Was passiert, wenn man ohne Mutter/Vater aufwächst?

Das Ergebnis basiert auf 6 Abstimmungen

Nichts 67%
Ja, es passiert etwas, weil... 33%
October2011  27.01.2024, 13:59

Ohne Eltern? Oder mit nur einem Elternteil?

2 Antworten

Bin selbst ohne Vaterfigur und ohne Mutterfigur bei meinem Opa aufgewachsen - es blieb schon ein gewisser "Knacks" vorhanden, den ich erstmal aufarbeiten musste. Mein Opa hat sich zwar viel Mühe gegeben, ich durchlebte eine schöne und bis auf den Umstand, dass ich beim Opa wohnte und es dort eben sehr konservativ war im Gegensatz zu "coolen jungen Eltern" der anderen sehr zeittypische und normale Kindheit und Jugendzeit - und ich hatte es gut bei ihm, aber irgendwelche Spuren bleiben von solchen Geschichten immer übrig - beim einen mehr, beim anderen weniger.

Immer wieder erinnere ich mich bis heute an ein Gespräch, das die Situation so wie sie war noch heute gut aufzeigt: Mir hat mal eine sehr gute Freundin gesagt, als wir so 15/16 waren und in der neunten Klasse zusammen vom Mittagsunterricht heimliefen ... sag mal, dein Opa ist doch dein Papa, oder? Und ich so ohne groß zu überlegen: Ach ja, biologisch nicht, aber menschlich schon. Dazu würde ich heute noch stehen. Stand heute (bin 33) geht es mir gut und bin ich zufrieden und merke nichts im eigentlichen Sinne, aber es gibt manchmal schon noch gewisse Situationen, wo das wieder ans Tageslicht kommt.

Auch eine Bekannte von mir wuchs ohne Vater und mit wechselnden, allesamt unseriösen Partnern ihrer Mutter sowie einer tablettensüchtigen Oma auf - die hat den Absprung in ein bürgerliches Leben nie gepackt, ist ein Jahr jünger als ich und tut mir einfach nur leid. Sie geriet auch immer an die falschen Partner, die es nicht gut mit ihr gemeint haben - ich sage es mal so: Wäre in ihrem Elternhaus alles halbwegs okay gewesen, wäre das heute wahrscheinlich auch anders.

Kenne auch einen, dessen Mutter starb, als er im Kindergarten war. Der wurde von seinem Vater und seiner Oma erzogen und ist heute ein sehr sonderbarer Mensch. Kein schlechter Kerl, man kann alles von ihm haben und er ist ehrlich, aber ein merkwürdiger Zeitgenosse, bei dem der Tod der Mutter sicher auch Spuren hinterließ.

Bildungsferne oder im eigentlichen Sinne der Wortherkunft asoziale Eltern hinterlassen durchaus auch Spuren, aber da gibt es für den Nachwuchs eher eine Chance auszubrechen wie bei familiären Problemen durch eine schlechte Struktur und das Fehlen des Vaters/eines Elternteils - etwa über die Hilfe durch Freunde, Bekannte oder Lehrer. Das ist kein geistiges Todesurteil, auch Kinder bildungsferner Eltern können ganz viel auf dem Kasten haben - sie brauchen nur Förderungen und jemand, der ihnen die Hand reicht bzw. sie da abholt, wo sie stehen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
DummAberClever 
Fragesteller
 27.01.2024, 14:01

Copy-Paste?

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rotesand  27.01.2024, 14:03
@DummAberClever

Teilweise ja - ergänzt um einige weitere Gedankengänge, die mit der Zeit und den Lebenserfahrungen dazu gekommen sind.

Ich komme zwar beruflich bedingt auf eine sehr hohe Zahl von Zeichen- und Seitenanschlägen, aber so schnell hätte ich den Text nicht aufsetzen können.

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Von Experte rotesand bestätigt
Ja, es passiert etwas, weil...

Ich bin ohne Mama aufgewachsen - wie soll man's beschreiben ....

Da fehlt etwas und zwar etwas Essentielles und das kann keiner ersetzen. Da bleibt diese Lücke, die aufgearbeitet werden muss.

Charakterlich entwickelt man sich auch anders. Ich bin mit Männern aufgewachsen, aber eben dennoch eine Frau.

