Streitpunkt: „Es gibt mehr als 2 Geschlechter.“
Veraltete Wissenschaft oder Opfer eines Trends, was ist eure Ansicht zur der Debatte?
Meinst du das biologische (im englischen "sex" genannt) oder das soziale Geschlecht (im englischen "gender" genannt)?
Ich wusste nicht mal das es Unterschiede gibt. Ich meine aber das biologische.
12 Antworten
Diese Person hat XY und ist nach deiner Definition dann ein Mann:
Bildquelle:
https://www.thesun.ie/health/11402991/intersex-woman-genetically-male-alyssa-ball-testes-stomach/
XY-Frauen mit vollständiger Androgenresistenz sind genetisch ein Mann, haben aber einen vollständig weiblichen Phänotyp (inklusive Vagina). Bei der Geburt wird ihnen deshalb auch das Geschlecht "weiblich" zugewiesen (genetische Untersuchungen diesbezüglich sind unüblich).
Es gibt also bereits auf der biologischen Ebene massive Schwierigkeiten bei einer strikten binären Einteilung.
Das biologische Geschlecht ist ein Spektrum (Bandbreite, Kontinuum) mit männlich und weiblich als Extreme an den beiden Rändern in dieser Grafik (ganz oben das chromosomale Geschlecht, dann das gonadale und das genitale Geschlecht abgebildet):
Bildquelle:
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/medgen-2023-2039/html
Aus der medizinischen Fachzeitschrift Medizinische Genetik: das binäre Modell widerspricht den neuesten Erkenntnissen in Biologie und Humanmedizin.
Research in this context needs to acknowledge that a binary model of only two mutually exclusive sexes is in conflict with both old and recent findings in biology, medicine and the humanities.
This binary model is based on presumptions that cannot accommodate the dynamics and complexity of the phenomena of sex development and expression, or the diversity of experiences of sex, gender and their meanings.
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/medgen-2023-2039/html
Fachzeitschrift nature: nur männlich und weiblich ist eine Vereinfachung von einem Spektrum:
The idea of two sexes is simplistic. Biologists now think there is a wider spectrum than that.
https://www.nature.com/articles/518288a#Tab1
Aus dem Fachgebiet Anatomie die Fachzeitschrift Anatomical Sciences Education: Sex (Geschlecht) ist ein Continuum
Consequently, the binary division in male and female sex has been called into question and a more fluid understanding of sex has been proposed.
Some of the major textbooks teach anatomy, particularly of the urogenital system, as a male-female binary.
Anatomical sciences curricula need to adopt a more current approach to sex including the introduction of the category of "intersex"/"differences in sexual development" and present sex as a continuum rather than two sharply divided sets of characteristics.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32735387/
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation): Sex und Gender sind ein Spektrum
Going beyond binary approaches to gender and health to recognize gender and sexual diversity, or the concepts that gender identity exists on a continuum and that sex is not limited to male or female.
https://www.who.int/news/item/06-07-2022-who-updates-widely-used-gender-mainstreaming-manual



Nur weil es abweichenden Ausprägungen gibt, bedeutet das nicht automatisch, dass das zugrundeliegende Klassensystem nicht binär ist. Dass es seltene Varianten gibt, bedeutet logischerweise nicht, dass daraus eine neue Geschlechtsklasse entsteht. Es geht in der Biologie um Fortpflanzung – und da gibt es genau zwei funktionale Rollen: Eizellen oder Spermien. Wenn jemand aufgrund einer Störung keine dieser Funktionen erfüllt, dann steht die Person je nachdem außerhalb der Fortpflanzungsfähigkeit – aber nicht zwischen oder jenseits der Geschlechter. Das ist eine Ausnahme im System, keine Erweiterung davon.
Erst stellst du mit Verweis auf XY-Frauen und Zitate aus Nature & WHO die Binarität biologischer Geschlechter offen infrage – was ganz offensichtlich der Kern deiner Argumentation war. Und jetzt, wo du darauf hingewiesen wirst, dass das biologische System trotz Ausnahmen funktional binär bleibt, kommst du mit einem „wird nicht behauptet“. Aha sososo...
