Schwarzfahren entkriminalisieren?
Ordnungswidrigkeit statt Straftat: Justizminister Buschmann möchte das Fahren ohne Ticket entkriminalisieren. Der Gesetzentwurf soll bald vorliegen. Die Kritik daran ist deutlich - von zwei Seiten.
Einsteigen, losfahren, schwarzfahren - sei es aus Gedankenlosigkeit, aus Nervenkitzel oder aus Geldnot. Viele halten Schwarzfahren für ein Kavaliersdelikt, doch es ist nach deutschem Recht eine Straftat. Etwa 148.000 mal im Jahr kommt es zur Anzeige. Ein Massendelikt also, das den Behörden enorm viel Arbeit bereitet.
Justizminister Marco Buschmann möchte die Gerichte entlasten, indem er das Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit herabstuft, ähnlich wie Falschparken - dann droht keine Strafe mehr, sondern nur noch ein Bußgeld. Doch an dem Entwurf gibt es Kritik von mehreren Seiten.
Beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen kommt der Vorschlag nicht gut an. Er schätzt den Schaden durch Schwarzfahrer auf etwa 750 Millionen bis rund eine Milliarde Euro pro Jahr. Der ehrliche Fahrgast muss es mit steigenden Fahrpreisen ausbaden. VDV-Präsident Ingo Wortmann: "Die Idee, Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, zeugt nicht von Respekt für unsere Leistung und die Arbeit unserer Beschäftigten."
Der Straftatbestand habe außerdem eine abschreckende Wirkung. Würde man ihn zur Ordnungswidrigkeit abschwächen, könne die Zahl der Schwarzfahrer weiter steigen, ergänzt VDV-Sprecher Lars Wagner. Auch für die Praxis sei das wichtig, denn: "Wenn es eine Straftat ist, haben auch unsere Prüferinnen und Prüfer andere Möglichkeiten vor Ort, zum Beispiel die Personalien festzustellen oder denjenigen festzuhalten."
Experten fordern ersatzlose Abschaffung
Doch Justizminister Buschmann steht von zwei Seiten unter Druck: In einem offenen Brief fordern mehr als 120 Experten die ersatzlose Abschaffung der Straftat "Beförderungserschleichung" laut Paragraf 265a StGB.
Sie argumentieren: Bußgeld statt Geldstrafe bringt nicht viel, denn auch ein Bußgeld muss schließlich eingetrieben werden. Zwar nicht durch die Justiz, aber durch die Kommunen - die Mehrarbeit würde nur verschoben. Und wenn man gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt, landet es doch wieder vor Gericht.
Kriminologin: Pläne nicht zu Ende gedacht
Auch die Kriminologin Christine Graebsch von der Fachhochschule Dortmund unterstützt den offenen Brief. Die Pläne des Justizministers seien nicht zu Ende gedacht. Denn Haftstrafen, die vor allem zahlungsunfähige, verarmte Personen treffen, würden dadurch nicht vermieden.
So droht am Ende eines Bußgeldverfahrens statt der "Ersatzfreiheitsstrafe" die "Erzwingungshaft". Das hätte für die Betroffenen sogar einen gravierenden Nachteil, betont Graebsch: "Bei der Ersatzfreiheitsstrafe muss man nach der Haft die Geldstrafe nicht mehr bezahlen, bei der Erzwingungshaft dagegen wird die Haft nicht angerechnet, man muss man die Geldbuße nach der Zeit im Gefängnis trotzdem noch bezahlen." Die Zahl der Betroffen schätzt sie grob auf etwa 7.000 Fälle pro Jahr.
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Die Debatte um das Schwarzfahren wird also im Herbst neu aufleben. Kriminologin Graebsch wünscht sich eine vollständige Entkriminalisierung des Themas. Das "erhöhte Beförderungsentgelt" von meist 60 Euro sei ausreichend, das müssten dann die Verkehrsunternehmen zivilrechtlich per Inkasso eintreiben. Sie kritisiert: "Im Moment ist es so, dass die Gerichte das Inkassounternehmen der Verkehrsbetriebe sind. Das kann nicht richtig sein und ist auch nicht die Aufgabe von Strafjustiz."
