Wer zum Teufel ist dafür verantwortlich das es keinen Urwald in Deutschland mehr gibt?

Melody888  16.12.2023, 23:44

Wozu brauchst du n Urwald in DE?

Kleosa 
Fragesteller
 16.12.2023, 23:46

Urwälder sind unersetzlich, nicht zu vergleichen mit Forstwald oder Stadtpark oder botanischen Garten.

Melody888  16.12.2023, 23:47

Gibt keine in DE und nun?

Kleosa 
Fragesteller
 16.12.2023, 23:48

und EU ?

10 Antworten

Hallo,

wie definierst du Urwald?

Ein Wald, der immer vom Menschen vollkommen unbeeiflusst geblieben ist? Dass es das in Deutschland nicht mehr gibt, da sind deine und meine Vorfahren, alle Vorfahren der heutigen Menschen schuld! Spätestens seit der Neolithischen Revolution

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Neolithische_Revolution

hat der Mensch die ursprünglichen Urwälder bei uns nicht nur durch Jagen und Sammeln beeeinflusst, sondern massiv gerodet und die Landschaft komplett umgestaltet. Auch ohne direkte Nutzung strahlt die Veränderung der Landschaft in die verbliebenen Wälder hinein und verändert diese, zB durch stark erhöhte Schalenwildbestände. Aber die direkte Nutzung fand natürlich auch statt, Holz und andere Waldprodukte wurden schließlich auch immer benötigt. Holz war über Jahrtausende praktisch die einzige Energiequelle zum Heizen und Kochen! Und dank Landwirtschaft hatte sich die Bevölkerung exorbitant erhöht, zuvor gab es auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands vielleicht ein paar Tausend Jäger und Sammler, mehr nicht! Gleichzeitig war ja die Waldfläche auf etwa ein Drittel reduziert, kein Wunder, dass sie von den nun viel zahlreicheren Menschen viel stärker beansprucht würde.

Wenn man es ganz streng vom Wortsinn her betrachtet, dann haben aber auch die wenigen Jäger und Sammler zuvor den Wald schon beeinflusst, längst nicht so sehr, aber doch nicht gleich null. Schließlich beeinflusst jede Art von Lebewesen ihre Umwelt. So gesehen hat es nach dieser Definition seit dem Auftreten unserer Art keine Urwälder mehr gegeben, nirgendwo auf der Welt. Wir kommen auch immer mehr darauf, dass die indigene Bevölkerung vor der Ankunft der Europäer den Amazonas-Regenwald schon lange als Kulturlandschaft nicht nur zum Jagen und Sammeln genutzt hat, nur so schonend, dass wir das zuerst gar nicht bemerkt haben. Hier ein Stichwort dazu:

https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/oekologisch-leben/balkon-und-garten/trends-service/trends/20401.html

Damit wäre das im Amazonas auch kein Urwald in diesem Sinne mehr.

Vielleicht kann man den Begriff Urwald auch etwas großzügiger fassen, als einen Wald, der in seiner Zusammensetzung, seinen Strukturen, seiner Artenausstattung einem vom Menschen unbeeinflussten Wald gleicht. Und da möchte ich betonen, dass unter unseren mitteleuropäischen Verhältnissen eine Bewirtschaftung möglich ist, bei der der Unterschied zum unbeeinflussten Wald tatsächlich ziemlich gering ist. Wird die Bewirtschaftung aufgegeben, dann konnte dieser Wald bisher relativ rasch (auch wenn das nach menschlichen Maßstäben doch noch ziemlich lange dauert,) wieder in einen komplett urwaldähnlichen Zustand zurückkehren. Das ist hier anders als in den Tropen, wo es sehr viel länger dauern würde oder gar nicht mehr möglich wäre. Uns so gibt es, nachdem wir durchaus nennenswerte Flächen in Deutschland haben, die schon seit längerer Zeit nicht mehr bewirtschaftet werden, doch auch wieder Flächen, die in Richtung Urwald gehen.