Doch, wurde behauptet. Nicht wortwörtlich – aber sinngemäß. Deine ganze Argumentation basiert darauf, dass es mehr gibt als „männlich“ und „weiblich“ und dass das Binärmodell biologisch „nicht haltbar“ sei. Wenn du diese Aussage aber nicht vertreten willst, bleibt von deinem Einwand exakt gar nichts übrig.
wenn es eine Ausnahme gibt, dann ist das System nicht binär
In der Biologie bezeichnet „binär“ zwei funktionale Kategorien – hier: Fortpflanzungsrollen basierend auf Gametenproduktion. Eizelle oder Spermium. Dritte Option? Gibt es nicht. Alles, was davon abweicht – ob CAIS, Klinefelter oder Turner – sind dokumentierte, extrem seltene Entwicklungsabweichungen, nicht neue funktionale Klassen.
Ein Beispiel: Fruchtbarkeit. Die menschliche Fortpflanzung basiert auf der funktionalen Interaktion zwischen spermienproduzierenden und eizellenproduzierenden Individuen – männlich und weiblich. Es gibt unfruchtbare Männer und unfruchtbare Frauen – durch genetische Defekte, Krankheiten oder hormonelle Störungen. Diese Menschen weichen funktional vom System ab, aber sie verändern das System nicht. Niemand käme ernsthaft auf die Idee zu sagen: „Weil es unfruchtbare Menschen gibt, ist menschliche Fortpflanzung kein Zwei-Komponenten-System mehr.“ Warum? Weil die Grundstruktur erhalten bleibt – zwei komplementäre Rollen, seltene Ausfälle.
Das selbe z.B. auch bei Rechts- und Linkshändigkeit. Fast alle Menschen sind entweder rechts- oder linkshändig – binär verteilt. Dann gibt es eine winzige Gruppe mit extremer Beidhändigkeit oder pathologischen Einschränkungen. Trotzdem spricht niemand ernsthaft davon, dass das Konzept „Rechts/Links“ als Orientierungssystem nicht mehr gilt. Warum? Weil es funktional binär bleibt – auch wenn manche Ausnahmen existieren.
die Binarität biologischer Geschlechter offen infrage
Es wird kein 3. Geschlecht definiert.
Sondern ein Spektrum zwischen männlich und weiblich. Statt einem streng getrennten binärem System ein Kontinuum.
auch wenn manche Ausnahmen existieren.
Und somit ist es kein streng getrenntes binäres System mehr.
Die Ausnahme liegt auf dem Spektrum dazwischen.
Der Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch unterteilt das biologische Geschlecht in verschiedene Dimensionen:
- chromosomales Geschlecht
- genitales Geschlecht
- gonoduktales Geschlecht
- gonadales Geschlecht.
https://images.gutefrage.net/media/fragen-antworten/bilder/592769151/0_full.webp?v=1747141682000
Jede Dimension ist ein Spektrum.
Die Existenz von Spektren innerhalb einzelner Dimensionen widerspricht aber nun mal nicht der binären Struktur des biologischen Geschlechts im funktionalen Sinne. Seit Anisogamie sich vor rund einer Milliarde Jahren durchgesetzt hat, gibt es beim Menschen exakt zwei . Mehr Varianten hat die Natur bis heute nicht hervorgebracht. Die Evolutionsbiologische Kerndefinition für Biologisches Geschlecht wird in der Fachliteratur daher auch eindeutig anhand der Fortpflanzungsrolle definiert:
- Organismen, die große, unbewegliche Gameten erzeugen → weiblich
- Organismen, die kleine, bewegliche Gameten erzeugen → männlich
Dieses Prinzip – Anisogamie – ist seit gut einer Milliarde Jahre die Grundlage aller höheren Vielzeller. Mehr als zwei Gametentypen sind beim Menschen nie beobachtet worden.
Die Achsen, die du aus dem Pschyrembel anführst – chromosomal, gonadal, genital – sind tatsächlich graduell. Genau das beschreibt der Eintrag: Dimensionen, nicht neue Kategorien. Auf jeder Achse können Zwischenwerte oder Fehlkopplungen auftreten (CAIS liegt z. B. bei 1 : 20 000–60 000 XY-Geburten). Doch in keinem dieser Fälle entsteht ein dritter Gametentyp; die Betroffenen produzieren entweder funktionstüchtige Spermien, funktionstüchtige Eizellen – oder gar keine. Sie liegen also außerhalb der Funktion, nicht „zwischen“ zwei neuen Polen.
Diese „Spektren“ (chromosomal, gonadal, genital, hormonell) beschreiben also Entwicklungswege, keine neuen Fortpflanzungsklassen. Wenn irgendwo auf diesen Achsen etwas schiefläuft (CAIS, Turner, Klinefelter …), entsteht keine dritte Gametenart und auch keine dazwischen, sondern eine Person ohne funktionsfähige Spermien oder Eizellen. Mediziner sprechen deshalb von Störungen der Geschlechtsentwicklung, nicht von „Zwischengeschlechtern“.
