Warum können (oder wollen) viele Menschen keine echte Tiefe im Leben sehen?

4 Antworten

Selten stellt jemand eine so tiefgründige Frage. Deshalb beantworte ich sie gerne.

Ich sehne mich nach echter Verbindung - aber finde sie kaum.

Das bringt wohl die ganze Unzufriedenheit, die du beschreibst, auf den Punkt.
Unsere Gesellschaft ist weitgehend entwicklungstraumatisiert, - was zunehmend bekannter wird, weil die Folgen längst nicht mehr zu übersehen sind. Im Gefühl der Trennung statt der Verbundenheit zu leben ist jetzt "normal", und viele kennen die Verbundenheit, nach der sich im Grunde jeder sehnt, gar nicht. Stattdessen werden Pseudokontakte gepflegt mit dem Smartphone und anderen (materiellen und geistigen) Suchtmitteln. Auch streiten kann eine Notlösung sein, um ein Gefühl von Kontakt und Verbundenheit zu bekommen.
Unsere Nervensysteme haben aber von Natur aus die Fähigkeit, mit anderen Menschen im wohltuenden entspannten Kontakt zu sein und nährende Verbindungen einzugehen. Auf Initiative eines Trauma-Experten entstand das größte Selbsthilfenetzwerk für Persönlichkeitsentwicklung. Die Selbsthilfemethode, mit der wir wieder entspannten Kontakt und Verbundenheit erfahren können, heißt "Ehrliches Mitteilen". Ich mache das schon seit mehr als 1 Jahr und kann bestätigen, was in den folgenden Links gesagt wurde und geschrieben steht: "Ja, die Methode funktioniert!"

Eine andere Möglichkeit, die ich kenne, um mit gleichgesinnten Menschen in Kontakt zu kommen, wäre das online-Café einer Initiative, die u. a. durch den Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther entstand. (Der Link führt zum Vorstellungs-Video der Veranstaltungsreihe.)

Dem kann ich nicht zustimmen. Die meisten Menschen haben so oder anders Leid erfahren. Viele haben psychische Störungen, die sie ununterbrochen belasten. Viele sind süchtig, abhängig, und das ist die Hölle. Viele sind behindert auf die Welt gekommen. Viele - in die krasse Armut hinengeboren.

Um eine Tiefe zu haben, braucht mal eine Fläche 0, alles darunter ist tiefer. Auch um Höhen zu haben, braucht man dieses Niveau 0. Du willst das " oberflächliche " ablehnen, dabei ist das bloss die sichtbare Grenze zwischen Tief- und Hochgang. Es geht nicht ohne. Das ist der Halt in der Mitte der Psyche


Inkognito-Nutzer   02.06.2025, 14:57

Dein Bild mit der „Fläche Null“ gefällt mir gut, es bringt mich zum Nachdenken.

Und ich glaube, genau da liegt auch mein inneres Spannungsfeld:

Dass bei vielen Menschen die Fläche Null sehr weit oben angesetzt ist.
Also: Dass sie bereits tiefes Unwohlsein empfinden, wenn z. B. der Nachbar eine gelbe Hose trägt – oder wenn jemand mal „nicht freundlich genug“ schaut.

Ich habe selbst solche Beispiele im Umfeld erlebt –

und da frage ich mich manchmal:

Wie dünn muss die Haut des Alltags sein, wenn solche Kleinigkeiten schon als Leiden empfunden werden?

Und ja, vielleicht liegt das daran, dass manche zum Glück nie echtes Leid erfahren mussten.

Aber dann fehlt manchmal auch die Dankbarkeit, die Erdung, die Fähigkeit, Dinge in Relation zu sehen.

Das ist kein Vorwurf – sondern eher eine Beobachtung, die geistig schmerzt.

Weil ich eben weiß, wie sich echter Verlust, Angst, Tod und Ohnmacht anfühlen.
Und dadurch ist für mich vieles, was andere belastet, nicht belanglos, aber manchmal erschreckend unproportioniert.

