Worin konkret unterscheidet sich das antizionistische Weltbild vom antisemitischen?
Wenn man sich etwas im englischsprachigem Raum umhertobt, wird man schnell hörig, dass man da eine willkürliche Trennung vollzieht und der Antizionist ab dem Moment Antisemitismus wittert, wenn jemand z.B sagt, dass die USA ebenfalls eine Kolonie "Israels" sei- so wie das Konsorten á la Mearsheimer propargieren z.B.
Da geht es einfach nur ums Abhängigkeitsverhältnis:
"Ja, die USA sind nach dem 2.WK nunmal der Hegemon und die USA sind hier diejenigen, die für alles Übel verantwortlich sind"
Gut, aber wir wissen, dass einige Antiamerikanisten verdeckte oder unbewusste Antisemiten sind. Da kommt es nicht darauf an, ob Israel von USA installiert wurde oder wie auch immer. Bei beiden Erzählungen sind es die Mächtige AIPAC und die jüdische/zionistische Elite, die die Geschicke der Welt lenken und die Welt bewusst ins Chaos stürzen. Schließlich hatten die Juden nach dem antizionistischem Weltbild so viel Macht, dass sie ein Kolonialprojekt starten konnten.
Warum sollten sie nicht nicht gleiche Macht besitzen, auch nicht das durchzuführen, wovon Antisemiten ausgehen? (Kultur zerstören, Leute Schwul, Transmachen...Migration als Waffe nutzen und und )
Jetzt ist selbstverständlich nicht jeder Antizionist Antisemit, doch gibt es eine Überlappung in der Gegenwart, was wir postkolonialen Studiengängen zu verdanken haben, in der der Westen und "der weiße Mann" für alles Leid verantwortlich sei. In diesem Weltbild wird der Zionist und somit 80% aller Juden auf der Welt in dem binärem System zu Tätern, welche das globalisierende System, den Kapitalismus, die Moderne perpetuieren, frei zum Abschuss erklärt. Die weiße Kolonialherrschaft, was sich über das Privateigentum definiert, erlangt eine ungeheuerliche Macht und eine totalisierende Kontrolle über sämtliche westliche Staaten und deren Medienstrukturen.
Der Antisemit geht mMn einen Schritt weiter und befreit den Westen, seinen Ländereien und deren Gesellschaften samt Eliten von jeglicher Verantwortung und sagt, dass das Abendland aber auch die USA, also der Westen, eine Kolonie "der 1% kabalistischen Elite" sei.
Es ist dann effektiv nicht die weiße kapitalistische (Kolonial-)Herrschaft mehr, sondern eine jüdische, da Juden keine Heimat hätten, parasitär wären und alle Ländereien unterdrücken.
Stimmt ihr zu, habt Ergänzungen oder widerspricht gar?
Lasset mich teilhaben.
1 Antwort
Ein antizionistisches Weltbild kann antisemitisch motiviert sein, muss es aber nicht. Das Verhältnis zwischen Antisemitismus und Antizionismus ist durchaus komplex, zumal selbst Zionismus antisemitisch motiviert sein kann (Wenn ein Staat die Schaffung Israels unterstützt mit der Hoffnung, dass die Juden dann endlich aus dem eigenen Land auswandern).
Ich denke der Historiker Moshe Zimmermann erklärt recht gut, ab wann es zu Überschneidungen kommt bzw. ab wann diese beiden Ideologien ineinander übergehen:
Wo aber fängt Ihrer Ansicht nach der Antisemitismus an?
