Was bringt Leistungsdruck an Unis?
Wir Studenten rasen in die nächste Klausurenphase und das Gejammer geht wieder los: Keine Zeit, gestresst, überfordert, zu viel auf einmal.
Ich bin im zweiten Semester (MINT) und alle beklagen sich über die knappe Zeit, um das gelernte Wissen praktisch anzuwenden. Genau das, was in der Prüfung abverlangt wird. Wir haben noch eine Woche Vorlesung und dann beginnen die Prüfungen. Kommilitonen (auch aus höheren Semestern) und ich sind uns einig, dass etwa 2-3 Wochen vor den Prüfungen die wöchentliche reine Lernzeit (Vorlesung + Lernen) auf gute ca. 50 Stunden hoch geht.
Profs erzählen im Smalltalk, dass das früher nicht anders war und sagen dann Dinge wie: ,,Da mussten wir auch durch!". Ein Prof hält es sogar für eine tolle Idee die letzten beiden Vorlesungen mit 70 Seiten neuem Stoff zu füllen, was natürlich auch Klausurrelevant ist.
Ich verstehe, dass wir Studenten lernen sollen mit Stress umzugehen, aber Lernstress ist meiner Meinung nach nicht mit Arbeitsstress vergleichbar. Das deprimierendste ist aber die Tatsache, dass gefühlt ca. 80% des Wissens sowieso (unabsichtlich) vergessen wird, weil man es später im Beruf bzw. in seiner gewählten Fachrichtung dann nicht mehr auswendig wissen braucht. Bspw. Profs, die zu manchen Dingen nur die Folien ablesen: ,,Wenn sie näheres zu diesem Thema wissen wollen, sollten sie XY fragen oder mal im XY Buch nachschlagen, weil ich nicht darauf spezialisiert bin". Solche Aussagen machen die wesentlichen Fakten, die man für die Prüfung wissen muss, nicht unwichtiger.
Einige melden sich von Prüfungen ab, weil sie schwarz sehen, und ein weiterer Teil rasselt durch mind. eine Prüfung.
Nach den Prüfungen sind dann 2 Wochen intensives nichts tun (und vergessen) angesagt. Ich bezweifle sehr, dass ich später in der Berufswelt das komplette Wissen, das ich je an der Uni gelernt habe, komplett auswendig wissen muss.
Was genau soll also diese Art von Stress an Unis bringen, wenn es langfristig nur einen geringen Mehrwert hat und es bei den meisten Studenten nicht gut funktioniert, und was ist eure Meinung dazu?
Einfach mal eine entspannte Diskussionsrunde :)
8 Antworten
Was bringt Leistungsdruck an Unis?
Der dient zum Aussieben und reduzieren der Studentenzahlen auf ein erträgliches Maß. Übrig bleiben die, die genügend leistungsbreit sind und ein ausreichendes Zeitmanagement haben, um auch später im Beruf bestehen zu können.
Profs erzählen im Smalltalk, dass das früher nicht anders war
Da haben sie wohl recht.
Kommilitonen (auch aus höheren Semestern) und ich sind uns einig, dass etwa 2-3 Wochen vor den Prüfungen die wöchentliche reine Lernzeit (Vorlesung + Lernen) auf gute ca. 50 Stunden hoch geht.
Da machen es sich aber einige ziemlich bequem im Studium, wenn sie nur die 2 - 3 Wochen vor den Prüfungen ihre Lernzeit auf 50 h hochschrauben. Das sollte der Aufwand von Anfang an sein.
aber Lernstress ist meiner Meinung nach nicht mit Arbeitsstress vergleichbar.
Stimm. Wenn ich Praktikanten oder Berufseinsteiger eingestellt habe, waren die zumindest im ersten Halbjahr der Meinung, sie dachten, das Studium wäre schon anstrengend. Dass der Job noch anstrengender ist, daran mussten sie sich erst gewöhnen.
Das deprimierendste ist aber die Tatsache, dass gefühlt ca. 80% des Wissens sowieso (unabsichtlich) vergessen wird, weil man es später im Beruf bzw. in seiner gewählten Fachrichtung dann nicht mehr auswendig wissen braucht.
Aber wenn man es doch braucht, ist es ganz schnell wieder zu aktualisieren. Was man in den ersten Semestern lernt, braucht man immer wieder als Grundlage für das, was man wirklich wissen muss. Es kommt nicht drauf an, das auswendig zu wissen, sondern verstanden zu haben, um es leicht reaktivieren zu können.
Professor:innen profitieren von kleinen Studierendenzahlen. Es gibt weniger Prüfungen abzuhalten und zu korrigieren, weniger Abschlussarbeiten zu betreuen, weniger Beratungsaufwand, weniger Organisationskram.