Die Bedrohung, die ich momentan sehe ist, dass der Klimawandel so rasch vonstatten geht, dass eine Anpassung auf vom Menschen unbeeinflussten Flächen nicht schnell genug vonstatten gehen kann, und wohl unweigerlich über Stadien laufen muss, die nach unseren Maßstäben als Katastrophe zu bezeichnen sind, wir Beispielsweise flächiges Absterben der bisherigen Hauptbaumarten. Hierdurch wird dann auch sehr viel Biodiversität verloren gehen. Mit menschlicher Nachhilfe, zB künstliche Einbringung von Baumarten aus wärmeren Regionen, könnte man dies wohl teilweise verhindern.

Im Mittelalter wuchs die Bevölkerung rasant, und die brauchte Acker- und Weideland, Bauholz und Feuerholz. Der Bergbau verbrauchte auch Unmengen an Holz, so daß der Harz beispielsweise vollkommen entwaldet war - noch schlimmer als heute.

DerHans  17.12.2023, 00:06

Der Deutsche Wald ist schon seit 2000 Jahren kein wirklicher Urwald mehr.

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Pfefferprinz  17.12.2023, 00:09
@DerHans

Seit 1000 Jahren nicht mehr. Die Römer trauten sich aus gutem Grund nicht in Germaniens Urwälder, denn die vernichtende Niederlage am Kalkrieser Berg ist dem Urwald geschuldet.

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Von Experte Pomophilus bestätigt

Wer ist verantwortlich? Alle.

Der Waldanteil im heutigen Deutschland ist immer sehr stark von der Bevölkerungsdichte abhängig gewesen. Wenn die Bevölkerungszahlen zugenommen haben, musste die Waldfläche leiden. Nahm die Bevölkerung ab, zum Beispiel bei Pestwellen im Mittelalter, kam es zu sogenannten Wüstungen. Sprich: Ganze Ortschaften wurden verlassen und der Wald konnte sich weiter ausbreiten.

Dazu kommt der Bedarf an Rohstoffen. Das Holz primär. Städtebau, Schiffbau, Eisenbahnbau - all das braucht Bauholz. Lange Zeit war Holz auch Hauptenergieträger zum Heizen. Die Wälder wurden genutzt, übernutzt und auf verschiedenste Arten bewirtschaftet. Sowohl Nutzungen für den Eigenbedarf armer Landwirte, die Holzrechte zugewiesen bekamen und so ihren Bedarf decken konnten, bis hin zu Wäldern, die schlussendlich regelrecht industriell bewirtschaftet wurden. Beispiel: Die Salinenwälder im Süden Deutschlands bzw. im österreichischen Grenzgebiet. Da wurde mehr abgeholzt als nachwachsen konnte und man musste immer weiter auf andere Waldgebiete ausweichen. Aus der Zeit stammt auch der Begriff der Nachhaltigkeit. Irgenwann hat man in den industriellen Kreisen erkannt, dass man nicht mehr nutzen kann, als nachwächst, wenn man von dem Rohstoff abhängig ist.

Und daraus entwickelte sich die Forstwirtschaft. Wälder wurden bewirtschaftet, mit Absicht auf schnelle Zuwächse, gute Holzqualität und geringe Kosten. Das ging auch lange gut. Und so wurden auch die entlegensten Wälder genutzt und nach Plan aufgeforstet. Mit Eisenbahn und Rutschen, Flößerei und Schlitten wurden auch noch die hintersten Gebirge abgeerntet. Und dabei gingen halt alle Wälder, die man vielleicht noch als Urwälder bezeichnet hätte, verloren. Zeitweise war Holz auch die Basis von Salzherstellung, Glaserei (die Pottaschegewinnung brauchte so viel Holz, dass man im Bayerischen Wald Bestände rodete, zu Pottasche verarbeitete und weiterzog, weil kein Holz mehr da war) usw. Erst später wurde das Industrielle durch Kohle substituiert.

