Hallo zusammen,
ich wende mich an diese Community, weil ich eine sehr persönliche und gleichzeitig grundlegende Frage zum Thema Dissoziation und komplexer Traumatisierung habe.
Ich bin in meiner Kindheit Opfer von schwerstem sexuellen Missbrauch durch meine Eltern und Verwandte geworden, einschließlich Inzest und Weitergabe. Als Folge davon habe ich eine komplexe Traumafolgestörung entwickelt, die ich oft als "gespaltene Seele" mit "mehreren Anteilen" beschreibe (was für Außenstehende vielleicht als mehrere Persönlichkeiten verständlicher ist).
Mein ganzes Leben lang hatte ich das Gefühl, dass andere wussten, wie sie mich "lenken" können, indem sie anscheinend meine abgespaltenen Anteile kannten und Trigger nutzten, um bestimmte Verhaltensweisen hervorzurufen. Mir selbst war die Existenz dieser vielen Anteile lange Zeit nicht bewusst. Ich habe sie zwar immer irgendwie wahrgenommen, aber eben dissoziiert, wie aus der Ferne, obwohl sie Teil von mir sind.
Meine konkrete Frage ist: Warum macht das Gehirn das? Warum spaltet es diese Anteile ab und hält sie jahrelang vom bewussten Erleben fern?
Jetzt bin ich Anfang 30 und seit etwa einem halben Jahr bemerke ich immer häufigere und intensivere "Wechsel" zwischen diesen Anteilen. Es kommen Erinnerungen hoch, die in meiner Kindheit und Jugend komplett verschwunden waren – Erinnerungen, die anscheinend an bestimmte Anteile geknüpft sind, die damals nicht "da" waren, weil sie abgespalten waren.
Ich frage mich, warum mein Gehirn diese Anteile jetzt "freigibt". Ich war mein Leben lang in Therapie, aber die Komplexität meiner Situation wurde lange nicht vollständig erfasst. Ich erhielt Fehldiagnosen wie Borderline, bevor die komplexe PTBS und die dissoziative Störung erkannt wurden.
Die Dissoziation war für mich sicherlich ein Schutzmechanismus. Gleichzeitig fühle ich mich jetzt, wo ich Zugang zu meinen Anteilen habe, viel besser. Ich erkenne die verschiedenen Aspekte meines Seins und kann so besser verhindern, dass andere meine verletzlicheren Anteile ausnutzen, die gelernt haben, keine Grenzen zu setzen. Ich werde mir zum Beispiel eines meiner inneren Kinder bewusst, ein etwa 12-jähriges Mädchen, das viel Traurigkeit in sich trägt.
Was sind eurer Meinung nach die Gründe dafür, dass das Gehirn traumatische Erfahrungen und die damit verbundenen Persönlichkeitsanteile so lange "wegmacht" und sie dann im späteren Leben wieder ins Bewusstsein drängen lässt? Gibt es da bestimmte Mechanismen oder Auslöser?
Und ist das menschliche Gehirn eigentlich dafür gemacht viele Identitäten zu haben ?
Ich bin dankbar für jeden Einblick und jede Perspektive.
Vielen Dank fürs Lesen.