Hat man als Nachfahre von Zuwanderern in der dritten Generation noch einen Migrationshintergrund?
In Deutschland.
Wenn man selbst und beide Eltern mit deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland, aber die Großeltern im Ausland geboren wurden.
16 Stimmen
8 Antworten
Finde ich persönlich nicht. Und ich finde es bei vielen auch eher peinlich wenn sie dann auf Krampf versuchen kulturell anders zu sein oder ein paar Schimpfwörter kennen und anwenden obwohl sie bis auf das Weihnachtsessen Deutsch aufgewachsen sind…
Ich bin so einer und ... ich weiß es bis heute nicht. Ganz ehrlich, ich kann es nicht sagen. Bin in Deutschland geboren, sehe mich als Deutscher, von mir auch als (zugezogener und gut integrierter) bayrischer Schwabe, aber es gibt halt diese familiären Wurzeln und mein Opa war kein Deutscher und ich wurde in meiner Heimatstadt nachhaltig als "ein Ausländerkind" wahrgenommen und auch immer wieder diskriminiert deswegen... ich glaube, dass gerade diese Erlebnisse vieles in mir ausgelöst und angestoßen haben.
Richtig gemein, verletzend und boshaft waren übrigens ausgerechnet Leute, die selbst nicht in Deutschland geboren wurden - Vertriebene aus Böhmerwald und Egerland (von denen viele in meiner Heimatstadt lebten) waren ganz schlimm, darunter auch ein Lehrer, der uns fertig machte, wo er konnte. Es gab sehr viele Situationen mit diesen Leuten, die absolut unter aller Kanone gewesen sind und wo ich bis heute nicht weiß, warum das ausgerechnet von denen kam - die waren zwar zu fast allen sehr unleidlich, aber uns sowie den Russlanddeutschen oder Türken, Italienern und Polen waren sie erst recht schlimm. Ich habe das auch nie ganz verzeihen können und will mit Sudetendeutschen aus Böhmerwald und Egerland nichts zu tun haben, weil da alle Gemeinheiten und auch deren bigotte Frömmelei, mit der das noch schlimmer wurde, auch 30 Jahre später hochkommen.
Ich rede nicht groß drüber und ich identifiziere mich nicht als "Ausländer" oder als "Mann mit Migrationshintergrund" oder als "Nachfahre eines Zuwanderers", aber wenn man als Kind und Jugendlicher immer auch von Lehrern und den Eltern der Mitschüler als minderwertiger Ausländer deklassiert wird hinterlässt es Spuren. Bei meiner Mutter und meinen Onkels und Tanten ist es ähnlich und mein Cousin hat die selben Dinge in der Schule erlebt.
Es geht aber vielen so, auch meinen zum Großteil russlanddeutschen Kumpels, wir standen schon in den 90ern zwischen den Kulturen und auch wenn es heute keine Rolle mehr spielt und mich keiner drauf anspricht (zumal mein Opa den Nachnamen eindeutschen ließ) und ich keinen Akzent oder irgendwas habe ... ist es heute im Herzen immer noch so. Wir sind Deutsche, zum Großteil hier geboren, aber wir merken, da ist noch was da und können das nicht immer zuordnen. Habe gestern erst wieder mit einem Kumpel aus meiner Kindheit telefoniert und wir kamen auf das Thema - ich arbeite schon länger an einem Buchprojekt darüber, er erkundigte sich danach und wir haben beide das Gefühl, schon Deutsche zu sein, aber keine "echten" Deutschen wie irgendein Hans Müller, der einen Stammbaum aus seinem Heimatdorf bis ins Jahr 1600 hat. Bin aber auch der Meinung, dass die Gesellschaft das damals in uns reingepresst hat, weil uns zuhause die Herkunft zwar schon bekannt war und es gewisse Traditionen gab bei uns z.B. das strikte Festhalten an einem sehr katholischen Kulturkonservativismus wie ich es mal so sage, es war aber kein Dauerthema, auf das man sich immer und immer wieder berufen hat und das wir vom ersten Tag immer aufs Brot geschmiert bekamen.
Die Definition laut Verordnung zur Erhebung der Merkmale des Migrationshintergrundes: https://www.gesetze-im-internet.de/mighev/__6.html
Ein Migrationshintergrund liegt vor, wenn
- die Person nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder
- der Geburtsort der Person außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liegt und eine Zuwanderung in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 erfolgte oder
- der Geburtsort mindestens eines Elternteiles der Person außerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland liegt sowie eine Zuwanderung dieses Elternteiles in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 erfolgte.
Oder kurze Antwort: Nein
Das bleibt letztendlich dir selbst überlassen.
Es gibt Nachfahren von Hugenotten, die im 18. Jahrhundert aus Frankreich eingewandert sind und das heute noch erwähnen, meistens wenn der Name französisch klingt.
Normalerweise nicht.
Aber viele Türken in der dritten Generation bezeichnen sich selbst als stolze Türken.
Das ist wirklich ätzend.