Wie viele Menschen starben unter Joseph Stalins Herrschaft?

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Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo Timggh,

Wie viele Menschen starben unter Joseph Stalins Herrschaft? Weiß das jemand genau ?

Wenn Deine Frage sich auf die extremen Stalin'schen Repressionen gegen die eigene Bevölkerung und die Bekämpfung jeglicher Intellektueller und Oppositioneller bezieht, ist m.E. eine konkrete Antwort kaum möglich, da es zum einen darum geht, welche Verbrechen man alle dazu zählt und zum anderen nicht wenige - wie in despotischen Diktaturen entsetzlicherweise üblich - einfach spurlos verschwunden sind, siehe hier https://de.wikipedia.org/wiki/Verschwindenlassen

Erzwingung des spurlosen Verschwindens von Menschen, auch Verschwindenmachen, Verschwindenlassen oder Erzwungenes Verschwinden genannt (...), ist eine Form der staatlichen Willkür, bei der staatliche oder quasi-staatliche Organe Menschen in ihre Gewalt bringen und dem Schutz des Gesetzes längere Zeit entziehen, wobei dies gleichzeitig gegenüber der Öffentlichkeit geleugnet wird. Das Verschwindenlassen wird als Mittel der staatlichen Unterdrückung in der Regel gegen politische Gegner, vermeintliche Straftäter bzw. auch nur der herrschenden Gruppierung missfallende Personen angewendet. Es ist im Völkerrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sanktioniert und gilt als eine der schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen.
Dabei werden die Opfer meist durch anonym bleibende Mitglieder von Sicherheitskräften verhaftet oder entführt und an einen geheim gehaltenen Ort gebracht. Die Angehörigen und die Öffentlichkeit erfahren – auch auf ausdrückliche Nachfrage oder gerichtliche Anordnung – nichts über das plötzliche „Verschwinden“ und über den Aufenthaltsort des Verschwundenen. In den meisten Fällen werden die Opfer nach kurzer bis mehrmonatiger Haft, während derer sie oft auch gefoltert werden, ohne gerichtliches Verfahren umgebracht; ihre Leichen werden beseitigt. Da die Ermordung in der Regel streng geheim gehalten wird und staatliche Behörden jegliche Beteiligung strikt abstreiten, verbleiben Angehörige und Freunde oft jahrelang in einem verzweifelten Zustand zwischen Hoffnung und Resignation, obwohl das Opfer häufig bereits wenige Tage oder Wochen nach seinem Verschwinden getötet wurde.

Wie weit die Spannweite hinsichtlich der Opferzahlen der Stalinschen Terror-Herrschaft klafft, siehst Du allein schon hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Stalinsche_S%C3%A4uberungen

Stalinsche Säuberungen (...) waren eine Periode der sowjetischen Geschichte. Aus stalinistischer Sicht politisch „unzuverlässige“ und oppositionelle Personen wurden in dieser Zeit massiv verfolgt und ermordet. Die Gesamtzahl der Opfer ist nicht bekannt und schwer zu verifizieren. Schätzungen von Historikern reichen von einer Million bis 60 Millionen Toten.

Man sieht hier, wie groß die Spannweite der Schätzungen auseinanderklafft: Von einer Million bis 60 (!) Millionen.

Wie gesagt kommt es dabei insbesondere darauf an, was man alles "dazu zählt": Wenn man z.B. die Opfer der ethnischen Deportationen unter Stalin auch mit in dem Blick nimmt, dann wird das Bild der Gesamtzahlen sicherlich nochmals um ein Vielfaches entsetzlicher, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Ethnische_Deportationen_in_der_UdSSR

Ethnische Deportationen in der UdSSR waren Zwangsumsiedlungen sowjetischer Bürger meist zur Zeit des Stalinismus aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Sondersiedlungen und Gulags, vorwiegend in Mittelasien und Sibirien. Die Deportationen waren eine der Formen politischer und kollektiver Unterdrückung eigener Staatsbürger. Hauptmerkmale dieser Repressalien, die bewaffnete Einheiten des NKWD durchführten, waren ihr außergerichtlicher und ihr kollektiver, flächendeckender Charakter nach „nationaler“ Zugehörigkeit, obwohl die große Mehrheit der Deportierten keine politische Verfehlung beging, sowie die Bewegung einer großen Menge Menschen in einen geografisch abgelegenen, für sie ungewöhnlichen, oft riskanten Lebensraum.
Neben anderen Sozialgruppen wurden zehn Völker in der UdSSR vollständig deportiert: Russlandkoreaner, Russlanddeutsche, Ingermanland-Finnen, Karatschaier, Kalmücken, Tschetschenen, Inguschen, Balkaren, Krimtataren und kleinere Minderheiten der Krim und meskhetische Türken (...) . Den Karatschaiern, Balkaren, Kalmücken, Tschetschenen, Inguschen und Krimtataren wurde in den stalinistischen Deportationsdekreten als Begründung vorgeworfen, mehrheitlich mit der Wehrmacht und anderen deutschen Besatzungsbehörden kollaboriert zu haben. In der osteuropäischen Geschichtswissenschaft ist dieser Pauschalvorwurf seit langem widerlegt. 

