Ist der freie Wille real oder nur eine Illusion unseres Bewusstseins?

Userue737  06.01.2025, 23:24

Was zahlst du denn ?

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Beitragsersteller
 06.01.2025, 23:25

Inwiefern?

14 Antworten

Man geht davon aus, dass die Welt geordnet ist. Schon die Bibel erzählt von der Vertreibung aus dem Paradies nach dem Essen der verbotenen Frucht.

Freiheit geht demnach mit Verantwortung einher. Im Rechtsstaat ist das so und in der Philosophie kann man die Existenz Gottes annehmen oder auch das eigene Gewissen ins Spiel bringen, vor dem man sich zu verantworten hat.

Tatsache ist, jeder möchte doch Gesicht wahren. Keiner will so leben, dass er nicht mehr in den Spiegel gucken kann. Und wenn es so weit kommt, ist das zutiefst demütigend und beschämend. Man müsste hier also für eine umfassende Beantwortung auch die Psychologie sowie die Kulturgeschichte zu Rate ziehen.


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Beitragsersteller
 06.01.2025, 23:56

Danke für deine Anmerkung.

jeder versteht unter freiem Willen etwas Verschiedenes. 

Wille ganz allgemein lässt mich zB entscheiden, ob ich den Stein werfe oder nicht, aber dann fliegt der Stein nach physikalischen Gesetzen. An der Entscheidung hindert mich die Physik nicht. Die Natur kann diese meine Entscheidung nicht vorher kennen, egal was Deterministen* sagen. Mein freier Wille entscheidet insbesondere, auf welche Situationen und Menschen ich mich einlasse. Die Entscheidung dieses meines freien Willens läuft übrigens nicht im Gehirn ab (das haben bildgebende Scanverfahren beim Gehirn schon gezeigt) - was dort entschieden und in den Tests verwendet wird ist nicht freier Wille sondern Automatismus eines feuchten Roboters. Mein freier Wille findet in meiner Seele statt, zu der Physik gar keine Aussage macht. Das ist ausschließlich eine Frage meiner persönlichen Wahrnehmung, nicht im Sinne einer physikalischen Theorie falsifizierbar. Ich kann also nur zu meinem eigenen freien Willen etwas aussagen, nicht zu dem anderer Leute. Und das kann auch gar nicht anders sein, denn nur unbedingt private Entscheidungen sind freie Entscheidungen, die nicht der potentiellen Ablesung und Bewertung durch andere Menschen unterliegen.

*) Determinismus (Laplaces Dämon) führt zu einem  Selbstreferenz-Widerspruch ähnlich dem Friseursparadoxon, dem Gödelschen Unvollständigkeitssatz und Turings Halteproblem. Wenn alles vorherbestimmt ist, dann liegt die detaillierte Information über die Zukunft im Universum bereit und ist im Prinzip auslesbar und durch Menschen vermeidbar, außer wenn auch die Information über das Auslesen der Information schon bereitliegt, genau wie die Infomation über das Auslesen der Information über das Auslesen usw. ad vomitum, um das Paradox zu umgehen. Der Speicherplatz auch eines unendlichen Universums kann aber nicht mächtiger sein als das Universum selbst. Mancher denkt, dass das Universum uns etwas durch Verstecken in Quantenzuständen verheimlicht, aber die Statistik von Spinmessungen an verschränkten Photonen zeigt, dass dabei nicht ein vorher verstecktes Ergebnis sichtbar wird, sondern überhaupt erst entsteht. Die Information über die Zukunft existiert gar nicht. In diesem Universum verhindert zusätzlich die Kombination von Quantenmechanik und Chaos die Vorausberechnung aller Zukunft, weil sie mikroskopische Anfangsbedingungen, die gegenwärtig nicht nur unbekannt sondern nicht existent sind, zu makroskopischen Abweichungen vergrößert.

https://www.youtube.com/watch?v=fDek6cYijxI

Was übrigens nicht bedeutet, dass Chaos Willkür ist - es folgt fundamentalen Gesetzen...

https://www.youtube.com/watch?v=ovJcsL7vyrk


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Beitragsersteller
 07.01.2025, 06:28

Danke für deine ausführliche Erklärung.

Der freie Wille ist eine reale Erscheinung, denn er ist ein inhaltlicher Bestandteil unseres Bewusstseins, das das Ergebnis eines energetisch informationellen Prozesses ist, der in den afferenten und efferenten Nervenbahnen des akustischen Systems des VIII. Hirnnerven zwischen Wahrnehmung und Gedächtnis zu verorten ist.

Dem freien Willen sind Grenzen gesetzt durch die Gesetze der Physik, durch die Gesetze der Chemie, durch die Gesetze der Biologie und durch die Gesetze der Gesellschaft.