Das Buch "Töchter ohne Mütter: Vom Verlust der Geborgenheit" von Hope Edelman hat mir geholfen, gewisse Dinge besser zu verstehen.

rotesand  27.01.2024, 14:46

Das mit dem Charakter kann ich unterstreichen. Ich war durch den Opa früh relativ gediegen - und habe erst als Erwachsener begriffen, warum eine Lehrerin mich mit Alfred Biolek verglichen hat und meinte, ich sei nur optisch ein Jugendlicher und menschlich eher der nette ältere Herr um die 60. Das macht schon was aus, auch unter meinen gleichaltrigen Freunden war ich im Rückblick immer so der "Primus inter pares", zu dem mich andere gemacht haben.

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Caplata  27.01.2024, 16:09
@rotesand

Das fühle ich sehr, das trifft es tatsächlich ganz gut - ohne dass es jemals so eingelenkt wurde, erhält man einen anderen Status. Im Freundeskreis bin ich auch irgendwie immer die "führende" Person gewesen, die sich alles anhört, bei Fragen des Lebens einen Rat hat (Freunde haben aus meinem Waisen-Status eher "die Weise" gemacht), ihnen aus der Patsche hilft oder sie auffängt.
So ist es wahrscheinlich, wenn man früh selbstständig sein musste und für sich gesorgt hat. Man weiß eher wann man weitergehen, sich ducken oder die Richtung ändern sollte.

Am Ende des Tages fühle ich aber auch; "Wer fängt mich denn auf, wenn ich mal falle?" - und der Part ist schmerzlich.

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rotesand  27.01.2024, 16:21
@Caplata

Bei mir war es genauso - ich war immer eher so der Onkel, der dann auch Streit schlichten, mit Lehrern verhandeln, Dinge organisieren oder Fotos machen musste, Ratschläge gegeben hat ... es hieß mal von einer Lehrerin, ich sei wie ein Chorleiter, der die Klasse zusammenhalte wie ein Chorleiter seinen Chor und es hieß auch, bei mir herrsche so eine wertschätzende Stimmung - das ging in Richtung Biolek und seiner Talkshow.

Ich musste vieles mit mir selber ausmachen und hatte es nicht leicht, es wurde schon im Kindergarten konsequent gegen uns gearbeitet und ich musste früh lernen was es heißt, sich durchzusetzen - obwohl ich eigentlich der Ruhige bin, der nette Typ von nebenan. Heute bin ich relativ stark und in der Lage, mich gut zu vertreten - mit mir legt sich keiner mehr an, weil er weiß, er kriegt im Ernstfall die volle Klatsche auf juristischem Wege zurück (ich bin u.a. Schöffe am Gericht und die Wege sind kurz).

Gerade meine frühe Reifung half mir aber dabei, das Vertrauen anderer zu gewinnen, in hochrangige Kreise vorzustoßen, beruflich erfolgreich zu werden und alle Ziele zu erreichen, von denen viele sagten, ich würde sie nie im Leben erreichen. Ich gebe nicht damit an, bin aber nach innen hin sehr dankbar drum und kann es manchmal selber nicht glauben.

Am Ende des Tages fühle ich aber auch; "Wer fängt mich denn auf, wenn ich mal falle?" - und der Part ist schmerzlich.

Das Problem hatte ich, als mein Opa 80 wurde. Das war ganz heftig, vor allem nachts, wo ich wachlag und nachdachte.. da war ich meine ich in der achten oder neunten Klasse. Damals war 80 schon ein sehr hohes Alter und einer von zehn Leuten in dem Alter fuhr noch Auto - die meisten waren da schon im Heim oder entsprechend klapprig und krank. Mein Opa hatte zu dem Zeitpunkt bis auf einen, der auch ihn überlebt hat, alle seine Freunde überlebt. Ich hatte Angst was passiert, wenn er stirbt oder krank wird, er hat sich nie dazu geäußert und ich habe ihn auch aus Angst nie gefragt. Er wurde sehr alt und starb erst, als ich schon über der 20 war und beruflich ausgelernt war, war auch noch fit und munter, wir wohnten bis zuletzt zusammen. Es war alles auf Augenhöhe. Ich weiß, dass er was hinterlegt hat und im Ernstfall mein lediger Patenonkel, der zeitweilig auch in der großen Wohnung wohnte, dann die Wohnung übernommen hätte und mein Vormund geworden wäre - das hätte funktioniert, aber es wurde nie drüber geredet.

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