Bereits heute verzichten einige Verkehrsunternehmen freiwillig darauf, Strafanzeigen zu stellen. Doch Schwarzfahren komplett entkriminalisieren? Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen warnt: "Dann wäre die Botschaft: Kauf ein Ticket oder lass' es einfach. Beim Ladendiebstahl sagt ja auch niemand, der Arme konnte sich die Milch nicht leisten. Wenn man der Überlastung der Justiz begegnet, indem man Gesetze abschafft, dann ist man auf dem falschen Weg", argumentiert VDV-Sprecher Wagner.
Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/gesetzesreform-schwarzfahren-100.html
Meine Fragen an Euch:
- Unterstützt Ihr die Pläne von Verkehrsminister Buschmann?
- Gehen diese Pläne zu weit, oder nicht weit genug?
- Wart Ihr selbst bereits von Strafen als Schwarzfahrer betroffen und fandet Ihr das gerecht?
- Sollte der ÖPNV stattdessen völlig kostenlos und durch Steuermittel subventioniert sein?
Richtigstellung: In meinen Fragen habe ich Herrn Buschmann mal eben zum Verkehrsminister gemacht. Er ist natürlich Justizminister, wie oben richtig steht.
Verkehrsminister ist Herr Wissing, ebenfalls FDP. Daher der Fehler.
Ich bitte die Nutzer um Verzeihung.
53 Stimmen
17 Antworten
Kostenloser Nahverkehr ist dringend notwendig. Die Straßennutzung muss in Deutschland auch nicht bezahlt werden, daher ist es unsinnig, das beim Nahverkehr anders zu gestalten und damit den Autoverkehr einseitig zu bevorzugen.
Wäre der ÖPNV würde ich öfters alleine fahren.
So fahre ich meistens als Begleitperson, weil es mich nichts kostet.
Für eine Tageskarte in die nächste Kleinstadt (15 Minuten Fahrt ein Weg) müssen zurzeit 6,30 € hingelegt werden.
Ja, es gibt das Deutschland-Ticket.
Nur passt das nicht für alle.
Die Politik wollte das nicht, aber die Lobbyverbände der Verkehrsunternehmen wollten es so.
Das Deutschlandticket ist ein Abo-Modell. Zwar monatlich kündbar aber es erlischt nicht automatisch wie eine Prepaid-Karte bei zuwenig Guthaben.
Das Deutschlandticket ist nicht Prepaid.
Mit laufender Privatinsolvenz kann man sich den Erwerb eines Deutschlandtickets jedenfalls abschminken.
wenn es weiter keine Kriterien gibt können dann die allermeisten dieses Ticket kaufen.
Jeder der einen Mobilfunkvetrag bekommt bekommt auch das Deutschlandticket.
Ordnungswidrigkeit statt Straftat: Justizminister Buschmann möchte das Fahren ohne Ticket entkriminalisieren. Der Gesetzentwurf soll bald vorliegen.“
Versagen auf ganzer Linie. Erst Cannabislegalisierung, dann wurde die Strafe für Kinderpornos gesenkt, dann sagt der eine Polizeisprecher, dass überlegt wird Leuten die illegale Messer abgeben ein Netflix-Jahresabo zu schenken und jetzt sowas.
Die Strafen werden nicht verringert, weil die Taten weniger schlimm sind, sondern, weil es einfach nicht mehr geschafft wird von den Behörden das alles zu bearbeiten.
Armutszeugnis.
Ich war schon 2x Schwarzfahrerin, wußte das aber nicht, sonst wäre ich rechtzeitig getürmt, wäre möglich gewesen. Einmal ein alter Fahrschein einer 10er- Karte, wo mitllerweilig der Preis 5 Pfennig teurer war, hatte ich nicht mitbekommen- habe danach besser auf Bus und Bahn in dieser Stadt verzichtet.
Und einmal hatte ich mich ein ganz wenig vertan bei der zeitlichen Gültigkeit eines Tagestickets, wurde 20 Minuten nach Ablauf "erwischt" Habe da die Zeit falsch gelesen. Hätte sonst die Verbindung davor genommen.
Öffis kostenlos hätte schon was, aber würde MIR auch nichts bringen, da, da, wo ich wohne, gibt es sowas so selten und nicht in die Richtung, in die man sowas brauchen würde. Eigentlich frage ich mich, warum hier überhaupt noch Busse rumfahren. Die wenigen, die fahren, sind eh leer.