Wir alle sind mit einem freien Willen gemacht worden. Tragen aber auch die Folgen unserer Entscheidungen.

Es gibt verschiedene Perspektiven, die versuchen, den freien Willen zu erklären oder infrage zu stellen.

Es gibt verschiedene Sichtweisen darauf:

Philosophische Perspektiven

a) Determinismus

Laut dem Determinismus sind alle Ereignisse, einschließlich menschlicher Entscheidungen, durch vorangegangene Ursachen bestimmt. Das bedeutet, dass unsere Entscheidungen durch genetische, soziale und psychologische Faktoren vorbestimmt sind.

Wenn alles determiniert ist, bleibt kein Raum für einen „freien Willen“. Der Glaube an freie Entscheidungen könnte eine Illusion sein.

Kompatibilismus

Der Kompatibilismus argumentiert, dass freier Wille und Determinismus miteinander vereinbar sind. Solange eine Handlung aus den eigenen Wünschen, Überzeugungen oder Absichten heraus erfolgt, gilt sie als „frei“, selbst wenn diese Wünsche deterministisch entstanden sind.

Beispiel: Wenn du freiwillig ein Buch liest, weil es deinem Interesse entspricht, hast du frei gehandelt, auch wenn dein Interesse von äußeren Faktoren beeinflusst wurde.

Libertarismus

Der Libertarismus lehnt den Determinismus ab und behauptet, dass Menschen echte Wahlfreiheit besitzen. Entscheidungen entstehen demnach nicht vollständig aus vorangegangenen Ursachen, sondern durch eine nicht-deterministische, autonome Instanz (man könnte es als „Seele“ oder einen unabhängigen Geist bezeichnen).

Illusionismus

Einige Philosophen, wie z. B. Sam Harris, vertreten die Ansicht, dass freier Wille eine Illusion ist. Entscheidungen entstehen unbewusst in unserem Gehirn, bevor wir sie bewusst wahrnehmen, was darauf hindeutet, dass unser Gefühl von Autonomie nicht mit der Realität übereinstimmt.

Neurobiologische Perspektiven:

Libet-Experimente

Der Neurowissenschaftler Benjamin Libet führte Experimente durch, die zeigten, dass unser Gehirn bereits einige Millisekunden vor der bewussten Entscheidung elektrische Aktivitäten (das sogenannte Bereitschaftspotential) zeigt. Dies deutet darauf hin, dass unser Gehirn Entscheidungen unbewusst trifft, bevor wir uns ihrer bewusst werden.

Kritiker argumentieren jedoch, dass das Bereitschaftspotential nicht unbedingt die Entscheidung selbst repräsentiert, sondern nur eine Vorbereitung auf die Handlung.

Unbewusste Prozesse

Viele Entscheidungen werden von unbewussten Prozessen beeinflusst. Diese Prozesse sind das Ergebnis von Erfahrungen, Instinkten und automatischen Reaktionen, die außerhalb unserer bewussten Kontrolle liegen.

Ein Beispiel sind spontane Reaktionen in Gefahrensituationen, die schnell und unbewusst ablaufen.

Plastizität und bewusste Kontrolle

Trotz unbewusster Prozesse gibt es Hinweise darauf, dass Menschen durch Training und bewusste Reflexion die Art und Weise, wie sie Entscheidungen treffen, beeinflussen können. Dies könnte als Beweis für eine gewisse Form von Freiheit interpretiert werden.

Freier Wille als begrenzte Autonomie:

Es könnte sein, dass wir keinen absoluten freien Willen besitzen, aber dennoch eine begrenzte Autonomie über unsere Entscheidungen haben. Diese Autonomie basiert auf der Fähigkeit, bewusst nachzudenken, Alternativen zu prüfen und moralische Prinzipien anzuwenden.

Der freie Wille ist möglicherweise kein absolutes Konzept, sondern ein Spektrum. Unsere Entscheidungen sind nicht völlig frei, aber wir können in begrenztem Maße beeinflussen, wie wir auf äußere Faktoren reagieren.

Religiöse und spirituelle Perspektiven:

Viele religiöse Traditionen (einschließlich Islam, Christentum und Judentum) akzeptieren eine Koexistenz von freiem Willen und göttlicher Vorherbestimmung. Menschen werden für ihre Entscheidungen verantwortlich gemacht, auch wenn diese innerhalb eines göttlich festgelegten Rahmens geschehen.

Aus dieser Perspektive ist der freie Wille eine Gabe Gottes, die es den Menschen erlaubt, moralisch zu handeln.

Die Frage nach dem freien Willen ist somit sehr komplex und hängt stark von der Perspektive ab, aus der man sie betrachtet. Philosophisch und neurobiologisch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass unser Wille sowohl determiniert als auch frei sein kann – je nachdem, wie man Freiheit definiert. Vielleicht ist der freie Wille weniger absolut, als wir glauben, aber auch keine reine Illusion. Die wahre Herausforderung liegt darin, mit den Erkenntnissen über unsere begrenzte Autonomie bewusst und verantwortungsvoll umzugehen.

