Ist für euch jemand erst dann ein Verbrecher, wenn er verurteilt ist?
Meine Sicht: Eine Verurteilung ist nur das Label. Wenn jemand offensichtlich und eindeutig moralisch schuldig ist, ist er für mich ein Verbrecher - Auch, wenn er es "nur" billigt.
Es geht im eure persönliche Sicht.
PS: Ja, ich weiß, warum es Verbrecher heißt. Leider kenne ich kein anderes ähnlich wirkendes Wort.
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16 Antworten
Ein strafrechtlich Verurteilter...
Meine persönliche Meinung:
Ohne rechtskräftigen Urteil möchte ich niemanden vorverurteilen, weil ich die genauen Hintergründe nicht kenne.
Verbrecher hängt für mich im Alltagsgebrauch einzig von der Tat ab, nicht von einer möglichen Verurteilung oder irgendwelchen Tricks von Winkeladvokaten.
Juristisch ist das natürlich anders, aber das gilt ja für viele Dinge, die dem gesunden Menschenverstand entgegenlaufen.
In juristischer Hinsicht betrachtet, ist man noch nichteinmal mit einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer begangenen Straftat immer ein Verbrecher. Das liegt daran, dass bei Straftaten zwischen den sogenannten Vergehen, zum Beispiel Sachbeschädigung und "einfache" Körperverletzung und den "echten" Verbrechen, zum Beispiel schwere Körperverletzung, Raub und Mord, unterschieden wird. Alle Straftaten, worauf das Gesetz eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe vorsieht, sind Vergehen. Alle Straftaten, worauf das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorsieht, es die Möglichkeit von einer Geldstrafe oder von einer kürzeren Freiheitssrafe also nicht gibt, sind in juristischer Hinsicht "echte" Verbrechen.
In Deutschland, gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung, d.h. jemand gilt solange als unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt worden ist. Das nehme ich auch als persönlichen Maßstab dafür es sei denn, dass jemand gegenüber mir persönlich zugeben würde, dass er die Tat begangen hat.
Mfg
Für mich ist das keine theoretische Frage, keine moralphilosophische Diskussion und auch kein juristisches Konstrukt – sondern bittere Realität. Ich antworte als jemand, die mit 15 Jahren Opfer einer sexuellen Straftat wurde. Der Täter wurde später zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt – aber ich wusste vom ersten Moment an: das war ein Verbrechen. Und er war ein Verbrecher – auch ohne Urteilsspruch.
Natürlich – juristisch gilt: unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist. Das ist richtig und wichtig in einem Rechtsstaat. Aber mein Körper, meine Seele und mein Erleben haben keinen Richterspruch gebraucht, um zu wissen, dass da etwas passiert ist, das nie hätte passieren dürfen. Dass ein Mensch Grenzen nicht nur überschritten, sondern niedergetrampelt hat. Und dass das, was geschehen ist, nicht einfach nur "ein Fehler“ war oder "ein Missverständnis“, wie es später gerne relativiert wird – sondern ein Verbrechen.
Das Urteil war eine späte Bestätigung. Ein Etikett, das andere gebraucht haben, um zu verstehen, wie schwer das war. Für mich war es rückblickend eher ein offizieller Stempel auf etwas, das ich längst wusste: Ich war das Opfer. Er war der Täter.
Und ich möchte ganz offen sagen: Wer schweigt, wegschaut, verharmlost oder sogar billigt, macht sich für mich ebenfalls mitschuldig. Auch das habe ich erlebt – nicht jeder hat mir geglaubt, nicht jeder hat mich unterstützt. Manche haben weggesehen oder – schlimmer – verständnisvolle Worte für ihn gefunden. "Er war doch noch so jung." – "Vielleicht hat er es nicht so gemeint." – "Muss man das gleich zur Anzeige bringen?" Ja, muss man. Und ja – das macht jemanden zum Täter. Auch das Dulden, das Wegducken, das Tolerieren von Gewalt ist Teil des Problems.
Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft anfangen, Opfern zuzuhören, bevor Gerichte urteilen. Dass wir unterscheiden lernen zwischen "rechtlich bewiesen“ und "menschlich offensichtlich“. Und dass wir das Wort Verbrecher nicht nur dann in den Mund nehmen, wenn ein Richter "mit dem Hammer auf Holz" klopft, sondern wenn ein Mensch einen anderen absichtlich zerstört.
Denn ich bin nicht erst Überlebende, seit das Urteil kam. Ich war es vom ersten Tag an.
Und er war ein Verbrecher – vom ersten Moment an. Punkt.
Mich kotzt es heute noch an wenn ich z.B. in den Medien höre: Amoklauf, der "mutmaßliche" Täter - wenn es schon Offensichtlich ist!
Aber nein immer schön den Täter schützen! - Er hat ja Rechte!
Mich auch! Was mich auch wirklich nervt, ist, dass die Herkunft extrem betont wird. Warum ist das bitte wichtig?!
Wenn jemand "offensichtlich" und "eindeutig" schuldig ist, worin besteht denn dann der Unterschied zu "verurteilt"?
So ganz offensichtlich ist ein Verbrechen meist nicht, und ohne Ermittlungsarbeit kann man auch nicht "eindeutig schuldig" sein, insofern ist beides für mich nahezu dasselbe.
"Eindeutigkeit" kann es erst dann geben, wenn alle Details klar sind, und das geht nur durch polizeiliche Ermittlungsarbeit. Das Urteil ist nur der juristische Abschluss dieser Ermittlungsarbeit, es soll alle Details berücksichtigen. Es gibt keine Eindeutigkeit ohne Berücksichtigung aller Umstände.
Es tut mir leid, was du durchmachen musstest! Hoffentlich wird sich da was ändern!