Am Beispiel der Krimtataren kann man die Entsetzlichkeit, was "Deportation" unter Stalin bedeutete, eindrucksvoll ermessen, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Krimtataren#Deutsche_Besetzung,_Kollaboration_und_Deportation_im_Zweiten_Weltkrieg

Unter dem Vorwurf der kollektiven Kollaboration mit den Nazis wurden alle Krimtataren nach Zentralasien deportiert. Innerhalb weniger Tage (18. bis 20. Mai 1944) wurden etwa 189.000 Menschen unter fürchterlichen Bedingungen per Zug verfrachtet. Die Waggons der Deportierten wurden häufig tagelang nicht geöffnet, zwischen 22 % und 46 % bewegen sich die Schätzungen über die Prozentzahl der Todesopfer durch Verdursten, Verhungern und durch Krankheiten.

Eine Vielzahl weiterer Deportierter sind dann nach der Deportation rasch in Folge der oft unwirtlichen Lebensbedingungen an den Deportationszielen verstorben, was vom Stalin-Regime sicherlich mit einkalkuliert worden war.

Ebenso war z.B. auch der Holodomor in der Ukraine ein kalkuliertes stalinsches Verbrechen an der eigenen Bevölkerung mit Millionen von Toten, siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor

Der Begriff Holodomor (...) steht für den Teil der Hungersnot in der Sowjetunion in den 1930er Jahren in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. (...) Die Ukraine bemüht sich seit der Unabhängigkeit 1991 um eine internationale Anerkennung des Holodomors als Völkermord. (...)
Josef Stalin verfolgte das politische Ziel, den ukrainischen Freiheitswillen zu unterdrücken und die sowjetische Herrschaft in der Ukraine zu festigen. Die Bolschewiki waren bereits zuvor radikal gegen die ukrainische Intelligenzija und den ukrainischen Klerus vorgegangen. Zwischen 1926 und 1932 wurden durch staatlichen Terror in der Sowjetunion 10.000 Kleriker ermordet. Allein im Jahr 1931 wurden mehr als 50.000 Intellektuelle nach Sibirien deportiert, darunter die 114 wichtigsten Dichter, Schriftsteller und Künstler des Landes. Danach wandten sich die Bolschewiki nun gegen die Bauernschaft, die sich weiterhin hartnäckig der Kollektivierung und Umerziehung widersetzte. Im Sinne einer Russifizierung sollte die ukrainische Kultur ausgemerzt werden, so dass nur noch eine sowjetische Kultur übrig bliebe.
Der Holodomor begann mit zwei Missernten in den Jahren 1931 und 1932.[5] Trotz des Hungers der Landbevölkerung erhöhten die Parteikader die Abgabenquote der Bauern auf 44 Prozent. Während im Jahr 1931 noch 7,2 Millionen Tonnen Getreide in der Ukraine requiriert wurden, sank dieser Wert trotzdem auf 4,3 Millionen Tonnen im Jahr 1932. Das Getreide wurde größtenteils zur Devisenbeschaffung auf dem Weltmarkt verkauft. Die Einnahmen wurden zur Industrialisierung der sowjetischen Wirtschaft und zu Rüstungszwecken genutzt.
(...) entschied Stalin im Herbst 1932, die Hungerkrise gezielt gegen die Ukraine zu nutzen. Die Grenzen wurden geschlossen, so dass Hungerflüchtlinge nicht ausreisen konnten. Im Jahr 1932 erhielt Stanislaw Redens (Leiter der ukrainischen GPU und Schwager Stalins) zusammen mit dem Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU), Stanislaw Kossior, die Aufgabe, als Bestandteil der Kollektivierung einen Plan zu entwickeln, um die „Kulaken und die petljurschen Konterrevolutionäre“ zu liquidieren. Zweitausend Kolchosvorsitzende wurden daraufhin verhaftet. Als im Januar 1933 das Getreidesoll nicht erreicht war, löste man Redens in der Ukraine ab.
Am 28. November 1932 beschloss das Politbüro der KPU unter Wjatscheslaw Molotow, dem späteren sowjetischen Außenminister, als Bevollmächtigtem von Generalsekretär Stalin, die Verhängung von „Naturalienstrafen“ und die Einführung von „Schwarzen Listen“ gegen opponierende Bauern. In der Folge wurden die Lebensmittelforderungen an die Bauern drastisch forciert. In den Dörfern wurden darüber hinaus Haushaltsgegenstände wie Seife oder Petroleum konfisziert. Bolschewistische Brigaden suchten nach versteckten Lebensmitteln. Dörfer wurden systematisch ausgeplündert. In der Folge von Strafabgaben verloren viele Bauernfamilien ihren gesamten Besitz und endeten, um Essen bettelnd, in den Städten. In der Bevölkerung kam es zu Kannibalismus. (...)
Opferzahlen
Nach Berechnungen der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, die im November 2008 veröffentlicht wurden, betrug die Opferzahl in der Ukraine ca. 3,5 Millionen Menschen. Eine Studie ukrainischer Demografen kam 2015 auf eine Opferzahl von ca. 4,5 Millionen Menschen, bestehend aus 3,9 Millionen direkten Opfern und 0,6 Millionen Geburtenverlusten. Andere Schätzungen gehen von 2,4 bis 7,5 Millionen Hungertoten aus. Der britische Historiker Robert Conquest bezifferte die Gesamtopferzahl auf bis zu 14,5 Millionen Menschen, hierbei wurden neben den Hungertoten auch die Opfer der Kollektivierung und Entkulakisierung und der Geburtenverlust hinzugerechnet.