Dann, wenn die alten Vorurteile gegen Juden die Grundlage für die Kritik an Israel werden; wenn die Begründung für den Boykott lautet, Juden versuchen die Welt zu beherrschen. Oder wenn man Israel auslöschen möchte. Ich beschäftige mich seit fast 50 Jahren mit Antisemitismus und seinen Erscheinungsformen. Glauben Sie mir, ich erkenne ihn, wo ich ihm begegne.
https://taz.de/Historiker-ueber-Israels-Zukunft/!5993204/
Wenn man Antizionismus mit einer grundsätzlichen Ablehnung eines ethnozentristischen Nationalismus begründet, ohne dabei doppelte Standards zu haben und ausschließlich jüdischen Nationalismus ablehnt, was ziemlich auffällig wäre, dann ist daran nichts antisemitisch. Es gibt ja schließlich auch Juden, die ein solches Weltbild vertreten, wie zum Beispiel der umstrittene Politikwissenschaftler und "Nestbeschmutzer" Norman Finkelstein. Für solche Menschen ist der Zionismus spätestens seit 1948 (Vertreibung der Palästinenser und anschließende Verweigerung der Rückkehr) nicht mehr mir ihren Werten vereinbar. Aus Sicht der Palästinenser und ihren Unterstützern handelt es sich bei der Nakba um eine ideologisch motivierte, systematische Vertreibung der indigenen Bevölkerung, um einen jüdischen Staat mit möglichst wenig Arabern zu schaffen und somit um eine Form des Siedlerkolonialismus. Natürlich ignoriert dieses Narrativ den Umstand, dass ein Krieg herrschte, den die Palästinenser und später die arabischen Staaten begonnen haben, nachdem diese den UN Teilungsplan abgelehnt haben, welche die Zionisten akzeptierten. Aber das ist ein anderes Thema.
Besonders nach dem 6 Tagekrieg gewann das antizionistische Weltbild an Popularität:
Der Juni Krieg von 1967 veränderte das Bild Israels grundlegend, es galt vielen nun primär als Militär- und Besatzungsmacht. Die kommunistischen Staaten, Länder der dritten Welt und die radikale Linke im Westen reagierten mit einer scharfen Wendung zum Antizionismus, der von antisemitischen Tönen nicht frei war.
Zitiert aus dem Buch Geschichte des Antisemitismus von Werner Bergmann, S.126.
Ab dem 6 Tagekrieg wurde der Antizionismus also vor allen Dingen aus einem antimilitaristischen und pazifistischen Weltbild, wie er für das linke politische Spektrum typisch ist, abgeleitet. Daran ist per se erstmal nichts antisemitisch, wobei es natürlich auch hier Überschneidungen gibt:
In der Sowjetunion der Ära Kossygin begann ab 1967 eine scharf antizionistische Politik, die allerdings zwischen "guten Sowjetjuden" und "Nazi-Zionisten" zu unterscheiden vorgab, wohl um Emigrationswünsche sowjetischer Juden keine Nahrung zu geben. Sie löste eine Welle populären Antisemitismus aus. Die sowjetischen Karrikaturen dieser Jahre zeigten den Zionismus als Musterschüler des Nationalsozialismus und zeichneten andererseits die Juden im schlimmsten "Stürmer"-Stil als weltbedrohende Gefahr und Handlanger des US Imperialismus.
ebd. S.126
Historiker Zimmermann hat es bereits treffend formuliert: israelbezogener Antisemitismus in Abgrenzung zu Antizionismus fängt da an, wo Stereotype gegenüber Juden auf den Staat Israel übertragen werden, also zum Beispiel wenn behauptet wird, dass Zionisten die Welt kontrolliert. Das kann man übrigens primar widerlegen, wenn man sich anschaut, wie viele UN Resolutionen es gegen Israel gab. Warum schaffen es die übermächtigen Juden nicht, die UN oder sämtliche Menschenrechtsorganisationen, die Israel ständig kritisieren, zu kontrollieren? Auch wenn man der Meinung ist, dass alle Juden überhaupt kein Recht auf nationale Selbstbestimmung in einem zukünftigen palästinensischen Staat haben dürfen, sondern stattdessen wieder in ihre ursprünglichen Länder zurückgehen sollen, wird Antizionismus zu Antisemitismus.