Warum schreibt man Dinge anders als man sie ausspricht (Hochdeutsch)?

6 Antworten

Von Experten spanferkel14 und OlliBjoern bestätigt

Oh, wo fangen wir an, das aufzudröseln?

Zunächst einmal verwendest Du das Wort „Hochdeutsch“ falsch. Es bedeutet alle Varianten des Deutschen, die im Süden (dort wo die hohen Berge stehen) beheimatet sind: Österreich, Schweiz, Bayern, Baden–Württemberg, Sachsen. Die ursprünglich im Norden gesprochenen Sprachen heißen Niederdeutsch; aber seit dem Mittelalter dringt Hochdeutsch in den Norden vor, so daß Niederdeutsch („Platt“) heute nur noch von wenigen Menschen an der Nord- oder Ostseeküste gesprochen wird. Stattdessen findet man im Norden Sprechweisen, die sehr stark von der Luther-Bibel beeinflußt sind und die den etwas sperrigen Namen „Niederhochdeutsch“ führen. Wenn Du aus Niedersachsen bist, dann redest Du vermutlich diesen Dialekt).

Die Variante, die Du im Fernsehen und Radio hörst, heißt „Standarddeutsch“, und sie ist im wesentlichen ein von Regionalismen befreites Niederhochdeutsch. In Öster­reich ist das im Prinzip genauso, nur streiten sich die Geister, was ein Regionalis­mus ist und was überregionaler Standard sein soll. Dabei haben die Österreicher und all­ge­mein die Südländer einen großen argumentativen Trumpf: Dort spricht man ja bereits seit mehr als eineinhalb Jahrtausenden Hochdeutsch, während bei Dir im Nor­den das Hochdeutsche erst vor wenigen Jahrhunderten ankam (deshalb ist die Dialekt­auf­split­terung im Süden auch viel stärker). Aus genau diesem Grund haben die Nord­län­der aber auch den Vorteil, daß sie ein großes Gebiet mit weitgehend einheitli­cher Spra­che vorweisen können, das Anspruch auf den Standard erheben kann, und daß ihre Sprache der Schriftsprache weitgehend entspricht.

(Wie die Schriftsprache in der heutigen Form entstanden ist, ist ein großes Faß, das ich jetzt nicht aufmachen will — natürlich hat Luther viel damit zu tun, und daher auch der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken und die gewaltige Lust, den erz­kat­ho­li­schen Bayern eins auszuwischen. Außerdem spielt da der Buchmarkt eine große Rolle, weil der ein einheitliches Sprachgebiet zum Absatz seiner Produkte wünscht)

Folglich hat man in Österreich mitunter andere Vorstellungen davon, was regional ist und was Standard ist.

  1. Ein schönes Beispiel dazu ist der König, der in Österreich [køːnɪk] und in Deutsch­land [køːnɪç] heißt. Die Österreicher sprechen das Wort also mit dem historisch richtigen velaren Plosiv, der in dieser Position der Aus­laut­ver­här­tung unterliegt (so wie man ja auch Tag als [taːk] spricht). In Deutschland kommt zu­sätzlich eine Pa­la­ta­li­sie­rung und Spi­ran­tisierung k→ç ins Spiel, von der ich nicht weiß, wo sie her­kommen, aber das Resultat er­in­nert mich ans Holländische, und daher halte ich den Effekt für regional, nicht stan­dard­sprach­lich.
  2. Bei Pferd irrst Du; die standardsprachliche Aussprache ist [p͡feːɐ̯t] oder [p͡feːʁt], oder auch mit offenem Vokal [p͡fɛɐ̯t] bzw. [p͡fɛʁt], mit der üblichen Tendenz des R-Lautes, zu einem ɐ zu vokalisieren. Der Laut [p͡f] ist in den Sprachen der Welt ex­trem selten (auch habe auch eine Vermutung, warum das so ist, nämlich Furz­tabu), und Deutsch ist so ziemlich die einzige bekannte Sprache, die ihn hat. Er entstand durch die zweite Lautverschiebung, und es wundert mich nicht, daß manche Dia­lekte ihn vermeiden.
  3. Es lassen sich noch viele weitere kleine Unterschiede zwischen deutschem und österreichischem Standarddeutsch finden, z.B. die fehlende Unterscheidung zwi­schen ä und e in Österreich (das ä in Väter klingt nicht anders als das in Feta).
  4. Wegen des gemeinsamen Buchmarktes sind die meisten Unterschiede zwischen deutschem und österreichischem Standarddeutsch auf die Phonetik beschränkt. In der Grammatik gibt es den berühmten Unterschied ich bin gestanden (auch in Bayern) und unterschiedliches Genus (das Cola, das Joghurt), in der Lexik jede Menge unter­schied­liche Bezeichnungen für Nahrungs­mittel (Marille, Karfiol, Lun­gen­bra­ten, Faschier­tes) und in der Bürokratie, und zuletzt eine Handvoll abwei­chen­de Präferenzen bei Prä­posi­tionen. Insgesamt ist das sehr wenig, und viel weniger als der Dialektunterschied innerhalb Deutschlands (ihr seid euch ja selbst nicht einig, ob man Karotte oder Möhre sagt).
  5. Ich weiß nicht, was Du mit "ein" statt "einen", oder "könn" statt "können" meinst.

