Buddhismus: Ist das Begehren und/oder Anhaftung?

8 Antworten

Hi,

ich bin auch gerade auf dem Weg zum Buddhismus.

Buddha lehrt ja die 4 Wahrheiten, wo die erste „Leben ist Leiden“ lautet und hier bei dir greift die zweite Wahrheit, die Samudaya.

„Und dieses ist die edle Wahrheit vom Ursprung von Leiden: das Verlangen, welches zu weiterem Werden treibt, begleitet von Begierde und Erfreuen, genössen nun hier und nun dort, d. h. Verlangen nach Sinnesvergnügen, Verlangen nach Werden, Verlangen nach Nicht-Werden.“

Du bist mitten in der Ursache des Leidens, du begehrst, du lässt nicht los. Also ja, deine Wünsche führen aus buddhistischer Sicht zum Leiden.

Es ist schwierig, diesen Pfad zu verlassen. Ich habe selbst auch noch viele Wünsche, weiß auch nicht so wirklich wie loslassen soll

Interessant8892 
Fragesteller
 15.07.2019, 20:15

Danke! Das war sehr hilfreich für mich. Die Frage ist jetzt: Was soll man sonst im Leben machen?

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Mewchen  15.07.2019, 20:21
@Interessant8892

Das ist eben die Frage. Vielleicht bist du einfach noch nicht so weit? Ich meine, du bist 17. Erfüll dir erstmal ein paar Wünsche, teste dich aus. Du kannst wahrscheinlich noch gar nicht so richtig einschätzen, welche Erfahrungen man machen kann. Ich persönlich denke, man muss gewisse Dinge erstmal erleben, bevor man für sich abschätzen kann, wovon man sich löst.

Ich bin 30. ich habe viel erlebt und glaube einfach, dass ich einschätzen kann, was ich aufgebe

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Zunächst geht es ja um Deine innere Haltung. Ich glaube nicht, dass Buddhismus an sich eine Spaßbremse ist. Doch je mehr Erkenntnis wir auf dem Weg sammeln, desto weniger haben wir das Bedürfnis nach oberflächlichem Spaß. So handeln wir nach ethischen Prinzipien, die immer umfassender werden, je mehr wir die Verbundenheit aller Dinge erfahren. Erst, wenn ein Bewusstsein für ein Hindernis erwächst, können wir lernen, was die Ursache dafür ist. Stellen wir fest, dass es nur einem egoistischen Verlangen entspringt, bedenken wir vielleicht die Schäden, die es bei anderen und uns anrichtet. Da wir fühlen, nicht mehr nur logisch überlegen, dass wir uns selber schaden, wenn wir anderen schaden, und dass alles aus dem selben Stoff gemacht und verwoben ist, werden wir ganz natürlich immer weniger anhaften. Wir haben die Wurzel des Problems erkannt und möchten sie abschlagen, damit nichts neues daraus erwächst.

Nun erkennst Du also sehr richtig, dass Dein Ego Wünsche hat. Du glaubst, dass die Befriedigung dieser Wünsche Dir Glück bereitet. Doch wie langfristig ist dieses Glück? Und wie kurz ist unser Leben, von dem man sagt, es sei so selten und kostbar wie eine einzelne Perle im Meer der Zeiten. Der Buddha lehrt, welch einzigartige Möglichkeit das menschliche Dasein bietet, mehr noch als das der Götter, die berauscht von ihrer Allmacht kein Leid verspüren und niemals den Wunsch nach Befreiung hegen. Und wenn das Zeitalter zuende geht, sterben auch sie und stürzen hinab in die Daseinsbereiche von Hunger und Qual.

Über den eigenen Tod und die Möglichkeit zur Befreiung soll man oft nachdenken, da es eine Motivation erzeuge, ähnlich einem Mann "mit brennenden Haaren", der Wasser sucht.

Wenn Du auf Deinem SUP stehst und Deine Mitte findest, ist das gut. Daraus können neue Impulse und innerer Frieden entstehen. Wenn Du aber übst, um Mädchen zu beeindrucken, ist das eine unheilsame Handlung.

mendrup  15.07.2019, 20:51

Wenn Du reisen möchtest, ist ein Urlaub am Ballermann nicht hilfreich. Wenn Du Länder besuchst, in denen Du Ruhe findest, dem Buddhismus näher kommst oder vielleicht sogar Deine Hilfe anbieten kannst, wird Dir das dienlich sein. Was spricht dagegen, das angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden? Doch bedenke: Zerstreuung kann ein kleiner Urlaub für die Seele sein. Wenn Du Dich darin verlierst, ist sie Deine Fessel. Das gilt auch für eine liebliche Aussicht.

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Ich bin Soto-Zen-Buddhist und möchte darauf eingehen.

Zunächst einmal hat der Buddha nichts verboten, so dass auch nichts dagegen spricht, maßvoll Fernsehen zu schauen. Man soll sich nicht kasteien.

Wenn du dir ständig Dinge selbst untersagst, indem du dir sagst "ein wahrer Buddhist macht sowas nicht..", dann ist das keine buddhistische Geisteshaltung.

Reisen trägt dazu bei, den eigenen Horizont zu erweitern. Man lernt andere Kulturen kennen, wird mit anderen klimatischen Bedingungen konfrontiert usw.

Das sehe ich durchaus als positiv, denn viele Menschen sehen sich selbst als Mittelpunkt der Welt und urteilen, ohne echtes Wissen erlangt zu haben.

Reisen und ihre Herausforderungen können dabei helfen, uns von unseren lieb gewonnenen, egoistischen Verhaltens- und Denkmustern zu befreien.

Natürlich kann eine Reise auch lustig sein und Spaß machen - das schließt sich nicht aus und widerspricht auch nicht Buddhas Lehre.

