Was haltet ihr von diesem Spruch von Oscar Wilde?


24.02.2023, 09:47

Ich selbst finde diesen Spruch genial. Denn er trifft völlig zu — gerade heutzutage und topaktuell.

Dafur  24.02.2023, 10:19

In dem Spruch steckt eine unzulässige Verallgemeinerung. Das siehst du doch?

Tommyleinchen59 
Fragesteller
 24.02.2023, 10:35

Unzulässig? Ist das jetzt verboten?

12 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Was haltet ihr von diesem Spruch von Oscar Wilde?
'Auf seine eigene Art zu denken, ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht auf seine Art denkt, denkt überhaupt nicht.'

Ein sehr treffender Spruch! Er zielt ab auf eine Rechtfertigung fürs eigene Denken, um dem im Raum stehenden Vorwurf entgegenzutreten, eigenes Denken sei in irgendeiner Weise unbotmäßig, egoistisch und, wenn es um's eigene Wohl geht, moralisch fragwürdig.

Darin klingt an, dass Denken Aufgabe der Obrigkeit sei, die das schließlich bereits tue - nicht zu hinterfragen, für alle! Ebenso kann man bereits die unterschwellige Drohung ahnen, für den Selberdenker könne es zumindest unbequem werden.

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Von da wäre es dann ein kurzer Schritt, Selbst-Gedachtes in die Illegitimität und schließlich in die Illegalität zu verweisen - ähnlich kurz wie der Schritt (unter einem Vorwand - egal, wenn der sich hinterher als völlig unzutreffend erweisen sollte !) von der Demokratie zur Demokratur - wo über Sondererlasse, 'Notstands'-Gesetzesänderungen, Reichweiten-Bann und ähnliche Zensurmaßnahmen solche Gedanken abgewürgt werden, sobald sie den Kopf verlassen.

Kommt mir irgendwie bekannt vor... und sehr zeitgemäß!

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Wie beschrieb schon 1999 Jean-Claude Juncker, seines Zeichens EU-Kommissionspräsident, in seltener Offenheit die Vorgehensweise: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ (nachzulesen im „Spiegel“ 52/1999, S. 136).

So schaut's aus: 'Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände...' GENAU DARAUF läuft es bei den selbstgedachten Gedanken hinaus: Politiker haben Angst vor Selberdenkern.

Es geht nur um Kontrolle bei diesem ewigen Eiertanz: reale Grenzüberschreitungen einerseits und zugleich vorbeugende Kontrolle von Selberdenkern, die diese Grenzüberschreitungen aufdecken, benennen und öffentlich machen wollen, aber mit allen Mitteln der Manipulation daran gehindert werden !

Symptome dafür sind gut sichtbar : Selberdenker werden ausgiebigst mit Vokabeln wie Schwurbler, Querdenker und Verschwörungstheoretiker und mit brauner Farbe beworfen. Damit wird gewürdigt, dass sie längst eine ausgezeichnete Sensorik für sich abzeichnende Ungereimtheiten entwickelt haben und voraussehen, was solang es geht unter der Decke gehalten werden soll.

Ihre Triebfeder ist nicht Egoismus, sondern die Wahrheit. Und solange es - auch lt. J-C Juncker - 'die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde', muss man froh sein, wenn es Selberdenker als einzige, die weit genug über Tellerränder hinaus denken, gibt.

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Oscar Wilde (1854 - 1900) war vom viktorianischen Zeitalter geprägt. Als Homosexueller verfolgt, gab es ja eine genügend große Handhabe, seine literarische Bedeutung zu schmälern.

Ich habe seinerzeit sein Grab auf dem Friedhof 'Père Lachaise' in Paris besucht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Sprachen machen Spaß!
Tommyleinchen59 
Fragesteller
 24.02.2023, 12:20

Dir winkt der "hilfreichste Antwort"-Stern...

Danke, danke, danke. Endlich mal jemand, der tatsächlich selber denkt...

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Spielwiesen  24.02.2023, 12:27
@Tommyleinchen59

Lieben Dank! Ja, ich denke gern, vorwärts, rückwärts, drunter und drüber - und dann noch mit Hilfe von gaaanz tief drinnen! ◇♡◇

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Grautvornix  24.02.2023, 23:31
 Selberdenker werden ausgiebigst mit Vokabeln wie Schwurbler, Querdenker und Verschwörungstheoretiker und mit brauner Farbe beworfen. Damit wird gewürdigt, dass sie längst eine ausgezeichnete Sensorik für sich abzeichnende Ungereimtheiten entwickelt haben und voraussehen, was solang es geht unter der Decke gehalten werden soll.

Da du pauschalisierst meinst du auch die ganz harten Selbstdenker damit.

Also die, die Föten in Impfstoffen vermuten und die, die bei Youtube verkünden das es früher Bäume gab die 120 Km hoch waren.

Naja, wie zu erwarten bekommst du den Stern vom hauptberuflichen Behaupter, der niemals was belegt, von dem was er behauptet.

Wenn ich jetzt behaupte, dass Putin von Aliens gezwungen wurde die militärische Sonderoperation durchzuführen, bin dann schon ein Selbstdenker, oder einfach nur ein Idiot?

Substantiiert darstellen kann ich das jetzt nicht, ich muss arbeiten!

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earnest  25.02.2023, 07:14

Nun ja, ich würde viele dieser "Selberdenker" durchaus als "Schwurbler, Querdenker und Verschwörungstheoretiker" bezeichnen - und an ihrem Selberdenken zweifeln.

Ihre "Triebfeder" ist für mich auch nicht "die Wahrheit".

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Spielwiesen  25.02.2023, 10:55
@earnest

"The language of society is conformity: the language of the creative individual is freedom. Life will continue to be a hell as long as the people who make up the world shut their eyes to reality."

Henry Miller

2
earnest  25.02.2023, 11:01
@Spielwiesen

Ja und?

Damit beschreibt Miller keine "Schwurbler, Querdenker und Verschwörungstheoretiker", die ihre eigene Realität erfinden. Durchaus kreativ erfinden übrigens.

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Spielwiesen  25.02.2023, 11:22
@earnest

Gönn dir mal ein paar Bierchen, Earnest, du weißt schon: Hopfen & Malz tun gut! :-)

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Spielwiesen  25.02.2023, 10:54

🌟 Danke für diese Auszeichnung! ☆★ 🌟

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Hallo Tommyleinchen59,

kehren wir die zweite Aussage um, so wird daraus "wer auf seine Art denkt, denkt überhaupt".

Darin steckt für mich eine Aussage zur einer Selbstbestimmtheit, die ein eigenes Denken erst als solches ermöglicht. In Fremdbestimmtheit wäre das "eigene Denken" nur ein "Nachplappern" von etwas, was andere zu deren eigenen Bedürfnissen gedacht oder auch "nachgeplappert" haben.

In unserer heutigen Zeit sprechen wir häufig von "Denkern" - z.B. von den "Querdenkern", die etwas anders als ein vermeintliches Establishment denken. Wir "denken" häufig "um die Ecke" - und eröffnen uns Freiräume, die paradigmatisch bisher verschlossen waren oder wurden. Wir sprechen aber auch - ohne jegliche politische Konnotation - von Freigeistern.

Wir beobachten in unserer Gesellschaft aber noch sehr viel Selbstsüchtigkeit. Diese ist auch selbstbestimmt - wobei man sich fragen darf, ob eine menschlichen Archaik da nicht eher fremdbestimmend ist - und führt zu einem Denken, um diese Selbstsüchtigkeit zu erfüllen. So mag ein eigenes Denken häufig mit Selbstsüchtigkeit assoziiert werden - was aber nicht notwendigerweise so ist. Man kann ja auch in nicht-selbstsüchtigerweise selbstbestimmt denken (z.B. sich von dieser Archaik emanzipieren).

Mit vielen lieben Grüßen
EarthCitizen

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
Tommyleinchen59 
Fragesteller
 24.02.2023, 12:34
Darin steckt für mich eine Aussage zur einer Selbstbestimmtheit, die ein eigenes Denken erst als solches ermöglicht...

Richtig. Coole Antwort!

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Oscar Wilde hat viele sehr beeindruckende Zitate hinterlassen.

Das oben hingegen ist weniger meines, weil es etwas polemisch ist. Und auch etwas "behauptend". IST es denn so?

