Wie sehr macht euch Obdachlosigkeit fertig?
Ich bin jetzt seit fast einem Jahr politisch aktiv und bin 17. Ich hab mir angewöhnt, dass wenn ich in die Stadt fahre, ich was zu Essen und Wasser kaufe und das 2-3 Bettlern gebe. Dann setzte ich mich auch zu denen, esse entweder mit ihnen das gekaufte Essen oder quatsche nur und höre mir an, wie ihr Leben war, dass sie da jetzt sind.
Ich kann festhalten, dass es fast immer einfach nur Unglück war. Von Chancenungleichheit bis Schicksalsschlag zum falschen Zeitpunkt. Ich wurde arg auf das Bild sozialisiert, dass diese Menschen versagt haben und deswegen so abgegrenzt werden, wie aktuell.
Allerdings bin ich jetzt weiter: Eine stabile Gesellschaft sollte in der Lage sein, schwächere aufzufangen. Und bei jedem, der sich abends mal zusätzlich ein Wasser und zwei 60 Cent Croissants leisten kann, liegt es an ihm, ob er das wirklich für sich braucht. Mehr "Jedem geben was geht, so hat jeder was nötig ist".
Parallel merke ich in diesem Jahr auch, wie viele so stumpf an allem vorbei gehen. In Kombination mit meinem erläutertem Gedankenweg hab ich echt nen Kopf, wenn ich darüber nachdenke. Kaum jemand grüßt überhaupt noch die Bettler, dabei sind sie genauso Mensch wie wir. Wo sind wir gelandet, dass Obdachlosigkeit kaum jemanden mehr berührt. Oder berührt es euch noch? Was sind eure Erfahrungen?
11 Antworten
Klar beschäftigt mich Obdachlosigkeit und ich glaube, dass es ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft ist, wenn Menschen auf der Straße leben. Denn kaum jemand tut das freiwillig und oft sind die Gründe um ein Vielfaches komplexer als „die haben sich halt nicht gekümmert und waren zu faul“. Viel mehr ist es oft ein Kampf die Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Vor allem auch, weil es für viele psychisch inzwischen fast zu spät geworden ist. Mache haben damit abgeschlossen, andere schaffen es mental nicht und wieder andere wollen sich nicht helfen lassen - aus Resignation, Scham, Furcht oder Verdrossenheit.
Und ich glaube dass sehr viele dieser Menschen tatsächlich auch selbst ein schwieriges Leben hinter sich haben und irgendwo im Leben falsch abgebogen sind. Und statt systematisch „gegen“ Obdachlosigkeit vorzugehen, veröffentlichen wir lieber TV-Shows als Unterhaltungsmedium, um die Zuschauer zuhause die harte Welt auf der Straße zu zeigen. Eigentlich eine absurde Sache.
Ich kann, bzw. muss damit aber umgehen. Ich wohne in Berlin und treffe jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause auf mindestens einen Obdachlosen. Ich kann ihnen aber nicht allen helfen.
Ich finde das toll, dass du Wasser und etwas zu Essen einkaufst. In einer Großstadt wie Berlin würde das allerdings recht schnell die eigene Verschuldung bedeuten. Würde ich jeden Tag einem Obdachlosen Geld da lassen, wäre ich im Monat eine recht große Summe „ärmer“. Und das meine ich nicht in dem Sinne, dass mir selbst ein Euro zu viel wäre, sondern dass wir hier ein systematisches Problem haben, welches man als Einzelperson nicht lösen kann. Und durch den Zwang den anderen zu helfen fällt man selbst irgendwann in eine moralische Zwickmühle und weiß nicht mehr weiter. Wenn ich mal Glück habe und Bargeld in der Tasche habe, gebe ich das gern weiter. Ich kann aber allein aus dem Grund jeden Tag auf Betroffene zu treffen nicht jedes Mal finanziell aushelfen.
Man sollte nicht die Augen schließen und den Leuten zeigen, dass man sie wahrnimmt. Man muss leider aber auch ein Stück Egoismus bewahren, damit man sich da nicht selbst drin verliert und auch auf das eigene Geld acht gibt - und ich bin noch Teil des Niedriglohnsektors und daher selbst auf mein dünnes Monatsgehalt angewiesen.
Werter HerelsJayjay,
meinen größten Respekt für Dein soziales Interesse und Deinen Mut mit allen interessierten Deine Erfahrungen zu teilen.
Ich wohne sehr ländlich und mit ganz vielen positiven Erfahrungen bezüglich des miteinanders, des Umeinander sorgens und des füreinander ein- stehens.
Trotz allem verschließe ich meine Augen auch nicht, wenn ich in der Großstadt bin und eben da auch die vielen vielen Menschen sehe, die offensichtlich auf der Straße leben, warum auch immer.