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Ich bin Muslima und vertrete natürlich die islamische Sicht.

Die islamische Perspektive auf den freien Willen ist tiefgründig und ausgewogen. Der Islam lehrt, dass der Mensch sowohl Verantwortung für seine Taten trägt als auch in einem von Gott bestimmten Rahmen lebt. Diese Thematik umfasst die Konzepte von göttlicher Vorherbestimmung) und freiem Willen.

Gott hat dem Menschen freien Willen gegeben. Der Koran macht deutlich, dass der Mensch Entscheidungen treffen kann, für die er verantwortlich ist. Gott sagt:

„Und sagt: ‚Die Wahrheit ist von eurem Herrn. Wer nun will, der soll glauben, und wer will, der soll ungläubig sein.‘“

(18:29)

Das zeigt, dass der Mensch die Fähigkeit hat, zwischen richtig und falsch zu wählen.

Menschen werden im Jenseits für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen, was voraussetzt, dass sie die Freiheit hatten, diese Taten zu begehen:

„Jede Seele wird für das verantwortlich gemacht, was sie (an Taten) begangen hat.“

(Koran 74:38)

Der Islam lehrt, dass Gott alles weiß und dass alle Ereignisse durch Seinen Willen geschehen:

„Gewiss, Wir haben alles nach einem bestimmten Maß erschaffen.“

(Koran 54:49)

Das bedeutet, dass Gott von allem Kenntnis hat – von der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Seine Allmacht umfasst alles, was geschieht.

Das Schicksal umfasst Wissen, Wille und Macht Gottes. Gott weiß, was geschehen wird, bevor es geschieht.

Nichts geschieht, außer durch Gottes Erlaubnis.

Alles, was existiert, ist von Gott erschaffen.

Der Mensch ist nicht völlig frei (absoluter Wille) und auch nicht völlig unfrei (reiner Determinismus). Vielmehr agiert der Mensch innerhalb eines von Gott festgelegten Rahmens.

Ein Beispiel dafür ist ein Diener, der frei wählen kann, ob er eine gute oder schlechte Tat begeht. Doch die Umstände (z. B. Zeit, Ort, Möglichkeiten) werden von Gott vorgegeben.

Beispiel:

Ein Mensch entscheidet sich, ein Gebet zu verrichten. Diese Entscheidung fällt aus seinem freien Willen heraus. Doch dass er lebt, in der Lage ist, zu beten und den Islam kennt, sind Rahmenbedingungen, die Gott bestimmt hat.

Warum hat Gott uns nun einen freien Willen gegeben?

Das Leben ist ein Test, bei dem der Mensch die Wahl hat, Gottes Geboten zu folgen oder sie zu ignorieren:

„Er, der den Tod und das Leben erschaffen hat, damit Er euch prüfe, wer von euch die besten Werke verrichtet.“

(Koran 67:2)

Ohne freien Willen wäre es ungerecht, Menschen für ihre Taten zu belohnen oder zu bestrafen. Gott sagt:

„Und Allah fügt den Menschen kein Unrecht zu, sondern die Menschen fügen sich selbst Unrecht zu.“

(Koran 10:44)

Die Gelehrten erklären, dass der Mensch seine Entscheidungen trifft, aber Gott letztlich die Kontrolle hat. Diese scheinbare Spannung zwischen freiem Willen und Vorherbestimmung wird durch die Weisheit Gottes aufgelöst, die unser begrenztes Verständnis oft nicht erfassen kann.

Muslime sollten ihr Bestes tun, um gute Entscheidungen zu treffen, und dann auf Gott vertrauen. Der Prophet Muhammad sagte:

„Binde dein Kamel fest und vertraue dann auf Allah.“

(Tirmidhi)

Der Prophet hat die Muslime davor gewarnt, sich zu sehr mit den Geheimnissen des Schicksals zu beschäftigen, da es über das menschliche Verständnis hinausgeht.

Im Islam wird der freie Wille als real angesehen, jedoch immer in Verbindung mit Gottes Vorherbestimmung. Der Mensch hat die Freiheit, Entscheidungen zu treffen, aber Gott hat die Kontrolle über die Rahmenbedingungen und kennt die Konsequenzen jeder Entscheidung.

Diese Balance lehrt uns, Verantwortung für unsere Taten zu übernehmen, während wir auf Gott vertrauen und Seine Weisheit anerkennen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Autodidakt Islam seit 2010 und Online-Studiengang Tauhid

GoldRubicon 
Beitragsersteller
 07.01.2025, 10:43

Danke für deine super ausführliche Antwort und deine Sichtweise. :)