Wenn du jetzt ständig Angst vor weltlichen Anhaftungen hast, dann ist diese Angst womöglich ein Zeichen, dass du zu sehr am Ideal der "Nicht-Anhaftung" haftest.

Dazu gibt es eine Zen-Geschichte:

Einst erlaubte eine ältere Dame einem Zen-Mönch in ihrem Garten zu übernachten und baute ihm dort eine kleine Hütte, damit er dort dauerhaft leben konnte.

Täglich brachte sie ihm etwas Essen und sorgte auch sonst dafür, dass der Mönch ungestört in seiner Hütte leben konnte.

Eines Tages wollte sie aber doch wissen, wie weit es mit der Erkenntnis des Mönchs her sei und beschloss, ihn auf die Probe zu stellen.

Sie bezahlte eine Prostitutierte, die den Mönch verführen sollte.

Die Prostituierte ging zum Mönch, begann sich vor ihm auszuziehen und lasziv auf seinem Schoß zu räkeln, legte ihre Arme um ihn und ließ ihr Becken kreisen.

Der Mönch stieß sie weg: "Dieser Körper ist nur noch ein Haufen kalter Asche, du wirst keine Glut mehr in ihm wecken können!!"

Die Prostituierte sammelte ihre Sachen zusammen, ging zurück zur alten Dame und erzählte ihr, was geschehen war. Die alte Dame wurde wütend:

"Was? Und so einen schäbigen Betrüger habe ich jahrelang auf meinem Grundstück wohnen lassen!!"

Die alte Dame nahm eine Fackel, ging in den Garten, zündete die Hütte des Mönchs an und vertrieb ihn für immer.

Was lernen wir daraus?

Dass dieser Mönch an seinem Ideal der Reinheit und Heiligkeit ebenso haftete, wie an dem Gedanken, er sei von allen Anhaftungen befreit.

Er nahm die Prostituierte gar nicht mehr als menschliches Wesen wahr, sondern nur als Anhaftung - also in Form eines Hindernisses seiner eigenen Praxis.

Das machte seine buddhistische Praxis zu einer Praxis des Egoismus.

Hätte er tatsächlich Weisheit erlangt, wäre die Geschichte sicher anders ausgegangen.

Ich hoffe, diese Antwort war hilfreich.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit etwa 40 Jahren praktizierender Buddhist
NewKemroy  15.07.2019, 20:47

Ich liebe Zen-Geschichten!

Soviel Anhaftung muss sein.

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Enzylexikon  15.07.2019, 20:48

Ein paar weitere Punkte die vielleicht hilfreich sein könnten:

Es gibt auch im Buddhismus einige Beispiele von Drogenkonsum, sexuellem Missbrauch, finanzieller Ausbeutung und Manipulation durch "Meister".

Einige gehen sogar juristisch gegen Kritiker vor, um sie zum schweigen zu bringen, oder führen ihr Fehlverhalten bis heute ungestraft weiter.

Das scheint widersprüchlich, denn im Allgemeinen haben wir das Bild, ein Meister stehe über den irdischen Dingen und sei zu so etwas gar nicht fähig.

Manchmal glaubten die Schüler auch, der Meister wisse besser als sie selbst was richtig für sie ist - seine perversen Handlungen wären also zu ihrem Wohl.

Das ist ein gefährlicher Irrtum - der infantile Wunsch nach einer Führerfigur lässt Anzeichen für destruktives Verhalten des Meisters übersehen.

Ich bin sehr skeptisch gegenüber irgendwelchen "Heiligen" und "Meistern", denn je heller ihr Heiligenschein strahlt, desto tiefer und dunkler ist ihr Schatten.

Ein wirklicher Praktizierender wird keine Zerstreuung grundsätzlich zurückweisen, sondern er sollte in der Lage sein, seine eigenen Illusionen zu erkennen.

Er wird achtsam sein und die Freuden des Lebens durchaus genießen - jedoch ohne sein inneres Gleichgewicht, seine Zufriedenheit davon abhängig zu machen.

In dem Moment, wo jemand sagt "Ich kann ohne Party nicht glücklich sein" unterliegt er einer Täuschung und einer Anhaftung.

Gleichermaßen unterliegt derjenige einer Täuschung und Anhaftung, wenn er glaubt "Ich kann nur ohne Partys glücklich sein".

Das ist dann eine Anhaftung an der Vorstellung der Nicht-Anhaftung.

Entscheidend ist die Achtsamkeit mit der wir handeln, denn sie lässt uns erkennen, ob wir uns eine harmlose Freude bereiten, oder einer Anhaftung unterliegen.

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Ich glaube da liegt oftmals ein Mißverständnis vor.

Es geht nicht darum, Personen, Dinge und Orte zu meiden und sich sozusagen zuhause einzuschließen, sondern um die Reaktion auf diese Geistesobjekte.

Schau Dir mal dieses Video an, dort wird es erläutert (auf Englisch).

https://youtu.be/H49Ax3eT8Fc

NewKemroy  15.07.2019, 22:19

Das ist ein sehr guter Punkt - die automatisierte Reaktion auf die Geistobjekte zu schwächen oder abzustellen. Das ist etwas völlig anderes als den Kopf in den Sand zu stecken.

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Klar fütterst Du täglich Dein Ego mit sowas. Aber wenn Du es Dir völlig verbietest, hast Du ja noch lange nicht losgelassen. Der Buddha lehrt den mittleren Weg, also keine schmerzhafte Askese, aber auch nicht völliges Laufenlassen. Dazu kommt noch das "geistige Training" durch Meditation. Hier findet das eigentliche Loslassen statt. Das ist ein Prozess im Innern und kann z.B. dazu führen etwas früher von der Party nachhause zu kommen, anstatt bis zum völligen Ende abzufeiern.