Europa hat sich in den letzten zehn Jahren in eine trügerische Sicherheit gewiegt.
Spätestens mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 hätte klar sein
müssen, dass Grenzen in Europa wieder mit militärischer Gewalt verschoben werden.
Dennoch wurde diese Bedrohung lange verdrängt, bis sie am 24. Februar 2022 mit dem
russischen Angriff auf die Ukraine unübersehbar wurde. Die Reaktionen – hektische
Beratungen, symbolische Gesten wie die Lieferung von 5000 Helmen und letztlich
zögerliches Handeln – zeigen, dass Europa die Jahre zwischen 2014 und 2022 nicht
genutzt hat, um seine Verteidigungsfähigkeit ernsthaft zu stärken.
Doch nicht nur Deutschland, sondern die gesamte Europäische Union hat in dieser Zeit
einen sicherheitspolitischen Rückstand aufgebaut, den sie heute nur durch
entschlossene Zusammenarbeit, wirtschaftliche Stärke und politische
Kompromissfähigkeit aufholen kann. In diesem Kontext gewinnt die Idee einer
gemeinsamen Europäischen Armee an Dringlichkeit.
Allein mit zusätzlichem Geld – sei es durch Eurobonds oder Haushaltskürzungen – lässt
sich die Bedrohung aus dem Osten nicht abwehren. Gegenwärtig bestehen 27
nationale Armeen in der EU, von denen viele nicht auf eine kollektive Verteidigung
Europas ausgelegt sind. Eine europäische Armee könnte die möglicherweise
schrumpfende Präsenz der Vereinigten Staaten ausgleichen und sich zugleich über
einen Sonderstatus strukturell in die NATO einfügen. Über ein gemeinsames
Verteidigungsministerium könnten zudem zentrale Projekte wie eine europäische
Luftverteidigung oder ein Satellitensystem effizienter organisiert werden.
Auch eine dringend notwendige Vereinheitlichung von Ausrüstung und Militärgerät
könnte durch eine europäische Armee forciert werden. Anstelle nationaler Alleingänge
würden abgestimmte Beschaffung, gemeinsame Ersatzteilversorgung und
standardisierte Instandhaltung die Einsatzfähigkeit im Krisenfall erheblich verbessern
und Ressourcen schonen.
Und um ein Fazit zu ziehen: Es ist völlig klar, dass eine europäische Armee viel
Kompromiss und noch mehr Kosten verursachen würde, aber im Anbetracht der
aktuellen Lage des europäischen Militärs, der möglicherweise schwindenden
Unterstützung durch die USA und der akuten Bedrohung aus dem Osten bin ich fest
davon überzeugt, dass eine gemeinsame europäische Armee für eine effektive
Abschreckung und auch eine potenzielle Verteidigung des Kontinents unerlässlich ist.