Dieses Zitat gefällt mir viel besser:

"Die Strafe des Lügners liegt nicht daran, dass man ihm nicht mehr glaubt. Sondern dass er niemand mehr glauben kann."

Grautvornix  24.02.2023, 22:01
"Die Strafe des Lügners liegt nicht daran, dass man ihm nicht mehr glaubt. Sondern dass er niemand mehr glauben kann."

Ach, jetzt verstehe ich den FS.^^

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Abgesehen davon, dass Oscar Wilde einer meiner liebsten Schriftsteller ist, hat er eine ganze Reihe eindrucksvoller Zitate hinterlassen. Und dieses Zitat halte ich für zutreffend.

Auf seine eigene Art und Weise zu denken, ist die einzige Art überhaupt zu denken. Das heißt aber nicht, dass man mit den Gedanken anderer Leute nicht auch übereinstimmen kann, oder dass man in jeden Fall eine andere Ansicht als die Mehrheit vertreten muss. Das Zitat erinnert mich außerdem an ein Sprichwort: "Amo nijneki xitlanejneuilikaj kej na, san nijneki xitlanejneuilikaj" - Ich möchte nicht, dass sie genauso denken wie ich, ich möchte nur, dass sie denken.

Auf seine eigene Art zu denken, ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht auf seine Art denkt, denkt überhaupt nicht.

Was bedeutet "denken"? Um diese Frage zu beantworten und auch Oscar Wilde gerecht zu werden, sei aus einem Artikel zum Thema zitiert, der aus Wildes Zeit stammt: 

Denken, die geistige Tätigkeit, durch welche Vorstellungsobjekte in Beziehung zueinander gesetzt werden. Von den auf unwillkürlichen psychischen Prozessen (z. B. Ideenassoziation) beruhenden Vorstellungsverbindungen unterscheidet sich die durch D. bewirkte dadurch, daß in jenem Falle die einzelnen Bestandteile auf Grund äußerer Umstände in Beziehung zueinander treten (zwei Dinge, die häufig zusammen wahrgenommen wurden, werden auch später, in der Erinnerung, meist in Verbindung miteinander vorgestellt), während für das D. die Beschaffenheit des Vorgestellten maßgebend ist, so daß die Beziehung, in welche Vorstellungsobjekte durch das D. gesetzt werden, jederzeit als in der eignen Natur der letztern begründet erscheint. Nur im uneigentlichen Sinne nennt man wohl bisweilen auch das freie Spiel der Vorstellungen, dem wir uns passiv überlassen, ein D. Das D. im eigentlichen Sinne setzt voraus, daß unter der Menge der sich jederzeit aufdrängenden Vorstellungen eine Auswahl getroffen wird und nur diejenigen festgehalten werden, die ihrem Inhalt nach mit einer gegebenen Vorstellung (dem Gegenstand unsers Nachdenkens) zusammenhängen. Unter den sämtlichen Erscheinungen des Seelenlebens ist daher das Wollen am nächsten mit dem D. verwandt, ja man kann das letztere geradezu als eine Art von Willenstätigkeit (die in diesem Falle Vorstellungen zum Gegenstande hat) betrachten. Dem entspricht auch die Tatsache, daß, wie das Wollen sich in der doppelten Form des Begehrens und Widerstrebens äußert, so auch das D. sich zwischen den Gegensätzen der Bejahung (Affirmation) und der Verneinung (Negation) bewegt. Insofern nun die Verknüpfungen des Denkens den Inhalt des Vorgestellten betreffen, tritt alles D. von vornherein mit dem Anspruch auf objektive Gültigkeit auf. Mit jedem Denkakt oder Urteil ist das Bewußtsein verbunden, daß derselbe unabhängig von der augenblicklichen Verfassung des Subjekts und allen sonstigen äußern Umständen lediglich durch die Beschaffenheit der Objekte selbst bestimmt sei und also zu jeder andern Zeit und von jedem andern Subjekt ebenso vollzogen werden müßte. Freilich ist das D. nicht unfehlbar, aber die Berichtigung eines Denkaktes erfolgt immer wieder durch einen andern Denkakt; das D. kann nicht aus sich selbst heraustreten, und wenn man deshalb verlangt, daß dasselbe sich nach dem außer ihm liegenden Sein richten müsse, um gültig zu sein, so stellt man eine unerfüllbare Bedingung. Richtig ist, daß das D. sich nach dem Inhalte des Vorgestellten richten muß, der durch Anschauung (z. B. sinnliche Wahrnehmung) gegeben ist. Die Entwickelung der Denktätigkeit kann daher immer (z. B. beim Kinde) erst beginnen, nachdem die sinnliche Anschauung dem Geiste ein gewisses Material zur Verfügung gestellt hat, und fortwährend bleibt das D. an die Anschauung gebunden. Ein sogen. reines D., das, ohne daß ihm ein Stoff gegeben wäre, Erkenntnisse erzeugte, ist ein Unding. (…)