Ich glaube, wir meinen also nicht ganz Verschiedenes –

nur blicken wir vielleicht aus zwei verschiedenen Tiefenwinkeln auf die gleiche Fläche.

Claphamroad  02.06.2025, 15:59
@Inkognito-Beitragsersteller

Nein. Die Kleinigkeiten triggern Menschen. Das sind nur Trigger, das Leiden wurde früher durch was anderes verursacht. "Nicht freundlich genug" triggert Menschen, die früher oft erniedrigt wurden. " Gelbe Hose" - man durfte sich nichts besonderes, auffalendes erlauben und wurde dafür ausgeschimpft, für schamlos erklärt, für einen Clown. Und jetzt darf ein anderer so was doch tun. So ungefähr läuft es ab.

Inkognito-Nutzer   02.06.2025, 18:05
@Claphamroad

Du hast völlig recht, dass viele sogenannte „Kleinigkeiten“ tieferliegende Wunden triggern – oft aus der Kindheit, aus Abwertung, Überanpassung oder chronischem Gefühl, „nicht genug“ zu sein.

Diese Muster prägen unser Erleben – und ja, sie können erklären, warum scheinbar Belangloses wie ein Blick oder eine gelbe Hose eine übergroße Reaktion auslöst.

Aber genau deshalb, finde ich, lohnt es sich zu unterscheiden:

Ob wir von alten Wunden getrieben sind –
oder ob wir bewusst leben und fühlen, was gerade ist.

Denn nicht jeder Trigger ist heilig. Und nicht jeder Schmerz bedeutet Wahrheit. Manchmal ist es schlicht: ein altes Programm, das weiterläuft – weil niemand je auf „Stopp“ gedrückt hat.

Natürlich darf man Mitgefühl haben mit Menschen, die durch alte Muster geprägt sind. Aber Mitgefühl heißt nicht, alles als gegeben hinzunehmen.

Man kann verstehen, warum jemand überempfindlich reagiert – und gleichzeitig sagen:

„Und trotzdem darfst du das lernen loszulassen.“

Denn geistige Reife bedeutet nicht, nie verletzt zu sein –

sondern zu erkennen, wann man aus alten Wunden lebt

und wann man frei daraus handeln kann.

Gerade deshalb ist es wertvoll, an dieser inneren Freiheit zu arbeiten:

  • Nicht alles persönlich nehmen
  • Nicht ständig im Defizit leben
  • Nicht andere herabwürdigen, nur um sich selbst zu stabilisieren
Wer mit sich selbst im Reinen ist, hat weniger Bedarf, andere klein zu machen.
Wer sich selbst angenommen hat, braucht keine Feindbilder.

Und das ist eine Reife, die man weitergeben kann – auch an Kinder.

Indem man ihnen nicht nur beibringt, stark zu sein, sondern auch mit sich selbst in Frieden zu leben.

Finde zur Spiritualität , ich weiß, dass das etwas abgedreht klingt , aber persönlich hilft es mir weiter die Welt anders zu betrachten. Ich habe angefangen einen Sinn im leben zu finden. Hope this helps:).


Reigel  02.06.2025, 20:01

Diese Antwort hätte vor ein paar Jahren noch auch von mir kommen können. Genauso dachte ich auch. Heute sage ich: "Spiritualität ist eine geistige Droge für Traumatisierte." Es ist wie ein Haus, dessen Keller unter Wasser steht, und man macht es sich im Obergeschoss gemütlich. Dass die Basis marode ist, merkt man vor allem an der Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen - so war es zumindest bei mir.

Inkognito-Nutzer   02.06.2025, 14:46

Habe ich schon. Aber das macht es nicht leichter, es macht es zwar leichter die Welt zu ertragen, wenn man die Wahrheit gefühlt erkannt hat - aber trotzdem ist es schwer entgegen seinem Inneren zu leben, weil es die Welt fast nicht zulässt in der Tiefe zu leben, sondern weil Funktionieren das A und O ist.

Dafür ist viel geistiger Aufwand nötig. Die Bedingungen in der Kindheit sind auch entscheidend.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Kein Fachwissen, aber Empathie.