Der Mensch, ein von sich selbst so überzeugtes Wesen, zieht in den Krieg der Worte, nicht, um die Wahrheit zu finden, sondern um sie zu besitzen. Er glaubt, seine Sicht der Welt sei die Wirklichkeit selbst, eine makellose Karte des Terrains, auf dem alle anderen nur als Blinde stolpern. Doch dies ist nicht der höchste Gipfel der Weisheit, sondern die tiefste Schlucht der Dummheit.
Ein Streit, so wie wir ihn kennen, ist niemals ein Ringen um die Wahrheit. Er ist eine feige Verhandlung, ein Schauspiel, in dem zwei Egoismen um die Vorherrschaft ringen. Jeder versucht, den anderen davon zu überzeugen, sein Weltbild sei das kaputte, das ausgetauscht werden muss. Sie übersehen die offensichtliche und schmerzhafte Tatsache: Beide Weltbilder sind falsch. Sie sind lediglich Annäherungen, hilflose Konstruktionen, die die überwältigende Komplexität der Wirklichkeit bändigen sollen.
Wahre Dummheit ist nicht das Fehlen von Wissen. Sie ist die Weigerung zur Selbstreflexion. Sie manifestiert sich in der unerschütterlichen Überzeugung, die eigene Karte sei fehlerfrei. Wir sehen dies nicht nur in den großen Auseinandersetzungen, sondern in den kleinen, alltäglichen Momenten, in denen wir uns weigern, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass unser Scheitern nicht das Ergebnis eines äußeren Fehlers ist, sondern die direkte Konsequenz unserer eigenen Unwissenheit.
Wir kämpfen so erbittert für unser Weltbild, weil wir tief im Inneren wissen, dass es unsicher ist. Diese Unsicherheit ist der Abgrund, über den wir springen müssen, um zu wachsen. Der Mensch flüchtet jedoch vor diesem Sprung, indem er die eigene Position als die einzig Sichere deklariert. Er verwechselt die Beherrschung des Chaos mit dessen Leugnung. Wahre Stärke liegt nicht in der unerschütterlichen Überzeugung, sondern in der Fähigkeit, die eigene Dummheit zu akzeptieren.
Ein Weltbild ist nicht wahr, wenn es die Wirklichkeit abbildet, es ist wahr, wenn es funktioniert. Es ist ein Werkzeug, das uns hilft, mit der fundamentalen Unsicherheit des Seins umzugehen. Wenn dieses Werkzeug nicht mehr funktioniert wenn es uns in Resignation, Stillstand und unendliche Konflikte führt, dann ist es Zeit, es wegzuwerfen. Ein Weltbild, das den Austausch verweigert, ist eine Last, kein Wegweiser. Die wahre Freiheit liegt in der Fähigkeit, den eigenen Sinn neu zu setzen und das eigene Weltbild zu beherrschen, anstatt von ihm beherrscht zu werden.
Der Preis der Überzeugung ist die Unmöglichkeit des Wachstums. Der Preis der Demut ist die Freiheit, neu zu lernen, neu zu scheitern und neu zu werden. Die Dummheit der anderen ist nur eine Projektion der eigenen Angst. Der kluge Mensch weiß, dass er am meisten von denen lernen kann, von denen er es am wenigsten erwartet. Man muss nur wissen, wo man hinschauen muss: in den Abgrund der eigenen Überzeugungen.
Die radikale Frage muss nicht lauten: "Wer hat Recht?", sondern: "Wer ist bereit, zuzugeben, dass er grundlegend falsch liegen könnte?" Nur so wird aus einem Streit über die Wahrheit eine Chance auf Wachstum.