Jeder neigt dazu, als „Dialekt“ genau das zu bezeichnen, was anders klingt, als man selber spricht. Das ist aber Käse, weil dann das Wort für jeden eine andere Bedeutung hätte. Du hast zwei klare Behauptungen aufgestellt, wie man die Worte Honig bzw. Pferd „richtig“ ausspricht. Versuch Dir darüber klarzuwerden, warum Du das glaubst — Du wirst zum Schluß kommen, daß Du kein rationales Argument für Deinen Stand­punkt finden kannst. Du behauptest das nur einfach deshalb, weil es Deiner persön­lichen Erfahrung entspricht, und das ist ein sehr dünner argumentativer Boden, denn andere Leute haben andere Erfahrungen. Dazu kommt, daß eine Deiner Behauptun­gen im Kontext von deutschem Standarddeutsch objektiv falsch ist — wenn Du mir das nicht glaubst, dann schau Dir am ZDF eine Dokumentation über Pferde an.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik
Altersweise  13.07.2023, 18:13

Klasse!

Aber Karotten und Möhren? Das sind doch Gelbe Rüben! In meinem heimatlichen fränkischen Dialekt Gelbarumm.

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spanferkel14  26.08.2023, 22:29

Eine wirklich erschöpfende Antwort. Nur bei 1. stimme ich dir nicht zu. Die Aussprache [iç] bei auslautendem -ig ist im deutschländischen Standarddeutsch tatsächlich korrekt, also der Könich, aber natürlich die Könige. Das Essen ist fertich. Und früher hieß es: "Wer den Pfennich nicht ehrt, ist des Talers nicht wert."

Wenn ich natürlich Pflug, Flug und Fluch gleich ausspreche, nämlich [fluːx], so ist das standardsprachlich nicht korrekt, sondern verrät, dass ich aus Norddeutschland bin und mir nie Gedanken über meine Aussprache gemacht habe.

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indiachinacook  26.08.2023, 23:01
@spanferkel14

Da hast Du natürlich recht, die ç-Aussprache ist in Deutschland Standard, das sieht man daran, daß es im ZDF so gesagt wird, daß es in Deutschlehrbüchern so ge­schrie­ben steht und daß ±alle Leute so reden.

Aber das hat ausschließlich mit Politik zu tun — in Österreich oder Schweiz sagt man es nicht, da ist nämlich die k-Aussprache Standard (und steht auch so in Sprach­lehrbüchern).

Es ist schwer, ein rationales Argument zu finden, daß zwischen den beiden Stan­dards ent­scheiden kann. Ich vermute, daß das ç eine regionale Marotte war (ich rate NW, weil das neben Holland liegt und man dort ja nicht nur [ˈfɛʁtiç] sondern sogar [taːx] sagt, also diese Spirantisierung extrem betreibt) und sich dann irgend­wie aus­ge­brei­tet hat. Im Internet habe ich wieder­­holt gelesen, daß das ç im spä­ten 19. Jahr­hun­dert zu­erst über die Büh­nen­sprache Ver­brei­tung fand und dann in die All­tags­sprache ein­dif­fun­dier­te; aber ich ken­ne keine gute Quel­le, die das be­stätigt. Aber natür­lich be­ginnt jeder Sprach­wandel als regio­nale Marot­te, und ob er irgend­wann stan­dard­sprach­lich wird, hängt wohl vor allem vom Zufall ab.

