Was haltet ihr vom Konzept eines langen Mittelalters?

11 Antworten

Ich finde die Debatte gut - es ist ein wichtiger Hinweis, dass Epocheneinteilung immer eine künstliche Erfindung der Nachwelt und eine Perspektive bestimmter Gruppen ist.

Allerdings würde ich die jetzt bestehende Einteilung nicht verändern, das Thema ist mir einfach nicht wichtig genug um eine solche Mühe zu rechtfertigen.

Es ist aber sinnvoll, in Schulen, Lehrbüchern und Museen, wo eine Epocheneinteilung gelehrt wird, auch die Frage hinzuzufügen, warum gerade diese Einteilung, und ob das sinnvoll ist. Die Alternative des "Langen Mittelalters" ist da eine gute Anregung zur Diskussion.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Grundstudium Ägyptologie und Geschichtswissenschaft

Edi1310 
Beitragsersteller
 02.06.2025, 16:38

Vielen lieben Dank für deine hilfreiche Antwort! :)

Es ist auf jeden Fall ein Beitrag zu einer Debatte, die bis heute munter weitergeführt wird. Die Frage, wie man welche Zeitepochen voneinander abgrenzen soll, erhitzt noch immer so manche Gemüter.

Wo will man z.B. den Beginn des Mittelalters ansetzen? Bei der Absetzung des letzten Weströmischen Kaisers? Heutige Historiker tendieren eher zu einem späteren Datum, manche gar erst zu ca. 630 n. Chr., dem Beginn der arabischen Invasionen. Das ist IMO noch legitim, ein späteres Datum erscheint mir wenig sinnvoll. Zu dieser Zeit verschwand mit dem (west)Römischen Senat auch eine zentrale Institution der Antike, was den Epochenwandel nachvollziehbar macht.

Woran will man das Ende des Mittelalters festmachen? Erfindung des Buchdrucks, Fall Konstantinopels, Entdeckung Amerikas? Tatsache ist, dass sich für die Landbevölkerung in Europa (und das war noch bis vor etwas mehr als hundert Jahren die Mehrheit der Menschen) das Leben im Jahr 1700 n. Chr. nicht wesentlich von dem des Jahres 1400 n. Chr. unterschied. Feudale Verhältnisse, ein Kernelement des Mittelalters, gab es teilweise noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein.

Man muss auch bedenken, dass Entwicklungen regional in sehr unterschiedlichem Tempo verlaufen. So kann man etwa bezogen auf die britischen Inseln bereits mit einem Ende der Antike um das Jahr 400 n. Chr. argumentieren, da um diese Zeit die Römer Britannien verließen und die Inseln für mehrere hundert Jahre quasi aus dem Bewusstsein der meisten Festlandeuropäer verschwanden. Ebenso kann man für Italien ein früheres Ende des Mittelalters ansetzen, da hier bereits um etwa 1400 n. Chr. die Renaissance in vollem Gange war und sich in den Städten ein selbstbewusstes Bürgertum gebildet hatte.

Es ist durchaus sinnvoll, darüber nachzudenken und zu diskutieren.


Edi1310 
Beitragsersteller
 02.06.2025, 16:39

Vielen lieben Dank für deine hilfreiche Antwort! :)

Rein gar nichts!

Für mich endete das Mittelalter, als Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg nagelte.

Um genau zu sein, begann also die sogenannte Neuzeit am 31.Oktober 1517, um ca 5 Uhr 30, noch vor der Frühmesse - Punkt!

Jeder der was anderes Behauptet ist ein Ketzer, der sich ein wissenschaftliches Mäntelchen umgehängt hat. 😉

Eventuell wäre es sinnvoll Übergangszeiten zu definieren. Das Festhalten an festgelegten Einheiten kann aufgrund neuer Erkenntnisse problematisch sein.

Bisher wird das Ende der Antike mit der Eroberung von Rom gleichgesetzt. Das war in West- und Mitteleuropa ein einschneidendes Ereignis und hat hier zu gravierenden Änderungen geführt. Damals wurde jedoch nicht das ganze Römische Reich erobert, sondern nur der westliche Teil. Im Osten ging es übergangslos weiter mit dem Byzantinischen Reich. Wobei da es schwierig ist, ab wann die Struktur nicht mehr als Antik betrachtet werden kann.

Mit dem 4. Kreuzzug wurde das eigentliche Byzantinische Kaiserreich zerschlagen, doch mit Trapezunt blieb ein ursprünglicher Rest erhalten und dort regierte die kaiserliche Familie weiter. Ein Feldherr gründete in Nicaea ein weiteres Kaiserreich, was ebenfalls auf diese überlieferten Strukturen gründete. Erst 1461 ging mit der Eroberung von Trapezunt der letzte Rest eines antiken Staates unter.

Das Ende des Mittelalters wird mit der Rückbesinnung auf die Antike = Renaissance und den neu entwickelten Humanismus, den großen neuen wissenschaftlichen und geographischen Entdeckungen gleichgesetzt. Kolumbus mit der Entdeckung Amerikas ist als herausstechendes Ereignis als Marke für das Ende des Mittelalters festgesetzt worden.

Heute wissen wir, dass schon die Wikinger in Amerika waren. Von Island aus gab es eine Besiedlung von Grönland und Neufundland. Handelsbeziehungen untereinander gingen bis nach Norwegen und Dänemark. Der neu entdeckte Kontinent war demnach schon längst entdeckt, nur zuvor nicht von der Allgemeinheit beachtet worden.

Neben dem neu entfachten wissenschaftlichen Denken gab es auch die Gegenbewegung mit den immer extremer werdenden Hexenverfolgungen bis nach dem Ende des 30jährigen Krieges. Noch Luther glaubte fest an Hexen und sprach sich für ihre Verfolgung und Tötung aus.

Strukturen ändern sich eben nicht überall gleichzeitig und erst recht nicht völlig plötzlich. Eine Einteilung stellt immer eine fehlerhafte Vereinfachung da und daher ist es natürlich gut, neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen zu bleiben. Wobei ein sofortiges völliges umschmeißen alter Konstruktionen auch nicht sinnvoll ist, denn auch die neuen Strukturen bleiben fehlerhaft.

Es ist typisch für die Zeit, dass einfache schwarz-weiß Lösungen und Antworten verlangt werden, doch nichts in der Welt funktioniert im einfachen schwarz-weiß Denkmustern.

Danke für deine tolle zum Nachdenken anregende Frage.

Woher ich das weiß:Hobby

Edi1310 
Beitragsersteller
 02.06.2025, 16:40

Vielen lieben Dank für deine hilfreiche Antwort! :)

Ich finde diese Überlegungen durchaus diskussionswürdig, vor allem weil der Begriff des Mittelalters mit vielen Vorurteilen behaftet ist und unscharfen Aussagen Vorschub leistet, bei denen nicht zwischen den verschiedenen Phasen des Mittelalters unterschieden wird.

Insbesondere finde ich es gerechtfertigt, das Frühmittelalter der Antike zuzuschlagen und die Zeitenwende um das Jahr 1000 anzusetzen. Der "Untergang" Westroms war lediglich ein einzelnen Ereignis innerhalb der langfristigen Umwälzungen durch die Völkerwanderung, während der Übergang zum Hochmittelalter durch politische Umbrüche und eigenständige Kulturleistungen geprägt ist.


Edi1310 
Beitragsersteller
 02.06.2025, 16:40

Vielen lieben Dank für deine hilfreiche Antwort! :)