Ein Spektrum einzelner Merkmale ändert also nichts an der binären Architektur, genau wie Farbblindheit das sichtbare Lichtspektrum nicht um neue Farben erweitert. Wer behauptet, Ausnahmen oder Übergänge machten das System „nicht mehr binär“, verwechselt Variationsbreite innerhalb der Klassen mit neuen Klassen jenseits des Systems – zwei völlig verschiedene Ebenen.
nicht von „Zwischengeschlechtern“.
der Begriff ist mehr als 100 Jahre alt:
‚Zwischengeschlechtlichkeit‘, ein spätestens seit den 1920/1930er Jahren verwendeter Begriff.
https://de.wikipedia.org/wiki/Intergeschlechtlichkeit
Störungen der Geschlechtsentwicklung,
oder statt "Störungen" das Wort "Varianten":
In der aktuellen medizinischen Leitlinie der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wird nur noch der Begriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ verwendet, „da der Begriff ‚disorders‘ (Störung) eine Pathologie impliziert“, wie auch in der Leitlinie festgestellt wird.
Intersex, also zwischengeschlechtlich, wird bis heute verwendet:
Auf der Webseite zum Forschungsprojekt der Universität Hamburg heißt es: „Inzwischen wird Intersexualtität vom Begriff Intergeschlechtlichkeit abgelöst. Im Englischen findet der Begriff Intersex Verwendung“
Du weichst vom eigentlichen Punkt ab. Ja, der Begriff „Zwischengeschlecht“ ist alt, und ja, man spricht heute sensibler von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. Aber das ist ein sprachlicher "Fortschritt" – kein biologischer. Und dass die AWMF-Leitlinie heute von „Varianten“ statt „Störungen“ spricht, ist medizinisch wie ethisch nachvollziehbar – aber halt eben semantisch. Der Begriff wurde angepasst, nicht das biologische Konzept.
Wenn du sagst, das sei „eine Variationsbreite zwischen männlich und weiblich“ und daher keine strikte binäre Trennung, dann verwechselst du – wie gesagt – Ausprägungsvielfalt entlang entwicklungsbiologischer Achsen mit einer Erweiterung des binären Systems. Medizinisch bleibt relevant, ob jemand funktional Spermien oder Eizellen produziert – und genau daran orientiert sich die Definition des biologischen Geschlechts in der Evolutionsbiologie wie auch in der Endokrinologie.Intersexuelle Varianten sind logischerweise reale medizinische Sonderfälle – aber sie ändern nichts an der Tatsache, dass es biologisch zwei Fortpflanzungsrollen gibt: männlich und weiblich. Dass bei der Entwicklung manchmal etwas schiefläuft, macht daraus kein Spektrum, sondern zeigt schlicht, dass Natur nicht immer perfekt arbeitet. Gibt es immer wieder auch bei diversen anderen Dingen, aber da ist es ja dann nicht so relevant, dass man dieses Phänomen auf eine Sonderebene stellen muss.
Wenn das biologische Geschlecht wirklich ein Spektrum wäre – funktional, nicht nur entwicklungsbiologisch –, dann müsste es auch medizinisch so gehandhabt werden. Aber das passiert nicht.
Manchmal geht mit dem Vererben der Gene etwas schief. Dann haben Kinder das Downsyndrom, oder das Klinefeldersyndrom, oder die Geschlechtsorgane sind nicht richtig ausgebildet worden oder Frauen sehen männlich aus und fühlen sich auch so, oder Männer sehen weiblich aus und fühlen sich auch so. Der Natur fällt immer mal etwas anderes ein, auch Mutationen gibt es öfter.
Die Sprache verschleiert es. Wir verwenden ein Wort, das Wort Geschlecht, für zwei verschiedene Dinge.
Biologisch gibt es (hauptsächlich) zwei. Darauf bezieht sich deine Grafik. Zwar gibt es Abweichungen, aber wenn man das im Hinterkopf behält, kann man ruhig von zwei biologischen Geschlechtern reden. (Und wenn man sich bemüht die, die aus dem Raster fallen nicht auszugrenzen.)
Sozial ist es nun mal so, dass die Regeln nicht so leicht sind. Denn soziale Gefüge sind nicht gegeben, sondern gemacht. Das heißt auch man kann sie ändern. Wenn es also genug Menschen gibt, die sich in ihrer Rolle nicht so fühlen wie die binäre Biologie das vorgibt, dann kann man ja durch diskutieren auch nicht dafür sorgen, dass sie das tun. Die Gesellschaft macht einen Wandel durch und früher oder später werden diejenigen, die sich dem verweigern, abgehängt.
Das Problem an dem Streitthema ist vielleicht die deutsche Sprache.
Im Englischen spricht man von Gender und Sex. Alles was den Begriff Sex nicht beinhaltet spielt für die Biologie beim Geschlecht nicht wirklich eine Rolle.
Wenn Leute zum Gynäkologen gehen, zur regelmäßigen Routineuntersuchung interessiert für die Arbeit niemand dort welches Gender der Patient hat. Außer vielleicht bei der Anrede eines Patienten.
Mich persönlich interessiert wenig welches Geschlecht jemand hat. Mich interessiert auch nicht wer Cis oder Trans ist oder wer mit wem in die Kiste steigt. Sag mir wie ich dich anzusprechen habe und fertig.
Wenn ich dich sympathisch finde alles gut und wenn ich dich unsympathisch finde beschränke ich den Kontakt auf das Nötige, mit dem erforderlichen zwischenmenschlichen Respekt der jedem zusteht.
Das handhabe ich im Übrigen auch bei sogenannten Cis Menschen so. Genauso wie bei jeder Nationalität, bei jeder Erkrankung/Behinderung, bei jeder politischen Richtung, bei jedem anderen aus dem LGBTQ Bereich, bei jedem Fury oder Alter usw.
Ich behandle jeden auf die selbe Weise. Den einzigen Unterschied den ich tatsächlich mache ist dass ich Leute aus meinem Freundes, Familien- und Bekanntenkreis anders behandle als mir fremde Menschen. Is klar.
Veraltete Wissenschaft oder Opfer eines Trends, was ist eure Ansicht zur der Debatte?
Eher ein gewaltiges Kommunikationsproblem verbunden mit Naivität bzw. Leichtgläubigkeit.
Wenn alle das biologische Geschlecht und das soziale/gefühlte Geschlecht bzw. die eigen Geschlechtsidentifizierung kommunikativ klar trennen würden, dann hätten wir vermutlich diesbezüglich kaum noch Missverständnisse.
Ähnlich wie mit dem Klimawandel und dem anthropogenen Klimawandel, politisch links bzw. progressiv und linksextrem oder sozialistisch, politisch rechts bzw. konservativ und rechtsextrem oder Wärmepumpengesetz und Gebäudeenergiegesetz.
Klare Differenzierungen bzw. Benennungen würden so viele Probleme vermeiden.
Dein Beispiel mit der XY-Frau, also jemandem mit vollständiger Androgenresistenz (CAIS), ist medizinisch interessant – aber es ist kein Argument gegen die biologische Zweigeschlechtlichkeit, sondern eher ein Beleg dafür, wie robust dieses System ist, selbst trotz seltener Ausnahmen.
CAIS-Betroffene haben zwar einen weiblichen Phänotyp – aber funktional weder Eierstöcke noch eine Gebärmutter, und vor allem: keine Eizellen. Sie sind genetisch 46,XY, produzieren intern Testosteron, aber der Körper reagiert nicht darauf. Ergebnis: Hoden im Bauchraum, kein Uterus, kein Eisprung – also auch keine Fortpflanzung. Was sie nicht haben: eine dritte Gametenklasse. Und genau darum geht’s in der Biologie: Reproduktion. Zwei Gametentypen – große, unbewegliche Eizellen (weiblich), kleine, bewegliche Spermien (männlich). Alles dazwischen oder außerhalb – also Intersex-Varianten, Chromosomenbesonderheiten oder Rezeptordefekte – bleibt entweder innerhalb dieser zwei Klassen oder führt zu funktionaler Sterilität, nicht zu einem neuen Geschlecht.
Die Zitate aus Nature, der WHO oder Medizinische Genetik sprechen nebenbei von Spektren, Komplexität und sozialer Diversität. Völlig richtig. Aber kein einziger dieser Texte behauptet, es gäbe biologisch mehr als zwei Fortpflanzungsklassen. Das ist ein Denkfehler: Nur weil es Zwischenformen in der Ausprägung gibt, heißt das nicht, dass es auch mehr Endpunkte gibt.