, wie Du nur kannst. Weil dieser Gegenstand verloren ist, wirst Du nicht länger glücklich sein; so wirst du dir die Götter geneigt machen“. Nach dieser Unterhaltung mit dem Freund faßte Πολυκράτης den folgenden Entschluß: „Ich werde meinen goldenen Ring ins Meer werfen“. Obwohl ihn seine Freunde auslachten, nahm er ein Schiff und warf den Ring die See.

Von den fünf ablativi absoluti in dem Text (fett in der Übersetzung) habe einen bei­ord­nend und je zwei als Nebensatz und Präpositionalausdruck aufgelöst. Beiordnung ist beim participium coniunctum im Nominativ der Standard, aber sonst generell die sel­tenere Wahl.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

verbosus  22.05.2024, 20:53
Obwohl ihn seine Freunde auslachten, nahm er ein Schiff und warf den Ring die See.

Hier fehlt ein kleines "in" -> in die See (ins Meer)

Weil dieser Gegenstand verloren ist, wirst Du nicht länger glücklich sein ...

Hier ist eine konditionale oder temporale Auflösung besser: Wenn/Sobald dieser Gegenstand verloren ist ...

Zum Imperfekt im ersten Satz: Lässt sich erklären als wiederholtes Geschehen (immer wenn er seine Gegner besiegt hatte, verschaffte er sich Reichtum). Dann ließe sich der abl.abs. sogar modal auflösen: Durch seine Siege über viele Feinde verschaffte sich Polykrates riesige Reichtümer. Die Wahl des Plurals (Siege) kennzeichnet dann den Sinn des Imperfekts zusätzlich!

LG

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indiachinacook  22.05.2024, 20:57
@verbosus

+++

Danke, daß Du mir mit dem Imperfekt aus der Patsche geholfen hast. Ich habe ja seit der Schule (80er) nichts mit Latein gemacht und übersetze nach dem Prinzip „Was Hänschen gelernt hat, verlernt Hans nimmermehr“.

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Hallo,

wenn du dich auf deine Arbeit vorbereiten willst, solltest du den Text erst einmal selbst übersetzen. Poste anschließend deine Übersetzung und dann schaue ich die mir heute Abend an und mache notwendige Korrekturen.

LG

Polycrates multis hostibus superatis ingentes divitias sibi parabat.

Nach der Überwindung vieler Feinde, verschaffte sich Polykrates große Reichtümer.

Itaque felix appellabatur.

Deshalb wurde er Glücklicher gerufen.

Amicus autem eum monuit: "Dei homines semper felices esse non sinunt."

Der Freund aber hat ihn ermahnt: Die Götter lassen nicht zu, dass die Menschen immer glücklich sind."

His verbis auditis Polycrates rogavit: "Quid facere debeo, si deos mihi conciliare cupio?"

Diese Worte waren gehört worden und dann fragte Polykrates: "Was soll ich tun, wenn ich wünsche, dass mir die Götter zuneigen?"

Amicus respondit: "E divitiis tuis eam rem, quam maxime amas, delige et quam longissime abice.

Ein Freund antwortete: "Von deinen Reichtümern, wähle die Sache aus, die am meisten liebst und wirf sie möglich weit weg.

Hac re amissa non iam felix eris. Ita deos tibi conciliabis!"

Nachdem Verlust dieser Sache wirst du nicht mehr glücklich sein. So wirst du dir die Götter zuneigen! 

Eo sermone cum amico habito Polycrates hoc consilium cepit:

Nachdem er diese Unterredung mit dem Freund hatte, fasste Polykrates diesen Entschluss:

"Meum anulum aureum in mare iaciam.

Meinen goldenen Ring werde ich ins Meer werfen.

Comitibus de consilio narravit.

Er hat seinen Gefährten über seinen Plan erzählt.

Eis ridentibus tamen navem ascendit et anulum in mare iecit.

Während sie lachten, bestieg er dennoch das Schiff und hat den Ring ins Meer geworfen. 

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – LK Latein

Wie soll man mit Göttern handeln, wenn es keine gibt lol