Wird Bisexualität zu wenig anerkannt?

9 Antworten

Bisexualität ist die Sexualität, über die am wenigsten gesprochen wird. Sie wird in unserer Gesellschaft einfach nicht wahrgenommen oder sie wird schlichtweg ignoriert. Das Phänomen wird oft als Unsichtbarkeit von Bisexualität (bi invisibility) bezeichnet. Das betrifft nicht nur die alltägliche Gesellschaft. Selbst in der Forschung wurden bisexuelle Themen bis in die jüngste Vergangenheit hinein so gut wie nicht beachtet.

Ein Problem ist, dass Bisexuelle von außen oft nicht als bi gelesen werden. Wenn eine Frau in der Öffentlichkeit mit einem Mann verliebt die Hände hält und Küsse austauscht, dann liest sie ihr Umfeld in der Regel als hetero. Tut sie dasselbe mit einer Frau, wird sie von den meisten als lesbisch gelesen. Daran, dass sie auch bisexuell sein könnte, denken hingegen nur die wenigsten. Ich muss zugeben, obwohl ich selbst bi bin, dass auch ich in solchen Situationen wohl ziemlich selbstverständlich davon ausgehen würde, dass diese Frau wohl hetero (bzw. homosexuell) ist. Dass eine Person als eindeutig bi gelesen werden kann, ist wahrscheinlich nur dann der Fall, wenn sie in einer polyamourösen Partnerschaft mit mehreren Menschen verschiedenen Geschlechts lebt. Bloß sind das eben die wenigsten aus der Bi-Community, denn die allermeisten Bisexuellen führen eine klassisch monogame Beziehung. Verstärkt wird dieses Bild noch dadurch, dass dann meist über eine bisexuelle Person gesagt wird, XY lebe etwa "in einer heterosexuellen Beziehung" oder die bisexuelle Person spricht sogar selbst davon ("Ich bin in einer Hetero-Beziehung"), obwohl das ganz klar gar nicht stimmt - denn (mindestens) eine Person ist dann ja nicht heterosexuell. Für deutlich mehr Sichtbarkeit von Bisexualität würde es sorgen, wenn man stattdessen von gemischt-orientierten Beziehungen spräche.

Zur bisexuellen Unsichtbarkeit trägt auch bei, dass bisexuelle Figuren in den Medien kaum vorkommen. Studien haben ergeben (z. B. diese aus 2021), dass queere Figuren nach wie vor in Film- und Serienproduktionen unterrepräsentiert sind und für bisexuelle Figuren gilt dies ganz besonders. Wenn dann doch einmal in einer Serie, einem Film oder einem Buch eine Figur auftaucht, die man als bi interpretieren kann, dann wird das Wort "bisexuell" auffällig oft vermieden. Ihr werden dann oft umständliche Dialoge wie "ich mag nicht nur Jungs" oder "das Geschlecht spielt keine Rolle für mich" in den Mund gelegt, aber das Wort "bisexuell" darf um Himmels willen bloß nicht ausgesprochen werden. Als würde die Figur damit stigmatisiert werden. Problematisch ist auch, dass die wenigen bisexuellen Figuren oft klischeehaft dargestellt werden, als hypersexuelle Personen, die sich nicht entscheiden können, als Femme fatale, die wahllos Männer und Frauen verführt, um sie zu manipulieren, als notorische Fremdgänger, die alles flachlegen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wenn Bisexualität sichtbarer sein soll, dann braucht es mehr bisexuelle Identifikationsfiguren, die das Wort "bi" auch in den Mund nehmen und die realistisch dargestellt werden.