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Ontario  27.08.2023, 09:20

Wie sagen die Berliner ? Wir schreiben Pferd und sagen Jaul. Oder janz Balin war eene Wolke unn nur icke war zu sehn.

Teilweise fliesen Worte aus anderen Sprachen ein. Ich hatte Großeltern die aus der Pfalz kamen. Die verwendeten oft noch Wörter aus der französischen Sprache.

Trottoir für Gehsteig. Portemonnaie für Geldbeutel. Parableu für Regenschirm , Couvert für Umschlag usw.

Oder das Beamtendeutsch. Anstatt einfach Rasen zu sagen, umschreibt man das als belebte Bodenzone. Übergreifendes Großgrün, damit ist ein Baum gemeint. Ein Behältnis zum Befüllen mit Wasser, damit ist eine Vase gemeint.

Besonders lächerlich ist die Definition eines Postsackes bzw. Postbeutels. Da muss man sich wirklich fragen, ob derjenige der sich diese Definition ausgedacht hat, noch klar im Kopf gewesen ist.

Auch in der EU wird auf 4 DIN A Seiten beschrieben was ein Traktor ist.

Ich frage mich, wer sich diesen Unsinn an Umschreibungen ausdenkt, der dann tatsächlich auch im Schriftverkehr verwendet wird ?

Die deutsche Grammatik ist nicht einfach. Es gibt kaum welche unter uns, die die deutsche Sprache in all ihren Formen korrekt beherrschen.

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indiachinacook  27.08.2023, 11:53
@Ontario
Trottoir für Gehsteig. Portemonnaie für Geldbeutel. Parableu für Regenschirm , Couvert für Umschlag usw.

Außer dem Parapluie kenne ich alle aus Österreich, dabei ist Couvert ist besonders häufig.

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Es wurde ja von indiachinacook sehr gut erklärt.
Ich wollte nur ein wenig ergänzen.

"die meinten wir sagen immer "ein" statt "einen", oder "könn" statt "können" und so, "

Interessante Beobachtung. Ich selber beobachte inzwischen, dass sich das auch im Schriftbild niederschlägt, viele (eher junge?) Menschen schreiben heute auch
"Ich habe ein Hund." statt "einen Hund". Das kann man hier auf GF sehr oft beobachten, fast jeden Tag.

"und "Honich" statt "Honig"

Ja, das erinnert mich an meinen Deutschlehrer, wir Schüler sagten ständig "Könik", und wurden von ihm stets auf "Könich" korrigiert. Die norddeutsche Aussprache scheint wohl dazu geführt zu haben, dass die Aussprache auf -ich bei geschriebenem -ig (König, Honig) der Standard wurde.

" oder Fead statt Pferd. Und eigentlich haben sie ja recht, man spricht das auf Hochdeutsch genau so aus und anders wäre auch falsch."

Eigentlich ist das Pf- durchaus standarddeutsch. Das einfache "F" wäre strenggenommen nicht ganz korrekt. Bei uns im Saarland war dort ein P- üblich (dat Päerd = das Pferd), ebenso "Appel" statt "Apfel".

p -> pf ist ein Teil der zweiten Lautverschiebung (Niederdeutsch zu hochdeutschen Dialekten). Siehe auch englisch "apple" (Englisch kennt das "pf" nicht, ebensowenig die niederdeutschen Dialekte).

Abgesehen davon, dass man in Österreich sehr wohl Deutsch spricht, neben Hochdeutsch mit österreichischem Akzent (ich mag ihn irgendwie) auch etliche Dialekte, ist etwa „Honich“ oder „könn“ (könn‘n) statt „können“ oder „ein“ (ein’n) statt „einen“ umgangssprachlich auch in Deutschland nicht selten zu hören. Ich sage auch eher „Honich“ und „Könich“ oder „artich“. Ich wohne auch im Norden.

Übrigens, „was ein Witz“ ist auch kein Hochdeutsch.

