Glaubt ihr das diese Sprachen wirklich verwandt sind (Indogermanische Sprachfamilie)?

3 Antworten

Von Experte Adomox bestätigt

Das hat nichts mit „Glauben“ zu tun — die Gültigkeit der indogermanischen Sprach­familie kann man demonstrieren. Aus einer relativ kleinen Anzahl von Wurzeln (in großzügiger Zählung 2000), mit ein paar Dutzend Ableitungssilben und einer kom­plexen Grammatik kann man

  • Hunderttausende Wörter in den Tochtersprachen ableiten
  • Die Kasus- und Tempusbildung in den Tochtersprachen verstehen
  • Das, was an Tochtersprachen besonders irregulär ist (z.B. das Wort sein), ist mit Blick aufs Indogermanische oft am leichtesten zu verstehen
  • Verwandtschaften und Kontakte innerhalb der Tochtersprachen erkennen, die teilweise durch archäologische und genetische Daten bestätigt werden

Deine Liste ist geradezu bösartig aufgestellt — die Idee einer freundlichen Be­grüßung wird in jeder Sprache komplett anders ausgedrückt. Diesem Argument zu­fol­ge wür­den selbst Hamburger und Wiener unverwandte Sprachen sprechen, denn der eine sagt „Gu­ten Tag“ und der andere „Grüß Gott“, und das hat ja gar nichts mit­ein­an­der zu tun.

Ich behandle jetzt nur drei Deiner Beispiele, weil ich von diesen Sprachen ein bißchen Ahnung habe:

  • Griechisch: Πώς είσαι; Pṓs eísai heißt soviel wie ‘Wie bist Du’, dabei ist πώς wirk­lich ein Gegenstück zu deutsch wie, weil das indogermanische kʷ in diesem Wort in den beiden Tochtersprachen sehr unterschiedliche Wege gegangen ist (ger­ma­nisch w, griechisch τ t vor hellem und π p vor dunklem Vokal). Und das zweite Wort είσαι ‘du bist’ ist tatsächlich mit deutsch ist verwandt (das wird deut­li­cher, wenn man sich altgriechisch ἐστί estí ‘er ist’ ansieht).
  • Hindī आप कैसे हैं? "āp kaise haĩ ‘Wie sind Sie?’ ist eine Höflichkeitsform; das Pro­no­men āp ist nicht aus dem Indogermanischen (das keine Höflichkeitsformen hat­te), sondern eine Neubildung aus einem Stamm mit der Bedeutung ‘Seele’. Über kaise ‘wie’ weiß ich nichts, aber das k darin könnte aus demselben indo­germa­ni­schen stammen, das ich bereits erwähnt habe. Und haĩ hat eine quer über alle indo­ger­ma­ni­schen Sprachen verbreitete Wurzel zur Basis, die mit den für die je­wei­li­gen Sprache typischen Lautveränderungen zu Worten wie deutsch bin, latei­nisch fui ‘ich war’, griech. ἔφυν ‘ich bin entstanden, ich war’ oder russ. буду budu ‘ich werde sein’ führt.
  • Latein: Quid agis? Das heißt ‘was machst Du?’, und hier sehen wir, daß das indo­ger­ma­ni­sche im Fragewort lautlich hier vollständig erhalten ist. Das zweite Wort heißt ei­gent­lich ‘in Bewegung versetzen’ und kommt in dieser Form in vie­len in­do­ger­ma­ni­schen Sprachen vor (z.B. griech ἄγω ágō ‘ich treibe an’), hat aber spe­zi­ell im La­tei­ni­schen auch die allgemeinere Bedeutung ‘tun’ angenommen. Auf Deutsch ist Achse verwandt.

Und mit ein bißchen Wörterbuchgymnastik schaffe ich auch Russisch:

  • Как у тебя дела Kak u tebâ dela? ‘Wie (ist) die Sache bei dir?’. Am Fragewort kak siehst Du wieder den in allen indogermanischen Sprachen dominierenden Anlaut mit originalem , das Wort dela bedeutet ‘Sache, Angelegenheit’ (verwandt un­ter an­de­rem mit deutsch Tat), u ist eine Präposition, die räumliche Nähe aus­drückt, und tebâ hat natürlich denselben Stamm wie deutsch du. (es ist eine Ge­ni­tiv­form, der Nominativ heißt ты ty)

Diese Argumente mögen Dir gekünstelt erscheinen, weil ich viele Lautgesetze ein­fach voraussetze und z.B. beim Russischen ty mit deutsch du aber debâ mit Tat gleich­setze. Da fragt man sich, ob ich schlampig bin und den Unterschied zwischen D und T vernachlässige. Die Antwort ist ein festes Nein, denn diese Unterschiede sind sy­ste­ma­tisch. So heißt drei auf russisch три tri und tun heißt делать delat’. Du siehst also, daß die T/D-Korrespondenz in beiden Fällen „verkehrt“ ist, und diese Sy­ste­ma­tik be­weist die gemeinsame Abstammung.

Und zuletzt: Wenn die indogermanische Sprachfamilie ein Hirngespinst wäre, war­um haben die Linguisten dann nicht alle Sprachen in dieselbe imaginierte Familie ge­steckt? Warum nicht auch Ungarisch, Baskisch, Türkisch oder Georgisch? Die rich­ti­ge Antwort ist natürlich: Weil das nicht geht. Dort fehlen nämlich genau diese sy­ste­ma­ti­schen Übereinstimmungen.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

Ja, es ist nachgewiesen, dass diese Sprachen verwandt sind. Das erkennt man oft nicht auf den ersten Blick, da sich die Sprachen seit ihrem gemeinsamen Ursprung stark verändert haben. Dein Beispiel ist außerdem noch unglücklich gewählt. Solche Grußformeln müssen nicht alt sein, zum Teil sind sie aus verschiedenen Wörtern gebildet (Wie geht es - wie bist du - was tust du) und sind sich schon deshalb nicht ähnlich.

Deutlich ist die Verwandtschaft eher bei Verwandtschaftsbezeichnungen oder Zahlen: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_indogermanischer_Wortgleichungen

Warum sollten sie nicht miteinander verwandt sein? Nicht alle gleichbedeutenden Aussagen werden mit stammverwandten Wörtern ausgedrückt.

Bsp: d: Wie geht's? e: How are you? fr: Ca va?

geht va

Wie How Ca

bist are