Einleitung: Der Ernstfall Galaxis
Andor will anders sein. Keine Jedi. Keine Macht. Keine Dualität aus Licht und Dunkel, sondern Grau, Politik, Machtkalkül. Es geht um die Rebellion – aber nicht als romantische Heldensaga, sondern als strukturierte Gegenbewegung, geboren aus Angst, Kontrolle und Ohnmacht.
Das klingt auf dem Papier mutig. Und viel davon ist es auch. Doch der Preis dieser Ambition ist hoch: Statt Star Wars erleben wir eine Serie, die oft eher an dystopische Regierungsdramen erinnert als an die weit entfernte Galaxis.
Ein treffender Vergleich dazu ist die US-Serie Paradise (2023) ebenfalls auf Disney+: Nach einem tödlichen Attentat auf den US-Präsidenten entfaltet sich eine politische Intrige, die moralische Abgründe, versteckte Netzwerke und ideologische Fronten zeigt – brillant gespielt, straff erzählt, hochspannend. Ganz ohne Jedi, ganz ohne Franchise. Und genau das macht die Serie ehrlich: Sie hat keine galaktische Bürde, die sie ignorieren oder vermeiden muss.
Andor hingegen trägt das Star-Wars-Label aber behandelt es wie ein lästiges Relikt.
Cassian Andor: Der Protagonist, der sich nicht erinnert, einer zu sein
Cassian ist ein Mann in Bewegung – aber keine Figur in Entwicklung. Zwei Staffeln lang reagiert er auf Ereignisse, wird verschleppt, ausgenutzt, gedrängt. Dass er der „Held“ sein soll, erfährt man vor allem aus dem Titelbildschirm.
Wo Revan in Kotor durch Erinnerung, Verrat und moralische Entscheidungen zu einer Ikone wird, bleibt Cassian emotional statisch. Es ist egal, ob er auf Ferrix ist oder in einem Gefängnis: Sein innerer Kompass bleibt unsichtbar. Keine Zweifel, keine Läuterung, keine klare Motivation.
Seine Rebellion ist das Ergebnis narrativer Notwendigkeit, nicht emotionaler Entscheidung.
Wenn Gespräche Handlung ersetzen
Ein zentraler Kritikpunkt an Andor sind für mich Dialoge – und nein, sie sind nicht „substanziell“. Sie wirken bedeutungsvoll, weil sie lang sind, weil sie flüstern, weil sie in dunklen Räumen geführt werden. Aber häufig sagen sie schlicht: nichts.
Beispiel: Mon Mothmas Auftritt bei einer Dekadenzveranstaltung auf Coruscant – unter einer Diskokugel (!) – wirkt, als hätte man aus einer House of Cards - Szene das Drama entfernt und nur den Textblock behalten. Statt Spannung entsteht Symbolinszenierung. Statt Figurenentwicklung: politisches Murmeln in Designerroben.
Paradise zeigt, dass politische Dramen klug und packend sein können – mit Dialogen, die zugleich Handlung, Figurenprofil und Konflikt transportieren. Dort sprechen Menschen mit Agenda. In _Andor_ sprechen sie in Kurznachrichten, die niemand abschickt.
Visueller Stilbruch: Wenn Star Wars aussieht wie Regierungsfernsehen
Einer der auffälligsten Kritikpunkte für mich an Andor ist seine Ästhetik – weil sie das Franchise praktisch negiert.
Wo früher LED-Blinken, Röhrenequipment und mechanische Konsolen prägten, finden wir Glasplatten, Headsets und Touchdisplays.
Statt vibrierender Cantinas oder maroder Rebellenschlupfwinkel betreten wir sterile ISB-Büros, deren Architektur eher an das Verteidigungsministerium erinnert als an einen Ort, an dem der Tod eines Planeten geplant wird.
Waffen wirken wie reale Prototypen. Blaster sind modernisierte Kalaschnikows. Und Raumstationen wie Hightech-Großraumbüros mit Betonlamellen.
Was fehlt, ist der „Used Universe“-Zauber, der einst dafür sorgte, dass sich selbst Tatooine echter anfühlte als unsere eigene Welt.
Struktur: Dramaturgie als Warteschleife
Man lobt Andor oft für seine „Erzähltiefe“. Aber was heißt das in der Praxis?
Drei Folgen Aufbau, eine Episode Spannung, zwei weitere Vorbereitung.
Dazwischen: Besprechungen, Flurfunk, Verhöre.
Wenn dann doch ein Ausbruch oder ein Überfall geschieht, ist das Momentum bereits durch Verlangsamung entkernt.
Natürlich braucht Politik Zeit. Aber Serie ist kein Whitepaper. Eine gute Geschichte lebt von Spannungen, Auflösungen, Reibung – nicht von narrativem Stillstand mit Nebelmaschine.
KOTOR und Paradise: Zwei Sterne am Dramaturgie-Horizont
Was Andor fehlt, beweisen zwei Werke, die das Gegenteil liefern:
KOTOR: politische Komplexität, moralische Dilemmata, spiritueller Tiefgang. Der Spieler entscheidet. Der Spieler leidet. Und jede Handlung verändert nicht nur den Charakter, sondern das Gefühl für die Welt. All das in einem Videospiel.
Paradise. eine Serie, die Macht als Konflikt, nicht als Kulisse erzählt. Figuren kämpfen nicht um Position, sondern um Wahrheit – mit Spannungsbögen, die wirklich biegen. Und das, obwohl die Serie sich kein Laserschwert ausleihen kann.
Fazit: Und wenn man das Star Wars abzieht, bleibt…?
Andor ist ein gut inszeniertes Politdrama – aber kein Star Wars.
Es gibt kein Staunen. Kein Mythos. Keine Gravitation.
Nur sterile Ästhetik, langatmige Gespräche und einen Protagonisten, der mehr beobachtet als handelt.
"Rebellion beginnt mit Hoffnung“ hieß es einmal.
Andor beginnt mit Lichtdimmung – und bleibt in der Dunkelkammer.