War das Leben in Europa zwischen 1500-1800 nicht lebenswert?

8 Antworten

Wie die geringe Lebenserwartung auch durch die Kindersterblichkeit zustande kam ist ja schon mehrfach erklärt worden. Ist aber nicht die einzige Ursache, Leute starben auch an Hunger und Krankheit, Frauen an der Geburt und Männer durch Kriege.

Lebenswert? Kommt darauf an, ob man zur gehobenen Schicht gehörte und was man brauchte, um glücklich zu sein.

Einerseits hatte damals ein Adliger, aber auch ein Kaufmann, für die Hausarbeit und Kindererziehung Personal in einem Umfang, den sich heute nur Superreiche leisten können.

Andererseits hatte damals selbst der Sonnenkönig vieles nicht, was heute für alle selbstverständlich ist - dürstete ihn nach Getränk oder Unterhaltung, gab es für ihn weder Champagner noch Netflix, und einen Urlaub auf Mallorca konnte er auch nicht buchen.

Woher ich das weiß:Recherche

Wie schon mehrere hier schrieben, die Lebenserwartung ergibt sich aus der sehr hohen Kindersterblichkeitsrate.

In guten Zeiten starb ein Viertel der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag. In schlechten Zeiten waren es drei Viertel. Die Hälfte aller Frauen starb im Kindbett.

Die übergroße Mehrheit aller jemals gestorbenen Menschen waren kleine Kinder. Könntest du in einen Raum gehen in dem alle Menschen zum Zeitpunkt ihres Todes versammelt sind, würdest du vor allem Babys weinen und Kleinkinder schreien hören in einem Meer aus Leid.

Wir vergessen oft wie gut es uns heute geht und wie miserabel unseren Vorfahren.

Waren die deshalb unglücklich? Ist umstritten. Nicht unbedingt. Viele Historiker sagen, den Menschen ging es nicht schlechter, sie waren nur anders drauf. Sie haben Schicksalsschläge anders verarbeitet und hingenommen. Es gab auch damals Unzufriedene und Zufriedene. Manche seien einfach von Natur aus Glücklicher.

Deine Frage bezieht sich auf die frühe Neuzeit- auch das Mittelalter hat einen schlechten Ruf und es gibt viele Mediävisten (Mittelalterexperten) die das Mittelalter verteidigen als eine Zeit in der es nicht so schrecklich war wie heute viele glauben.

Der feste Glaube an Religion tröstete auch viele. Wenn du wirklich und aufrichtig glaubst, dass ein (getauftes) Kind in den Himmel kommt, so kann einem Kind nichts besseres passieren als zu sterben bevor es in Versuchung gerät und am Ende möglicherweise als Erwachsener in der Hölle landet.

Diese Historiker sagen, dass die Menschen eben anders gedacht haben, andere Standards kannten und sich daran orientiert haben. Es gibt das Argument, dass es unseren Nachfahren in einigen hundert Jahren so märchenhaft gut geht, dass sie unser Leben als Hölle empfinden und sich fragen wie hier überhaupt jemand jemals glücklich sein konnte.

Wenn du mich fragst... ich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen auf eine Art glücklich und zufrieden sind wenn dir deine Kinder vor den Augen wegsterben. Wenn du in jedem Winter Angst haben musst zu verhungern. In einer Zeit in der man Krankheiten hilflos ausgeliefert war. Eine Zeit in der die Kriminalität höher war, es brutale Strafen gab, eine zutiefst ungerechte Gesellschaft.

Viele haben einfach so viel gearbeitet und so viel geschuftet, dass sie gar keine Zeit hatten über ihre Probleme nachzudenken oder Depressionen zu kriegen. Sie akzeptierten ihr hartes Leben als Realität und kämpften nicht für ein besseres Leben. (offensichtlich trifft das nicht für alle zu)

In keiner Zeit der Menschheitsgeschichte ging es uns so gut wie heute. Selbst Entwicklungsländer haben einen Lebensstandard wie der in Deutschland in den 1960'er Jahren (für Viele die gute alte Zeit).

Woher ich das weiß:Hobby

Als Adliger, Angehöriger des höheren Klerus oder als erfolgreicher Geschäftsmann konnte man es schon aushalten. Als einfacher Bauer, Handwerker oder Bürger war es allerdings extrem beschwerlich und lebensgefährlich.

Ab dem 16. Jahrhundert bis etwa 1800 lag die Lebenserwartung in ganz Europa zwischen 30 und 40 Jahren.

Wichtig:

Das wird oft missverstanden. In etwa so: Damals starb man oft mit 30 oder 40 und damit war man alt.

Nein, das ist nicht der Fall. Es gab damals viele alte Leute, und man galt mit 30 oder 40 als im mittleren Lebensalter stehend.

Jemand der 30 oder 40 war konnte erwarten etwa 70 zu werden, mit Glück älter.

Der Hauptfaktor für die geringere Lebenswarwartung ab Geburt war die hohe Kindersterblichkeit, vor allem bei jungen Kindern. Nebenbei bei Frauen die Sterblichkeit in Zusammenhang mit Geburt und bei Männern je nach Zeit durch gewaltsame Auseinandersetzungen.

Beachte bitte dass diese niedrige Lebenserwartung vor allem an einer sehr hohen Kindersterblichkeit lag.

https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61547/lebenserwartung

Wer erst einmal dem Kindesalter entwachsen war hatte eine gute Chance deutlich älter als 40 Jahre alt zu werden.

Das bedeutet jetzt nicht dass das Leben für einen Großteil der Bevölkerung in der fraglichen Zeit "schön" im heutigen Sinne war. Ein großer Teil des Tages ging dafür drauf, sich das grundlegendste Mittel der Existenz, nämlich die Nahrung auf dem Tisch, zu ergattern. Selbst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also in einer Hochzeit der Industrialisierung, waren in Deutschland noch 60% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, trugen also direkt oder indirekt zur Deckung des Nahrungsmittelbedarfes bei. Heute ist dieser Anteil auch weltweit deutlich geringer (unter 10%), in Deutschland sogar nur bei 2%

https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/baeuerliche-und-industrielle-landwirtschaft.html

Ohne moderne Medizin und Antibiotika war das Leben täglich gefährdet. Kleine Verletzungen, aber auch Probleme mit den Zähnen oder ähnliches, konnten schnell den Tod herbei führen.

Insgesamt war der überwiegende Teil der Menschen fern von jeder Möglichkeit seine/ihre Persönlichkeit frei zu entwickeln. Angefangen mit der fehlenden oder lediglich ganz grundlegende Schulbildung über die Ungleichheit von Adel und arbeitender Bevölkerung, der von Mann und Frau, dem fehlenden Rechtsstaat, der fehlenden sozialen Absicherung, einer häufigen Bedrohung durch Krieg und Willkür und und und gab es vieles was das Leben deutlich mühevoller machte als heute.

Ob es "nicht lebenswert" war? Aus heutiger Sicht vielleicht schon, viele die sich solche Zeiten zurück wünschen wissen ja nicht wie gut es ihnen geht. Die wenigen Aufzeichnungen über das Alltagsleben in dieser Zeit kommen von den besser Gestellten (wer nicht schreiben kann, kann keine Bücher verfasssen), daraus und aus archäologischen Erkenntnissen müssen sich Historikerinnen und Historiker mühevoll ein Bild vom Leben des Restes der Gesellschaft erarbeiten. Ob die Menschen damals ihr Leben lebenswert fanden? Wahrscheinlich schon, denn etwas besseres kannten sie ja nicht.