Einmal fiel ich als Fahrerin bei Besuch durch meine Tochter aus. Da mußte sie, weil es KEINEN EINZIGEN Bus gab, mit dem Taxi vom Bahnhof hierherkommen, (nichtmal mit 3x umsteigen und 3 Stunden Fahrt (so sieht die Verbindung zu den wenigen Zeiten, wo was fährt, aus) für eine Strecke, für die ich mit dem Auto keine halbe Stunde brauche): über 60€
Danke für Deine persönlichen Erfahrungen.
Wenn die Politik wirklich eine Mobilitätswende wollte (was ich im Autoland Deutschland bezweifle) können solche Zustände nicht bleiben.
Dann muss aber auch allen klar sein, dass ein guter und am besten kostenfreier ÖPNV nicht zum Nulltarif zu haben ist. Aber für anderen Mist sind ja auch genug Steuergelder vorhanden.
Justizminister Marco Buschmann möchte die Gerichte entlasten, indem er das Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit herabstuft, ähnlich wie Falschparken - dann droht keine Strafe mehr, sondern nur noch ein Bußgeld. Doch an dem Entwurf gibt es Kritik von mehreren Seiten.
Finde das Ganze völlig in Ordnung bzw. es ist realitätsnah und ein Vorstoß, den ich für passend halte.
Man würde die Gerichte entlasten, die sich jetzt schon mit allerhand Kleinkram herumschlagen müssen und oft genug über Nonsens verhandeln, über den es sich nicht zu verhandeln lohnt. Ich habe schon Verhandlungen erlebt, wo ich mich echt fragte, warum ich dafür aufgestanden und zum Schöffendienst erschienen bin - weil man das auch anders hätte regeln können.
Außerdem kommt beim Schwarzfahren - ich nutze den ÖPNV nicht, weil er grottig ist und ich ihm nicht vertraue - keiner zu Schaden außer einem Wirtschaftsunternehmen, dass wegen ein paar Schwarzfahrern nicht zugrunde geht. Die Denkweise ist auch nicht richtig, ich weiß, aber man muss mit zweierlei Maß messen: Es ist was Anderes, wenn jemand zu Schaden kommt, dem das was ausmacht und der davon ernsthaft getroffen und betroffen wird.
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen
Was sollten die auch anderes sagen? Lobbyisten dieser Art tun alles, um in den Medien auf sich aufmerksam zu machen und der Vergleich hinkt - denn umgewälzt auf alle Verkehrsunternehmen würden verschwindend geringe Summen entstehen, die dieselben aus der Portokasse zahlen könnten.
In einem offenen Brief fordern mehr als 120 Experten die ersatzlose Abschaffung der Straftat "Beförderungserschleichung" laut Paragraf 265a StGB.
"Experten", die in der Regel ihre Namen nicht nennen und "offene Briefe" schreiben, weil sie zu viel Zeit haben ... das sind ja meine besonderen Freunde. Ich sage es mal so: Die Argumentation ist zwar stimmig, aber auf den Kommunen sitzen genug Kaffeetrinker, die nix zu tun haben und denen es durchaus zuzumuten ist, Geld einzutreiben - den Gerichten wird so Arbeit aufgehalst, die so ein Kaffeetrinker mal eben ruhig machen kann, bevor er den ganzen Tag nur rumsitzt und die ihn nicht überanstrengen wird. Solche Fälle sind selten im Vergleich mit anderen, aber wenn solcher Kappes ein Gericht beschäftigt, ist es viel schlimmer und unvertretbarer.
Zudem der ÖPNV ohnehin nur mit staatlichen Subventionen funktioniert und Ersatzfreiheitsstrafen kosten den Staat/Steuerzahler nur noch mehr Geld. So wird auch Herr Buschmann denken, vermute ich.
Das auch - jeder Inhaftierte ist ein Kostenfaktor, den die Allgemeinheit auszuhalten hat.
Und zudem bekommen es nicht alle (Schufa/Bonitätsprüfung). Und Abo wollen auch nicht alle.
Ansonsten der ÖPNV tatsächlich zu teuer.