Heute ist es auch gar nicht so einfach, einen bewirtschafteten Wald wieder in einen "Urwaldzustand" zu überführen. Für alle, die glauben, die sofortige Stilllegung würde das regeln: Ja, aber dann wartet man viele Jahrzehnte. Denn dann kann man dem Wirtschaftswald erst mal beim Zusammenbruch zusehen, dann wird man feststellen, dass ein beträchtlicher Teil der Verjüngung wieder aus den Wirtschaftswaldbaumarten besteht und bis man einen vernünftigen Waldbestand hat, der der pnV, der potentiell natürlichen Vegetation entspricht, dauert es viele Jahrzehnte - vermutlich länger eher Jahrhunderte. Mit Bewirtschaftung und gezieltem Waldbau ginge das schneller. Auch die Forstwirtschaft arbeitet auf eine Annäherung an die pnV hin, um stabilere und dauerhaftere Wälder zu bekommen. Der Klimawandel hat viele alte Waldbaukonzepte unbrauchbar gemacht.

Ob ein Urwald heute noch das Wunschziel ist, bezweifle ich. Der Klimawandel ist schneller, als die natürliche Anpassung des Waldes an die Klimaveränderung. Der Waldbau versucht eher, die Arten mit einzubauen, die an die erwartete Situation in vielen Jahrzehnten besser angepasst sein könnten, als die Arten, die heute noch in unsere pnV zählen. Beispiel: Die Buche. Eigentlich die Hauptbaumart Mitteleuropas und lange Zeit Hoffnung im Klimawandel bekommt schon jetzt massive Probleme und fällt reihenweise aus. Ein Hinarbeiten auf den klassischen, europäischen Buchenurwald heutzutage ist also zweifelhaft.

Konzepte wie von der Forstwirtschaft verfolgt ("Schutz durch Nutzung") sind da unter Umständen besser.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Jeder Mensch, der ein Stück Land brauchte, um darauf Gemüse oder Getreide anzubauen oder Vieh zu züchten, weil Menschen nun mal was zu essen brauchen.

Ganz zu schweigen von Baumaterial für Häuser und Heizmaterial für die kalte Jahreszeit.

Kleosa 
Fragesteller
 16.12.2023, 23:44

also durch Ackerbau und Viehzucht, die massenhafte, über Generationen hinweg betriebene Sesshaftigkeit und Vermehrung ?

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JMC01  16.12.2023, 23:45
@Kleosa

Na was denn sonst? Streichhölzer und Zahnstocher wurden erst später erfunden.

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Im Bayerischen Wald gibt es einen Urwald. Das Gebiet wurde seit 300 Jahren nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt.

https://www.bayerischer-wald.de/attraktion/urwaldgebiet-mittelsteighuette-1b8e54a1d1

Kleosa 
Fragesteller
 16.12.2023, 23:50

das ist doch Marketing oder ?

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Kleosa 
Fragesteller
 16.12.2023, 23:54
@Geraldianer

Ja Totholz, Kalamitätsholz, was ist daran noch Urwald, außer das es urig aussieht ?

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Geraldianer  16.12.2023, 23:55
@Kleosa

Das Gebiet wurde seit dem 18. Jahrhundert nicht bewirtschaftet. Es ist wohl zu abgelegen. Dann hat man es einfach unangetastet gelassen.

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ichbinich2000  17.12.2023, 18:25
@Kleosa

Wie stellst du dir denn Urwald vor? Bei uns wirst du keine Lianen finden.

Der Bestand dort entspricht von der Artzusammensetzung dem, was dort natürlich ist. Ein Bergmischwalt aus vor allem Tanne, Buche und Fichte. Es gibt Bäume in fast jedem Altersstadium auch regelrechte Baumriesen. Totholz verbleibt im Wald, es wird nichts entnommen. Totholz gehört logischerweise zum Urwald dazu.

Ich habe den Bestand selbst schon zweimal besucht, man hat dort auch schon wieder eine bisher als ausgestorben geglaubte Pilzart wiederentdeckt, wenn ich mich recht erinnere.

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