Eigenes Gedicht Bewertung?
Ich habe wieder ein eigenes Gedicht geschrieben, ich spreche hier eine ausdrückliche Triggerwarnung aus, weil das nicht für jeden was sein kann. Viel Spaß beim Lesen, ich freue mich auf Bewertungen! Also wie findet ihr es?
Das ist mein Beitrag, mein Schmerz und Gedicht zur aktuellen Zeit:
Stell dir vor
Stell dir vor, es ist dein Vater.
Nicht irgendwer – dein Vater
Die Stimme, die dir einst das Fürchten nahm,
die dich trug, wenn du gefallen warst,
liegt nun am Boden,
blutend,
erschossen,
weil er Jude war.
Stell dir vor, es ist deine Mutter.
Nicht eine fremde Frau in Schwarzweiß.
Deine.
Die dir das Brot brach,
dich nachts zudeckte,
die dir sagte: „Du bist gut, so wie du bist.“
Sie schrie im Gas,
allein,
nackt,
und niemand hörte sie.
Stell dir vor, dein kleiner Bruder.
Sieben Jahre alt.
Noch Milchzähne.
Noch Träume.
Verhungert im Ghetto.
Oder zerschmettert
an der Wand,
weil es schneller ging.
---
Sechs Millionen.
Doch das war nicht alles.
Siebzehn Millionen Menschen
– ermordet –,
weil sie falsch waren im Weltbild
einer Maschine,
die Menschen zu Nummern machte,
zu Staub,
zu Nichts.
Juden.
Roma.
Kriegsgefangene.
Behinderte.
Zeugen Jehovas.
Widerständige.
Liebende –
die „Falschen“,
weil sie Männer liebten,
weil sie Frauen liebten,
weil sie frei lebten.
Stell dir vor, es wärst du.
---
Man sagt:
„Nie wieder.“
Doch wir sagen’s
zwischen zwei Stories,
zwischen einem Burger
und einem neuen Song.
Wir hören,
aber fühlen nicht.
Wir wissen,
aber handeln nicht.
Wir schauen,
aber sehen nichts.
Ein alter Mann schreit:
Ich verstehe es nicht!
Er, der in Täterblut geboren wurde,
versteht uns nicht –
uns,
die alles wissen könnten
und doch scrollen,
tippen,
liken,
weiter.
---
Wir zählen Likes.
Follower.
Wählerstimmen.
Wir zählen,
aber nicht bis sechs Millionen.
Wir zählen nicht
das Schweigen,
die Angst,
die Ausgrenzung.
Wir sagen:
„So schlimm wird’s nicht.“
„Das darf man ja wohl noch sagen…“
„Früher war auch nicht alles schlecht.“
Und während wir reden,
zieht der Hass
seine alten Stiefel wieder an.
---
Und manchmal trägt der Hass
Anzug und Lächeln,
redet von Heimat
und meint Ausgrenzung,
spricht von Ordnung
und meint Unterwerfung.
Er kommt nicht nur mit Marschmusik,
sondern auch mit Talkshowton.
Nicht nur mit Glatzen,
sondern mit Krawatten.
Nicht nur von rechts,
sondern aus der Mitte.
Denn es beginnt
nicht mit Lagern.
Es beginnt mit Worten.
Mit Schweigen.
Mit Wegsehen.
Mit der Angst,
die sich wie Mut kleidet.
Mit der Lüge,
die sich wie Wahrheit gibt.
Und dann,
dann ist es zu spät.
---
Vielleicht
müssen wir
die Bilder zeigen.
Nicht die Zahlen.
Die Gesichter.
Die Namen.
Die Schreie.
Vielleicht
müssen wir
fragen:
Was,
wenn es
deine Mutter wär?
Dein Geliebter?
Dein Kind?
Vielleicht
müssen wir
den Schmerz zulassen,
den Schmerz der anderen,
damit es nicht
unser Schmerz wird.
---
Du trägst diesen Schmerz,
und das ist gut.
Denn wer fühlt,
wird nicht gleichgültig.
Und wer nicht gleichgültig ist,
ist der Anfang
vom Widerstand.