Natürlich spricht man in Österreich deutsch! Es ist ein deutscher Dialekt! Nur weil du angeblich keinen hast kannst du anderen doch nicht die Fähigkeit deutsch zu reden absprechen! Da du - entschuldige - aber aus meiner Sicht keine Ahnung von Dialekten hast ist deine Frage für mich nicht zu beantworten!

tomriddle700 
Fragesteller
 13.07.2023, 08:49

Ja ich meinte doch dass man in Österreich Dialekt spricht aber kein Hochdeutsch, ich glaube das weiß jeder

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WwernerR363  13.07.2023, 08:55
@tomriddle700

Du hast geschrieben "Was ein Witz, als ob man in Österreich überhaupt Deutsch sprechen kann..."

Sorry damit ist die Diskussion für mich beendet! Deine Sprache ist nicht besser oder gebildeter als andere!

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Jack98765  13.07.2023, 09:00
@tomriddle700
ich meinte doch dass man in Österreich Dialekt spricht aber kein Hochdeutsch

Deine Meinung hat halt nur keine allgemeine Gültigkeit. Wie oft warst du in Österreich und in welcher Region? Du wirst einige Regionen und v.a. Städte finden, da gibt es nur wenige die mit Dialekt sprechen.

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WwernerR363  13.07.2023, 09:01
@Jack98765

Das ist unwichtig; Ich habe an anderer Leute Dialekt nichts zu kritisieren und das war mein letzter Beitrag zu dem Thema!!

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jo135  13.07.2023, 09:04
@Jack98765

Auch österreichisches Hochdeutsch wird in Deutschland oft als "Dialekt" wahrgenommen. Ich finde es immer amüsant wenn sich Österreicher abmühen deswegen einen bundesdeutschen Akzent nachzuahmen (siehe YouTuber & Co.) - klingt lächerlich und ist deswegen nicht "hochdeutscher".

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Jack98765  13.07.2023, 09:08
@jo135

Klingt nicht lächerlicher als wenn ein Deutscher meint den österreichischen Akzent nachahmen zu müssen oder noch schlimmer meint irgendeinen Dialekt, den er mal gehört hat, zu sprechen. Aber du hast recht, ich kenne einige Kollegen die nur mit echtem Dialekt sprechen und wenn die mal Hochdeutsch sprechen (müssen), dann klingt das extrem komisch.

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Die deutsche Sprache ist ein weites Feld und was man heute für Hochdeutsch hält, ist eigentlich eine aus dem Oberdeutschen entwickelte Standardsprache. Ganz wesentlichen Anteil daran hatte ein gewisser Martin Luther, der mit seiner Bibelübersetzung nicht nur die Kirche auf den Kopf gestellt hat, sondern die deutsche Sprache durch eine vereinheitlichung und durch zahllose Sprachschöpfungen so geprägt hat wie kein anderer.

Da die Südländer, zu denen auch der Thüringer Martin Luther gehörte, diese Art der Sprache schon von Kindesbeinen an kannten und verstanden, konnten sie ihre lokalen und regionalen Dialekte lustig weitersprechen, während die Niederdeutschen diese Sprach erst erlernen mussten, wodurch sie sich in einem relativ großen Gebiet unter der Phonetik des Niederdeutschen einigermaßen einheitlich entwickelte.

Zu dieser Phonetik gehören auch Klänge wie das Pf, das im Platt immer wie F ausgesprochen wurde und das im Norden Deutschlands in die neue Sprache aufgenommen wurde. Die oberdeutschen Dialekte hatten schon lange die Lautverschiebung zum Pf mitgemacht ebenso wie das Z, das aus dem niederdeutschen T entstand.

Dass sich viele Menschen im Norden des deutschen Sprachraums aber einbilden Hochdeutsch zu reden, ist und bleibt aber eine Einbildung, es ist lediglich nur die regionale Ausformung der Schriftsprache.

Ein Pferd ist ein Pferd und kein Ferd.

Wobei ihr im Norden natürlich ebenso reden dürft und sollt wie euch der Schnabel gewachsen ist. Genau das macht nämlich den Reichtum unserer Sprache aus.

Damit sich alle wenigstens schriftlich verständigen können,, haben wir eine einheitliche Schriftsprache, die schon genügend und nicht immer zum besten reformiert worden ist.