Allein schon an diesen Beispielen wird deutlich, warum es sehr schwierig ist, im Blick auf den Stalinschen Terror zu konkreten Opferzahlen zu finden, da es angesichts der Unmenge an Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung in seiner langjährigen Regierungszeit insbesondere davon abhängt, wie weit man den Kreis dessen fasst, was man alles mit in den Blick nimmt ... .

Liebe Grüße 🙂

Rheinflip  03.08.2023, 22:53

Und vergiss nicht die 25 Millionen Todesopfer durch den deutschen Vernichtungskrieg

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Ralph9  03.08.2023, 23:00
@Rheinflip
Und vergiss nicht die 25 Millionen Todesopfer durch den deutschen Vernichtungskrieg

Ja, auch das ist ein Beispiel dafür, dass es entscheidend ist, was man angesichts der Fragestellung alles mit dazu zählen will:

Wenn es "während Stalins Herrschaft" war, dann zählen die sicher auch dazu. Wenn mit der Frage eher "aufgrund Stalins innerer Säuberungen" gemeint ist, dann wird man die Zahlen möglichweise anders abgrenzen - und überlegen müssen, wieweit man evtl. auch den Hitler-Stalin-Pakt als mitursächlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als relevant betrachtet und auf welcher Basis man die Einbeziehung oder Ausgrenzung bestimmter Zusammenhänge und Opferzahlen evtl. begründet.

Und das von mir Genannte waren ebenso wiederum nur Beispiele dafür, warum das Nennen konkreter Zahlen und eben genau solche Abgrenzungen ganz schwierig zu ziehen sind - und deswegen auch die Schätzungen enorm weit auseinander klaffen. Einen Anspruch auf Vollständigkeit hat meine Darstellung erkennbarerweise ohnehin nicht erhoben; und an jedem weiteren solchen Beispiel wird wiederum genau die von mir benannte Problematik der Eingrenzung oder Ausweitung relevanter Zusammenhänge sichtbar ...

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Weiß das jemand genau ?

Nein - aber es wird von einigen zig Millionen ausgegangen.

Diese Frage wird dir niemand beantworten können!

Die Opferzahlen können immer nur geschätzt und hochgerechnet werden. Stalin hatte über Dzierżyński eine Geheimpolizei aufgebaut, die jeglichen Widerstand im Keim erstickte. Die Geheimen bespitzelten sich gegenseitig, Menschen verschwanden spurlos. Nachweise gab es nie bzw. wurden vernichtet. Damit kann auch nichts oder nur unvollständig recherchiert werden.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Deutlich mehr als unter Hitler auf jeden Fall.

Schätzungen gibt es keine verlässlichen.

Aber nach meiner Einschätzung mindestens 15 Millionen, dazu kamen noch die Kriegsopfer, das waren auch etwa 15-20 Millionen

Rheinflip  03.08.2023, 21:56

Wenn die Zahl 15 bis 20 Millionen Opfer für die stalinsche Politik stimmt, dann toppt Hitler das nur für die Sowjetunion mit locker 24 Millionen Toten

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Es gibt nur Schätzungen. Erlikman kommt auf 9 Millionen, Wolkogonow auf 19 bis 22, Heinsohn auf 20 Millionen Tote.