Die bisexuelle Unsichtbarkeit geht sogar so weit, dass manche die Bisexualität völlig in Abrede stellen (Bi Erasure). Bisexuelle wären dan. gar nicht bi, sondeen in Wahrheit nur Schwule und Lesben, die zu ihrer Homosexualität nicht stehen könnten. Oft wird auch behauptet, dass Bisexuelle gar nicht diskriminiert werden, weil sie sich ja für eine heterosexuelle Lebensweise "entscheiden" könnten. Dabei kann man sich als bisexuelle Person genau wie jede andere gar nicht dazu "entscheiden", in welche Person man sich verliebt. In Wahrheit werden Bisexuelle sehr wohl stigmatisiert und erfahren Diskriminierung, nicht nur aus dem heterosexuellen Lager, sondern auch aus dem Lager der Homosexuellen. In den 1980er Jahren mussten sich bisexuelle Männer beispielsweise anhören, sie hätten die "Schwulenseuche" AIDS durch ihr promiskuitives Verhalten in die heterosexuelle Gesellschaft gebracht. Und bisexuelle Frauen müssen sich von lesbischen Feministinnen immer wiedevorwerfen lassen, sie gingen "mit dem Feind" - gemeint ist der Mann - ins Bett. Und auch im Berufsleben werden Bisexuelle benachteiligt. So wurde beispielsweise in einer Studie 2017 festgestellt, dass offen bi lebende Menschen ein deutlich niedrigeres Einstellungsgehalt angeboten bekommen als heterosexuelle Personen mit derselben Qualifikation. sogar offen Homosexuelle bekämen ein höheres Einstiegsgehalt. Das alles führt dazu, dass viele Bisexuelle sich gar nicht trauen, offen zu ihrer Sexualität zu stehen und führt zu noch geringerer Sichtbarkeit. Obwohl die Gruppe der Bisexuellen die mit Abstand größte Gruppe inberhalb der LGBTQ-Community ist (mindestens ein Drittel der jungen Erwachsenen gibt an, nicht exklusiv hetero- bzw. homosexuell zu sein), ist sie gleichzeitig die Gruppe, die sich am seltensten outet. Laut Bi Report der Organisation Stonewall aus dem Jahr 2020 sind Bisexuelle in Großbritannien nur halb so häufig geoutet wie Homosexuelle. 80 % der Bisexuellen verbergen ihre sexuelle Orientierung vor ihrer Familie, 64 % vor ihrem Freundeskreis. Ähnliche Zahlen ermittelte 2019 das Pew Research Centre für die USA. Demnach waren 74 % der Bisexuellen nicht geoutet, während unter den Lesben nur 29 % und unter den Schwulen sogar nur 23 % ungeoutet waren.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Ich bin bisexuell. 💕💜💙

Kann ich auch nicht nachvollziehen, aber habe ich auch schon öfter mitbekommen.

Bisexuelle Menschen sind nicht die einzigen, die sowas erleben.

Das gleiche wird über pansexuelle Menschen gesagt (dass es ja nur zwei Geschlechter gibt und man immer eine Präferenz hat, oder, dass sie eigentlich bisexuell sind und nur Aufmerksamkeit wollen).

Über nicht-binäre Menschen wird das sowieso gesagt; dass nicht-binär nicht existiert etc.

Wieso das so ist, ist schwer zu sagen. Einige Menschen scheinen das einfach nicht begreifen zu können. Sie suchen einen Grund, gegen andere Menschen zu hetzen und alles, was sie nicht verstehen, ist automatisch böse. Leider ist das so.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Teil der LGBTQ+ Community

Das ist ein bekanntes Phänomen, das in der Regel mit "bisexual erasure" bezeichnet wird. Du bist also nicht die erste Person, der das auffällt. Hier ein paar häufige Beispiele:

  • Bisexuelle Personen, egal ob real oder fiktional, werden als alles bezeichnet außer bi. Freddie Mercury wird als schwul bezeichnet, Tara aus Buffy gilt als lesbisch, Piper aus OITNB als "Mag keine Label", mir wird ständig vorgeworfen ich sei doch in Wirklichkeit nicht bi sondern pan, Kit Connor wird geschimpft das er nicht den bisexuellen Nick Nelson spielen darf, weil er als bisexueller Mann mit fester Freundin 'nicht queer genug' ist, usw.
  • Bisexuelle Personen in monogamen Langzeitbeziehungen wird gesagt, sie hätten sich "Für eine Seite entschieden".
  • Bisexualität wird als Teil von 'Frauen die auf Frauen stehen' oder 'Männer die auf Männer stehen' nur als Nachsatz genannt.
  • Der Satz "Ich hoffe er*sie ist schwul/lesbisch oder wenigstens bi", als wäre Bisexualität weniger wert als schwul/lesbisch zu sein
  • Ausschluss von bisexuellen Personen von zb Pride/CSDs, wenn sie mit verschiedengeschlechtlichen Partner*innen auftauchen
  • Der Satz "Wir sollten das B aus LGBTQ streichen weil Pan inklusiver ist/ weil Bisexuelle keine Diskriminierung erleben"
  • Die Behauptung, bisexuelle seien "Halb hetero halb homo", als wäre Bisexualität nichts, das auf eigenen Beinen stehen kann
  • Wer sich als bi labelt, wird geschimpft, das man sich doch nicht in Schubladen stecken soll

Warum das so ist? Weil Bisexualität fundamental anders ist als Hetero- und Homosexualität. Wer Hetero ist, kann sich ganz gut vorstellen, das andere Menschen ebenfalls nur auf ein Geschlecht stehen, nur halt auf ein anderes.
Aber für Hetero- und Homosexuelle ist häufig das Geschlecht eines Menschen ein entscheidender Faktor darin, warum sie diese Person anziehend finden.
Dass das für andere keine oder wenig Relevanz hat, ist da schwer zu begreifen.