Außerdem sind sie nicht gezwungen, sich mit Didaktik auseinanderzusetzen, so dass sie ihren Stoff einfach so runterrasseln können, wie sie das für richtig halten. Und am Ende kommt eben ne Klausur, egal ob das als Prüfung angemessen ist oder nicht.
Es gibt viele Möglichkeiten für Lehrende, sowohl den Prüfungsstress am Ende des Semesters für ihre Studis zu reduzieren, als auch Lehre (und Prüfungen) abzuhalten, die den Stoff praxisnah und nachhaltig in die Köpfe bekommen.
Das erfordert aber einiges an Anstrengung, die die meisten scheuen. Lehre ist gerade an Unis immer noch das ungeliebte Geschwisterchen der Forschung. Denn in der Lehre gibt es nicht viel zu gewinnen, in der Forschung hingegen schon.
Das sind meines Erachtens die Gründe, weshalb viele Profs Stress und Nichtbestehen ihrer Studis bewusst oder unbewusst fördern und das dann als Anspruch oder Leistungsgedanken zu verkaufen versuchen.
Natürlich betrifft das nur einen gewissen Teil der Lehrenden. Viele sehen das Problem und versuchen ihre Lehre zeitgemäß und didaktisch sinnvoll zu gestalten. Aber es reichen ein paar Profs in einem Studiengang, die nach "alter Schule" lehren und schon kippt es für die Studis vom anspruchsvollen Studium zum Bulimie-Lernen.
Mit einem Studium habt ihr auch für den höchsten Bildungsweg, den es in Deutschland gibt, entschieden. Es geht in deinem Studium darum, im gewählten Fachgebiet ein sehr breites UND tiefes Wissen zu erlangen.
Und ja, das ist nun mal anstrengend und viel und stressig. Ich denke, der größte Fehler, der dabei zu oft gemacht wird, weil er auch von vorherigen Generationen nicht analyisiert und korrigiert wurde, ist, dass auch an der Uni zu oft noch zu spät und dann zu konzentriert für den Tag der Prüfung gelernt wird, anstatt stetig dran zu bleiben. Und ja, letztendlich auch in der vorlesungsfreien Zeit. So entstehen eben die heftigen Klausurenphasen und dieser enorme Druck...
Da heutzutage aber auch viel mehr Schülerinnen und Schüler Abitur machen und ein Studium ergreifen, ist es auch völlig legitim, wenn man dann im Studium merkt, dass dieser Bildungsweg wohl doch etwas zu viel für einen ist und man sich doch für andere Wege entscheidet! Nicht okay würde ich es finden, wenn man jetzt den Anspruch im Studium so weit reduziert, dass es nicht mehr "stressig" ist. Wie gesagt - höchstmöglicher Bildungsweg, da muss und soll niemandem was geschenkt werden. Richtig gute Experten für ihr Fachgebiet - DAS sollt ihr am Ende sein, DAS bescheinigt euch euer Abschluss und DAS erfordert nun mal auch, sich sehr viel Fachwissen draufzupacken!
Leistung.
Das Arbeitsleben wird auch aus Druck bestehen. Dabei sagt dir irgendjemand höheres in der Hierarchie, was du tun oder erreichen sollst.
Und es ist an dir, das zu tun bzw. dir selbständig Gedanken zu machen, wie du das Ziel erreichst, das ein anderer dir gesetzt hat.
Es ist nicht an dir, zu entscheiden, was nützlich oder notwendig ist.
Insofern sind Ausbildungen, in denen man Dinge tut, die man für überflüssig hält, sogar in der Tat die beste Vorbereitung für eine hierarchische Welt, in der man selbst nicht ganz oben in der Hierarchie steht.
Wenn du ein Bill Gates oder Elon Musk bist, musst du das natürlich nicht mitmachen. Dann lässt du andere das machen. Denn dann bist du ganz oben.
Es steht dir frei, auszusteigen und einen solchen Weg zu gehen :)
Viele Suizide, moralische und psychische Wracks und schlechte Leistungen im anschließenden Berufsleben.
Der Unterschied zwischen Studium und Job ist der, dass der Job eine geregelte Arbeitszeit hat. D.h. ein offizieller Feierabend. Im Studium gibt es dieses Feierabend nicht oder zumindest nur künstlich, weil lernen kann man ja 24/7.
Ich komme aus der Lehre und weiß sehr gut, was es bedeutet ,,Feierabend" zu haben. Man lässt alle Probleme und Sorgen auf der Arbeit und zu Hause ist man zurück in der Wohlfühloase.
Für die Prüfung ist es aber leider notwendig, dass man am besten alles auswendig weiß. Verstehen bedeutet nämlich nicht wissen. Und in der Prüfung wird gerade dieses Wissen, das man im Kopf haben muss, abgefragt. Ich kann viele Dinge verstehen. Ob ich dieses Verständnis in 3 Jahren noch wissen werde, ist aber eine andere Frage.