Ich habe nicht Deinen Mut, daß Gespräch mit jemandem zu suchen, auch nicht , wenn es ein gleichgeschlechtlicher Mensch wäre.
Meistens ist es so, daß ich mir an dem Tag, wo ich in die Stadt fahre, viel Kleingeld einstecken und natürlich auch hier und da mal auch verteile.
Was das grüßen betrifft, ist es sehr unterschiedlich, denn ich bin häufig eher eingeschüchtert, und bin auch eher befangen, wenn ich auf eine Gruppe treffe, die alle vor einem Geschäft sitzen oder an einer Mauer lehnen. Ich kann nicht erklären, warum das so ist.....
Mein Mann hat mir irgendwann einmal gesagt, daß es sozialpolitisch und auch aus medizinischer Sicht besser ist, statt Geld tatsächlich entweder eine Wurstsemmel, Brezel oder auf jeden Fall Naturalien statt Geld zu geben, weil das Geld wieder in Alkohol eingetauscht wird.
Mittlerweile haben wir uns zu fünft zusammengefunden, die sich ab Oktober zwei bis dreimal die Woche treffen und Plätzchen backen, Mützen und Strümpfe und Handschuhfäustinge stricken, außerdem auch Tütchen mit Nüssen füllen und das zusammen mit einem Schlafsack in ein Päckchen packen, um dies am vierten Advent in unserer Fußgängerzone bedürftigen auszuhändigen. Wir hatten das erste Jahr nur fünf Päckckchen. Letztes Jahr konnten wir dank Spenden schon elf Päckchen verteilen.
Wenn wir nach der Aktion heimfahren, sind wir alle immer sehr in uns gekehrt und voller herzlicher Eindrücke durch die Reaktionen der Beschenkten.
Wir sind momentan am diskutieren, die Aktion auszuweiten. Wir wollen absichtlich privat bleiben, wollen absichtlich auch selbstbestimmt bleiben. Und irgendwann vielleicht schaffen wir vielleicht sogar fünfzig Päckchen.....
Wir sollten nie vergessen, daß eine Gemeinschaft/ Gesellschaft nur so stark ist, wie sein schwächstes Mitglied.
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Vielen Dank für die netten Worte und die Tipps, -werde ich beachten.Alles Gute....
Obdachlosigkeit ist schlimm und viele Menschen sind bereit, diese Menschen mit ein bisschen geld zu unterstützen. Das ist mein Eindruck.
Das Problem, auch für mich , ist mittlerweile folgendes: die Armut bzw. Das betteln und die gutmütigkeit der Menschen wird häufig organisiert ausgenutzt.
Somit haben Menschen, die es wirklich nötig haben, von den geldspenden gar nichts .
Woher ich das weiß? Ich hab mich damit beschäftigt. In meiner Großstadt verkaufen häufig Menschen Zeitschriften ( obdachlosenzeitschrift) , die keinen Ausweis bei sich tragen , die das verkaufen dieser Zeitschrift offiziell legitimieren.
Man kann das nämlich auch gut beobachten. Denn die Verkäufer dürfen potentielle Käufer nicht ansprechen oder betteln. Machen die es trotzdem, dann sind das keine offiziellen Verkäufer. In seinem Stadtteil bekommt man dad irgendwann mit.
Obdachlosen, die vor Bahnhöfen sitzen oder aktiv Menschen ansprechen, gebe ich kein Geld. Denn das Geld wird häufig nicht für Grundnahrungsmittel ausgegeben.
Natürlich habe ich Mitleid mit obdachlosen. Jedoch sortiere ich da aus, wem ich Geld gebe.
Finde das toll, dass du dich so einsetzt.
Das "Housing First" Modell war in Finnland sehr erfolgreich und auch in Deutschland gibt es mehrere Projekte.
Ich persönlich wirke wahrscheinlich auch teilnahmslos, wenn ich vorbei gehe, aber mir tut es schon immer weh. Ab und zu gebe ich auch mal was, meistens erst nachdem ich angesprochen werde. Es gibt bei uns einfach viele Bettler, man sieht mehrere jeden Tag ...da wäre ich ziemlich schnell ziemlich viel Geld los, wenn ich immer jedem was geben würde. Deswegen vermeide ich sogar Blickkontakt, weil dadurch die Situation entsteht, dass ich mich erstrecht schlecht fühle, wenn ich nichts gebe.
Kann ich super nachvollziehen, aber wir können ja auch nicht leider anfangen alle Obdachlosen zu retten. Dafür zählt jedes Lächeln, jede Kleinigkeit.
Kleiner Tipp: Kauf lieber für 3€ Brötchen vom Aldi als Mahlzeit statt bar zu geben. Obdachlose sind immer noch Straßen ausgesetzt und Drogen sind da etabliert. So kannst du dir sicher sein, dass dein Geld auch für essen o.Ä. drauf geht
Nunja, die Wahrheit ist, es gibt Bettler und Obdachlose. Es gibt aber auch Betrüger, die für kleine Organisationen betteln. Diese Bettler geben das Geld dann an ihre Bossen.
In solchen Fällen wird das Bild einer armen Person, die in einer schweren Phase ihres Lebens ist, auf eine aoziale Weise missbraucht. Und da viele Leute das Wissen, interessieren sich viele nicht mehr für Bettler.
Deswegen gebe ich Bettlern wenn überhaupt eine Bretzel oder ein Saft, aber kein Geld, denn wenn die nicht für Organisationen betteln, dann geben viele das Geld für andere unnütze Dinge aus, wie Alkohol, Drogen oder Zigaretten und das möchte ich allgemein nicht unterstützen.
Meine Familie hat bsp schon paar mal an verschiedenen Standorten der Welt erlebt, wie Bettler von Haus zu Haus gehen und gebettelt haben, aber wenn man ihnen gekochtes Essen angeboten hat, haben diese oft abgelehnt und sich undankbar gezeigt. Ich meine stell dir mal vor jemand will deine Hilfe und du hilfst mit einem guten Essen und die Person stellt es auf die Fensterbank und zieht weiter... Da kommen dir schon Zweifel auf.
Summasumarum haben wahrscheinlich viele (mich eingeschlossen) Bedenken was solche Leute mit dem Geld anfangen, falls man ihnen welches gibt und ignorieren diese deshalb.
Ich meine wenn eine arme Person zu mir kommt und Geld will weil es ihr nicht gut geht und ich der Person anbiete einen Döner zu Kaufen und die ablehnt, dann bezweifle ich, dass es ihr auch wirklich schlecht geht.
Wir leben in einer Welt wo Armut existiert, aber auch in einer Welt wo die Fassade der Armut schamlos ausgenutzt wird, für eigennützigen Profit.
Bittte verwende unsozial statt asozial, ds ist ein unterschied!
Ich versteh deinen Punkt im Grundsatz. Das Ding ist, viele werden auf der Straße süchtig, weil Kälte etc ausgehalten werden muss. Essen ist IMMER eine gute Lösung.
Kein Staat gibt Obachlosen eine Decke und sagt es ist kalt
Hmm unsozial und asozial bedeuten wahrscheinlich das selbe. Der Unterschied ist wenn überhaupt die Konnotation.
Das Ding ist mehr als was zu Essen gebe ich solchen Leuten nicht und wenn sie es nicht annehmen, dann ist das ihre Sache. Ich habe selbst kein Geld um den Leuten mehr zu Geben als eine Kleinigkeit zu Essen.
Aber im Ernst du hast Recht, die Gesellschaft ist wirklich ignorierant und ignoriert gerne viele Dinge die auf den Straßen passiere....
Vielleicht liegt das Problem in der Kultur oder so ich weiß es wirklich nicht, aber habe auch einige Dinge erlebt und gehört, wo mir die Reaktionen der Leute vor Ort zu Denken gegeben haben
Hallo lieber frangipane624,
erstmal möchte ich mich unglaublich für deine Nachricht bedanken. Zum einen tut es gut zu Hören, dass man mit der Ansicht nicht allein ist und doppelt so gut fühlt es sich an, wenn man weiß, dass andere woanders gerade an derselben Seite stehen. Bin selbst auch vom Dorf, muss aber termintechnisch oft in die Stadt. Ich denke, ich werde oft schmunzelnd an euch denken, wenn ich da bin.
Ich finde eure Idee unglaublich genial. Eine Gruppe, die gemeinsam was kreatives schafft, um anderen etwas zu geben. Das ist einfach fantastisch und muss gewertschätzt werden.
Außerdem muss ich hinzufügen, dass Dein Mann nicht nur sehr rücksichtsvoll sondern auch extrem klug ist. Das Leben auf der Straße bringt meistens Sucht mit sich und da ist es für alle Seiten besser einfach Endprodukte zu kaufen. Er ist scheinbar extrem aufmerksam und liebenswert.
Und falls du dich auch mal ehrlich für ein tieferes Gespräch interessierst, meine Tipps: gehe direkt in die Hocke (Augenhöhe + Begleitung), gebe kein Essen sondern biete es an (>> statt "Ich habe für Sie essen gekauft" sagt man "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, habe ich Ihnen was Kleines besorgt/esse ich gerne mit Ihnen"). Falls du wirklich mal ins Gespräch kommen willst kommt es wirklich sehr gut an sich einfach hinzusetzten, vor ihnen, und erzählen was im eigenem Leben abgeht.