 Nachweis: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Bd. 4. 1905, S. 640

Was auch immer Wilde mit "auf seine eigene Art zu denken" meint, so steht doch fest, dass, wenn er das freie Spiel der Vorstellungen (kursive Zitate aus dem Artikel) damit gemeint hat, diese Art mit Denken nur wenig zu tun hat. Insofern wäre der zweite Teil von Wildes Behauptung bereits ein Irrtum, auch wenn er sich vordergründig ganz nett und vermeintlich gedankentief liest.

Aber Denken an sich genügt eben nicht. Es bedarf einer wesentlichen Voraussetzung: Die Entwickelung der Denktätigkeit kann daher immer (z. B. beim Kinde) erst beginnen, nachdem die sinnliche Anschauung dem Geiste ein gewisses Material zur Verfügung gestellt hat. Ohne dieses Material bleibt jedes Denken sinnlos. Denn das Ergebnis einer Denktätigkeit mündet in ein Urteil, wobei zu bedenken ist, dass Denken und Urteil nicht unfehlbar sein müssen! Dies bestätigt erneut, dass der zweite Teil von Wildes Aphorismus nicht überzeugend ist.

 Ich selbst finde diesen Spruch genial.

"Genial"? Nun, der Aphorismus Wildes zielt eher auf intellektuelle Selbstdarstellung und Außenwirkung, die die Leserschaft beeindrucken soll, als auf die Realität des Denkens an sich. Insofern ist Wilde hier nicht frei davon, "selbstsüchtig" zu wirken. Immerhin kann er auch noch heutige Zeitgenossen beeindrucken, die sich das Urteil anmaßen, den guten Oscar verstanden zu haben und seinen Aphorismus uneingeschränkt für die Gegenwart zu empfehlen:

 Denn er trifft völlig zu — gerade heutzutage und topaktuell.

Viele Menschen in der heutigen Zeit mögen denken, verfügen aber oftmals nicht über das Material bzw. den Stoff, um abwägend zu denken und sich dann ein Urteil zu bilden. So erweisen sich die Ergebnisse ihrer Denktätigkeit nicht selten als fehlbar. Weil aber viele Menschen nicht mehr willens sind, die Ergebnisse ihres Denkens, ihre Urteile, mit anderen Denkergebnissen bzw. Urteilen zu konfrontieren und es ihnen lästig ist, dann erneut abzuwägen und ihr Urteil vielleicht revidieren zu müssen, erinnert ihr Denken vornehmlich an ein freies Spiel der Vorstellungen, das ohne Material oder Stoff bzw. Substanz auskommt. So gerüstet, ziehen solche Denker dann über Politik, Medien usw. her. Ihr Denken als fehlbar zu bezeichnen, wäre eine höfliche Form der Beurteilung. Ein Unding wäre wohl zutreffender!

 MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Ich arbeite als Historiker.
hardliner2019  24.02.2023, 18:31

Exzellente Antwort auf die Eingangsfrage - und zugleich die beste Bestätigung für mich: Hier bei GF gibt es in der Tat Community-Experten, die diesen Titel verdienen.

Ich schließe mich dem, was du schreibst, vollinhaltlich an - und damit auch der Quintessenz in den beiden letzten Sätzen deiner substantiierten Antwort:

So gerüstet, ziehen solche Denker dann über Politik, Medien usw. her. Ihr Denken als fehlbar zu bezeichnen, wäre eine höfliche Form der Beurteilung. Ein Unding wäre wohl zutreffender!

Daumen hoch & herzlichen Dank, ArnoldBentheim!

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