Waren deine Vorfahren Nazis?

Velbert2  25.01.2024, 20:22

Was verstehst Du konkret unter Nazis?

Tekeli03 
Fragesteller
 25.01.2024, 20:22

Unter Nazis verstehe ich Nazis

32 Antworten

Mein Uropa war in der NSDAP, musste er um seine Arbeit zu behalten (Reichsbahn). Von der Gesinnung her hatte er damit wenig am Hut, hielt sich aber bedeckt weil seine Frau aus einer "verdächtigen" Familie kam (Name, alles Fabrikanten und Kaufleute, Klischeenase) und ihr Ahnenpass zwar sehr gut aber doch vermutlich nicht ganz unfehlbar geschönt war.
Sein Bruder war bei der SS, nachdem er in Polen dabei war hat er sich allerdings unerlaubt entfernt, für immer, nach Südamerika zur Fremdenlegion soweit man weiß.

Oma war als Jugendliche beim BDM, sie mochte die Ausflüge, für ein Dorfkind echte Abenteuer. Sie bekam mit, wie die einzige jüdische Familie aus der benachbarten Kleinstadt vertrieben wurde und wagte zu fragen ob das denn nötig sei und was sie verbrochen haben, daraufhin bekam sie eine saftige Ohrfeige von dem Uniformierten und ihr wurde mit Arbeitslager gedroht, Das machte genug Eindruck auf eine Fünfzehnjährige, das sie nicht nochmal gefragt hat. Zumal man ihr ja auch zuhause nahelegte, vorsichtig zu sein.

Die Urgroßeltern von der anderen Seite waren linientreu, so sehr, das Oma von ihrem Vater mit 12 aus der Schule genommen und in eine Rüstungsfabrik gesteckt wurde. Oma hasste Politik ebenso wie Religion so lange ich sie kannte.
Mein leiblicher Opa aus der Richtung ist unbekannt, außer das er Soldat der Aliierten war.
Omas Mann wurde als Jugendlicher an die Front gezwungen, versuchte, mit 3 Freunden zu desertieren, wurde von den Franzosen erwischt und kam in Gefangenschaft.

Je nach dem wie man es sieht waren sie also alle Nazis weil sie ja nicht für den Widerstand gekämpft haben sondern einfach nur überleben wollten.
Heute können viele sagen "ja, dann hätten sie eben im KZ für ihre Überzeugungen sterben müssen" aber würden sie selbst so eine Entscheidung (auch für ihre Kinder) treffen?

Meine Großeltern waren Kinder. Von meinen Urgroßeltern waren 2 wegen diverser Formen zivilen Ungehorsams und Wehrkraftzersetzung im KZ, einer bereits tot, einer war aufgrund eines Verkehrsunfalls behindert und ursprünglich SPD-Mitglied, der letzte Urgroßvater fiel als Wehrmachtangehöriger bereits im Polenfeldzug. Damit blieben nur noch Frauen auf dem Land übrig, die mit ihren Kindern vermutlich genug ausgelastet waren. NSDAP-Mitglied war niemand. In der Folgegeneration war allerdings ein etwas entfernterer Cousin ein höheres Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann.

Mein Vater war sicher kein Nazi, aber er hat die Ideologie als Mitläufer mitgetragen. Er war nicht kritisch, durfte er ja auch nicht sein. Meine Mutter wurde erst 1944 geboren. Über meine Großeltern weiß ich zu wenig, außer, dass meine Mutter das Mutterkreuz bekommen hat, weil sie 7 Kinder hatte. Inwieweit sie dafür hätte Nazi sein müssen, weiß ich nicht.

Rheinflip  25.01.2024, 22:27

Auch von 33 bis 45 durfte man kritisch sein, niemand wurde gezwungen Mitläufer zu sein. Die Leute die wir heute als Mitläufer bezeichnen waren durch die Bank überzeugte Gefolgsleute

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Knochi1972  26.01.2024, 21:25
@Lukas7109

Verhaftung, KZ, Berufsverbot, es gab eine Reihe von Möglichkeiten.

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Rheinflip  26.01.2024, 22:18
@Lukas7109

Viele Leute konnten eine Faust in der Tasche machen und haben sich soweit wie möglich anständig verhalten Punkt man musste kein Nazi werden

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Interessant ist hier die verzerrte Wahrnehmung.

Fragt man heute Deutsche auf der Straße ob ihre Familie eine Nazi Vergangenheit hat, antworten über 80% mit nein. Fakt ist aber, das nur weniger als 13% der Deutschen keinen Bezug zum Nazi Regime hatte. Es gab dazu schon etliche Verhaltensforscher die sich damit befasst haben.

Man erklärt sich das mit den hohen Strafen für die Nazi Verbrecher und dem Schamgefühl mit verantwortlich zu sein.

Was Deutsche gelernt haben ist das kategorische leugnen. Niemand wollte mit diesen Gräultaten in Verbindung gebracht werden. Ums einfach zu sagen, viele Deutsche haben sich vor der Verantwortung für ihre Taten gerade zustehen gedrückt. Sie haben die Nazis unterstützt als sie erfolgreich waren und dann jede Unterstützung abgestritten, als der Krieg vorbei war.

Sich aus der Affäre ziehen und seine Schuld zu leugnen, hat den Nachteil, das ohne diese Reue auch kein Schuldempfinden empfunden werden kann. Somit auch kein Lernen aus seinen Fehlern.

An den Deutschen hat sich nichts geändert. Sonst wäre ein erneutes aufstreben von Nationalsozialisten gar nicht denkbar.

adelaide196970  26.01.2024, 22:41

wenn, dann leben die heute alle nicht mehr

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Ich bin jetzt 23.

Ja, ein Urgroßvater mütterlicherseits war begeisterter Nationalsozialist. Das hat sich dann aber, nachdem er nach Russland eingezogen wurde, gelegt. Er war nicht in Kriegsgefangenschaft und ist wenige Wochen nach Kriegsende zurückgekommen.

Ein Urgroßonkel war bis zu seinem Tod in den späten 90ern Nationalsozialist. Er war SS- Offizier und war schwerer Kriegsverbrecher, wurde aber nie bestraft. Er war KZ- Wärter und bei Judenaktionen in Polen und Frankreich beteiligt. Meine Familie hat erst wenige Jahre vor seinem Tod durch eine Akteneinsicht davon erfahren.
Seine Story war, dass er als SS-Offizier in Russland gekämpft hat. Das hat zwar gestimmt, aber nur für einige Monate und nicht den ganzen Krieg lang.

Einige andere Urgroßeltern waren natürlich KEINE Nationalsozialisten. Meine Uroma, die fast 100 wurde und 2016 gestorben ist hat mir aber gesagt, dass ihre ganze Familie der NSDAP beigetreten ist, weil sie immer mehr bedrängt wurden.

Meine Familie hatte generell großes Glück. Es wurden zwar von mehr als der Hälfte meiner Vorfahren die Wohnungen ausgebombt und alle Urgroßväter waren im Krieg, aber es ist überhaupt niemand gestorben. Alle haben den Krieg & die Bombardements zu Hause überlebt.
Außer eine Schwester meiner Uroma. Die ist wegen Antibiotikamangel an einer Infektion gestorben.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung