Latein Übersetzung richtig?

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solebat ist 3. Person Singular Indikativ Imperfekt Aktiv, also eine Vergangenheitsform. Das Präsens „gewohnt ist“ ist ein Tempusfehler.

Bei tristis ist es eine Deutungsfrage, ob das Adjektiv attributiv (so die vorgelegte Übersetzung) oder prädikativ verstanden wird. Ich ziehe wegen der Wortstellung eine prädikative Übersetzung vor.

Bei est ist es eine Deutungsfrage, ob dies als Vollverb (so die vorgelegte Übersetzung, „existiert“) oder als Hilfsverb (vox als Prädikatsnomen) verstanden wird. Ich bevorzuge eine Aufassung als Hfsverb, weil anscheinend das Gedicht als Stimme des Verbannten gekennzeichnet werden soll.

Beim Konditionalsatz (Bedingungssatz) si non liceat scribere ist mihi (aus dem vorhergehenden Hauptsatz) hinzuzudenken.

„Naso [Ovid = Publius Ovidius Naso], der gewohnt war, durch die Stimme anwesend zu sein, grüßt Graecinus vom Schwarzen Meer aus traurig mit einem Gedicht. Diese Stimme ist die Stimme des Verbannten: Der Brief gibt/bietet/gewährt mir Sprache, und wenn mir nicht erlaubt ist/sein sollte, zu schreiben, werde ich stumm sein.“

Konstantin51382 
Fragesteller
 08.05.2023, 20:34

Danke Dir! Was bedeutet es, ein Adjektiv prädikativ zu übersetzen? Du hast es so übersetzt, als wäre es ein Adverb, oder?

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Albrecht  08.05.2023, 20:53
@Konstantin51382

Bei einem prädikativen Adjektiv wird die Eigenschaft bzw. der Zustand, die bzw. den das Adjektiv ausdrückt, auf ein Prädikat bezogen.

Prädikatives „Ovid grüßt traurig“ kommt einem „Ovid grüßt als Trauriger“ gleich.

Ein Adverb wäre: „Ovid grüßt auf traurige Weise“.

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Konstantin51382 
Fragesteller
 08.05.2023, 20:50

War also im Grunde bis auf den Tempusfehler alles richtig? Bzw. zumindest nachvollziehbar, auch wenn andere Möglichkeiten naheliegender wären.

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Albrecht  08.05.2023, 20:55
@Konstantin51382

Sonst war nichts falsch, da die Deutung sprachlich möglich ist, auch wenn andere Möglichkeiten etwas näher liegen.

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Konstantin51382 
Fragesteller
 08.05.2023, 21:11
@Albrecht
["traurig grüßen im Übersetzungstext"] „spät zurückkehren“ (es handelt sich dann um die Wortart Adjektiv in einer Funktion als Adverbial). In der Geschichte der deutschen Grammatikschreibung sind diese letzteren Verwendungen jedoch oft als „Adverbien“ gesehen worden, und diese Redeweise hält sich auch in manchen heutigen Grammatiktexten weiterhin (auch unter dem Namen „Adjektivadverb“).

Also hatte ich nicht ganz unrecht. Ich habe nämlich gelernt, dass "traurig grüßen" ein Adverb sei, was aber gemäß Wikipedia falsch ist.

Es besteht also die Verwechslungsgefahr zwischen einem Prädikativum und Adverb - zumindest wenn man der "falschen" Definition Glauben geschenkt hat.

Im Nachhinein ist es klar: Es handelt sich eindeutig um ein Prädikativum (mit traurig wird der Zustand Ovids beschrieben) - wie du bereits gesagt hast.

Danke! Wieder was gelernt.

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Von Experte Miraculix84 bestätigt

Hallo,

deine Übersetzung enthält ein paar Fehler ... Den ersten Hauptsatz (Carmine Graecinum ... tristis ab Euxinis Naso salutat aquis.) hast du richtig übersetzt, allerdings würde ich "tristis" prädikativ übersetzen also: "Mit einem Gedicht grüßt Naso traurig Graecinus..." Die Übersetzung des Relativsatzes dagegen ist falsch, da du "praesens" so übersetzt hast, als sei es ein Infinitiv, der zu "solebat" gehört. Hier musst du gedanklich das Verb "salutare" ergänzen, also: "Mit einem Gedicht grüßt Naso, der dies in Anwesenheit mit seiner Stimme zu tun pflegte, [gemeint: der, als er noch nicht im Exil war, Graecinus persönlich im Gespräch zu begrüßen pflegte] seinen Graecinus vom Schwarzen Meer aus."

Die Übersetzung des zweiten Verses ist dir nicht ganz geglückt. Im ersten Teil ist "haec" Prädikatsnomen zu "est", also: "Des Verbannten Stimme ist dies: ...". Den Teil nach dem Doppelpunkt würde ich wie folgt übersetzen: "das geschriebene Wort (= littera, hier metonymisch zu verstehen) verleiht mir eine Zunge (lingua würde ich hier wörtlich übersetzen, denn es nimmt den Gedanken des ersten Verses wieder auf, dass Ovid Graecinus unter anderen Umständen persönlich mit gesprochenen Worten begrüßen würde). Im si-Satz hast du den Potentialis als Irrealis übersetzt, ersetze also "wäre" durch "sollte ... sein". Umständlich und überflüssig ist die Umwandlung des Infinitivs "scribere" in einen dass-Satz

Hier noch einmal die Übersetzung am Stück:

Mit einem Gedicht grüßt Naso, der dies in Anwesenheit mit seiner Stimme zu tun pflegte,seinen Graecinus vom Schwarzen Meer aus.

Des Verbannten Stimme ist dies: Das geschriebene Wort verleiht mir eine Zunge, und sollte es (mir) nicht erlaubt sein, zu schreiben, werde ich stumm sein.

LG

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Habe Latein und Französisch auf Lehramt studiert.
Konstantin51382 
Fragesteller
 09.05.2023, 17:47
"Mit einem Gedicht grüßt Naso traurig Graecinus..." 

Das ist meines Wissens nicht prädikativ sondern adverbial, also ein Adjektiv in einer Funktion als Adverbial. (Zumindest gemäß: https://de.wikipedia.org/wiki/Adverb)

Meine Lehrerin hat heute in der Besprechung die attributive Übersetzung vorgeschlagen - also beides richtig wahrscheinlich.

Danke für den Hinweis zum Relativsatz!

"haec" ist Prädikatsnomen zu "est"

Grammatisch ist meine Variante auch in Ordnung, es steht in KNG-Kongruenz zu "vox"?

Und nochmals: Danke!

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