Ich habe mal den Satz gehört "Bisexualität ist das Nichtbinär der Sexualitäten", und als Person, die bi und nichtbinär ist, kann ich das voll bestätigen. Bisexualität ist zwar irgendwie eine Summe von Einzelteilen, aber auch mehr als das. Und das kann man schwer nachvollziehen, wenn man nicht selbst Bisexualität oder eines seiner Untergruppen erlebt. Deshalb ist es leichter, Bisexualität entweder für nicht real zu erklären, oder auf die Summe der Aspekte zu reduzieren.

Außerdem wird häufig bisexuellen Männern gesagt, dass sie schwul sind und sich das nicht eingestehen wollen; und bisexuellen Frauen wird gesagt, sie seien hetero und wollten nur Aufmerksamkeit.
Ich würde den Grund dafür dem Patriarchat in die Schuhe schieben, das behauptet, das Sexualität nur existieren kann, wenn sie sich darum dreht, das ein Mann seinen Penis irgendwo einführt. Das jemand sich freiwillig für Frauen entscheiden würde, nicht aus Nutzen sondern aus Bewunderung, ist für das Patriarchat undenkbar.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Bin bisexuell und nichtbinär & kenne viele andere 'Queere'.
ZGPlayer 
Fragesteller
 28.11.2023, 12:04

Vielen Lieben dank für deine Mühe und diese Detailreiche Antwort :) Scheinst einer der wenigen Personen zu sein, die meine Frage auch verstanden hat :O Dankeschön :D

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Ich glaube, für die Homosexuellen sind die oft zu Hetero und für die Heterosexuellen zu schwul (lesbisch).

Die passen halt in beide Schwarzweißschemata nicht rein.

ZGPlayer 
Fragesteller
 28.11.2023, 11:47

Dann müssen diese Leute langsam lernen, dass die Welt nicht schwarzweiss ist xD

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Sterntaler927  28.11.2023, 11:58
@ZGPlayer

Quatsch! Sexualitaet bestimmt nicht die Farben dieser Welt Da muss niemand etwas "lernen". Nieman interessiert sich fuer Deine sexuellen Praeferenzen

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ZGPlayer 
Fragesteller
 28.11.2023, 12:01
@Sterntaler927

Weisst du eigentlich überhaupt wovon du da redest? Das mit dem schwarzweiss denken ist ein super Beispiel. Viele denken immernoch, dass eine Bi Person sich einfach nicht entscheiden könne und in wahrheit "nur hetero" oder "nur schwul" sei.

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Sterntaler927  28.11.2023, 12:05
@ZGPlayer

Ich weiss sehr wohl, wovon ich rede und, wie ich bereits an anderer Stelle kommentierte, weiss die ganze Welt, dass Bisexualitaet existiert; und zwar schon seit es Menschen gibt.

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ZGPlayer 
Fragesteller
 28.11.2023, 12:07
@Sterntaler927

Du verstehst meine Frage aber ganz und garnicht. Lies diese bitte nochmals.

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Sagen wir mal so: Es gibt Frauen, die sagen sie wollen auch mal mit einer Frau schlafen. Es als Experiment versuchen. Sie sprechen dann Lesben an und wollen Sex mit Ihnen. Sie fragen dann Lesben, weil sie sich dann sicher sein können, dass sie auf Frauen stehen. Dann sagen sie, sie seinen Bi und wollen den Sex ausprobieren.
Danach sagen sie: Ne, mir fehlt ein Penis und das wars.
Wenn du dauernd als Lesben solche Anfragen bekommst, dann hast du irgendwann keinen Bock mehr und Bi-Frauen sind unbeliebt.

Wenn jemand sagt, dass er Bi ist, dann nehme ich das ernst.
Aber Bi`s können bei Gefahren einfach so tun als wäre nix.
Sie sind Phasenweise quasie Hetero und denken dadurch auch anders.
Da stören dann manchmal Ihre Argumente oder ihr Unverständnis.