Braucht es eine Leistungsgesellschaft mit Statussymbolen?

9 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Eine schöne Frage :-D

Also zuallererst bekenne ich mich auch als jemand, der lieber mehr Freizeit hat als mehr Geld. Das war früher anders, da habe ich mich auch noch stärker auf das heilige Arbeits- und Konsumspiel eingelassen. War auch nett, aber so getrieben. Gerade aus dem Gedanken sich dann ständig belohnen zu müssen, in fast jedem Urlaub noch weggefahren etc etc und eigentlich will man auch einfach nur mal sein :-D

Ich erzähl jetzt mal grob wie die Leistungsgesellschaft ihren Anfang nahm und das allergröbste bis heute. Dann findest Du es vielleicht gar nicht mehr wild, der Leistungsgesellschaft beim Untergehen zuzusehen.

Als der Protestantismus durch Luther eine neue Arbeitsmoral in die Welt gebracht hat und damit nach Max Weber (Protestantische Ethik) den ideologischen Grundstein für den Kapitalismus gelegt hat, war es am Anfang sehr schwer, gegen die bestehende, katholische Arbeitsmoral anzukommen. Die Menschen wollten nicht mehr arbeiten, als sie für ein angenehmes, aber bescheidenes Leben brauchten, auch nicht für bedeutend mehr Geld. Irgendwann hat sich dann die protestantische Ethik so in die Köpfe eingefressen, dass man akzeptierte, mit Arbeit und Anhäufung dem Protestanten Gott dann doch am besten huldigen zu können und der Terror ging los.

Was dann sehr viel später den heute allseits bekannten Konsumrausch entfesselt hat, war der flächendeckende Einzug des Fernsehers. In Längsschnitterhebungen zur Lebenszufriedenheit lässt sich nachzeichnen, dass ab diesem Zeitpunkt, das Empfinden sich verschoben hat dahingehend, dass die Leute ihren Status und was sie hatten niederer einschätzten als zuvor. Weil davor die einzige Vergleichsgröße der Nachbar oder sonst wer normales aus dem Umfeld in Frage kam und man sich vor dem, weil etwa vom gleichen „Rang“ nicht so minderwertig fühlen musste, wie vor den Schönen und Reichen aus dem TV, mit denen man sich jetzt zu messen hatte, waren die Leute davor noch mir ihrer Welt zufriedener. Die Upperclass, vor allem des Unterhaltungsfernsehens, wurde zum Maßstab für das, was als erstrebenswert angesehen wurde. Und nicht nur der Lifestyle der vorbildlich konsumierenden Fernsehgeister regte ganz gezielt Konsumwünsche an, sondern nochmal eine ganz neue Dimension der Werbung in bewegten Bildern. Ab jetzt konnte man im ganz großen Stil Konsumwünsche aller Art erzeugen.

Die Konsumverherrlichung hat sich dann im kalten Krieg nochmal radikalisiert. Die UDSSR mit ihrer Planwirtschaft, ihrer Reise- und Freizeitbeschränkung, dem Mangel an Waren und deren Vielfalt wurde dem Schlaraffenland USA und seinem Marshall-Plan Anhängsel gegenübergestellt. Die Freiheit des Westens, ist die Freiheit jederzeit alles konsumieren zu können, Der Osten stand für Rückstand Mangel und Unfreiheit. Durch diesen weiteren ideologischen Schachzug haben sich die Konzepte Freiheit = Konsum miteinander verschmolzen.

Ob es Freiheit ist, die meiste Zeit der Woche einem Unternehmen zu opfern und dann in der wenigen Freizeit gehetzt in reizüberfluteten Konsumstätten das ganze Geld ausgeben zu müssen, wegen dem Status und dergleichen und weil man sich da belohnen und entschädigen muss, dass kann überdacht werden.

„Ideologie ist ein System von Überzeugungen und Begriffen, das die soziale Wirklichkeit in einer Weise sinnhaft strukturiert […] ohne dass bestehende Zwangsverhältnisse problematisiert werden“ (und die letzte Ideologie war der Katholizismus, waren zwar auch umnachtet, aber haben wenigstens den Planeten ganz gelassen :-D)

Ideologien gibt es wohl, seit Menschen schwafeln können. Und unsere schützt die Menschheit auch gerade davor umzulenken. Schon in den siebziger Jahren hat der Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“ rausgebracht und das fünf vor zwölf verkündet. Haben alle ignoriert. Jetzt ist fünf nach zwölf und es wird immer noch munter weiter geshoppt.

Arbeiten sich ja auch schon Ökonomen und Soziologen ne Weile dran ab und zum Drosseln und runterfahren der Wirtschaft gibt`s schon gute Ideen. Das Problem daran: Regierungen sind so am Wickel der Wirtschaft, die hätten schon gar nicht mehr die Macht, das Monster derart zu zähmen. Das System hat einfach auch die letzten dreißig Jahre eine so rasante Dynamik angenommen, eine geheime Steuerungsinstanz, wie Q-annon z.B. sich da ausmalen – sowas ist schon lang gar nicht mehr möglich.

Um abschließend mit Marx zu sprechen: Das Kapital ist zum Subjekt geworden.

 

 

 

Hessen001 
Fragesteller
 24.09.2023, 21:50

Allerdings, muss man da dann ja wieder dagegen halten, dass diese evangelischen Länder wie die USA und England ja wesentlich fortschrittlicher waren, als z.B. Spanien oder Italien.

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PetraPan777  13.10.2023, 22:36
@Hessen001

Absolut richtig! Ich bin auch eine Befürworterin des säkulären Systems und denke auch, dass der Protestantismus sehr viel Gutes mit sich gebracht hat (ich selbst wäre wahrscheinlich von den Katholiken verbrannt worden :-)). Aber wie es halt so ist: Alle großen gesellschaftlichen Bewegungen bringen immer auch unvorhersehbare, nicht-intendierte negative Dynamiken mit sich.

Das alles auch seine Schattenseite hat, darüber täuscht das Wort "Fortschritt", welches (fast) ausschließlich positiv konnotiert ist, obwohl es für sich ja erstmal nur heißt, das etwas durch Bewegung einen neuen Punkt erreicht, immer etwas hinweg. Das hat auch mit gesellschaftlichen Glaubenssystemen zu tun, die uns seit der Aufklärung zu eigen sind und als ganz selbstverständlich erscheinen. Gerade die Trias aus Wissenschaft-Technik-Fortschritt ist immer noch sehr wirkmächtig und verdunkelt, dass z.B. eine hohe Technisierung nicht auf allen Ebenen zu einer besseren Gesellschaft führt. Wir feiern zwar technische Fortschritte und uns als Gesellschaft damit als fortschrittlich im Sinne einer sich positiv entwickelnden Gesellschaft. Lenkt man den Scheinwerfer aber weg von eben dieser Haupt-Bühne, sind auch gesellschaftliche Schauplätze auszumachen, anhand derer man von einer parallel verlaufenden zivilisatorischen Rückentwicklung sprechen könnte.

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Momentan ist es ja so, dass man z.B. mehr oder weniger viel und hart arbeitet und als Belohnung dafür, bekommt man Geld, um sich einen Status aufzubauen, z.B. einen teuren Urlaub zu machen oder ein teures Auto zu fahren.

Nun ja - vordergründig gehen Menschen erstmal arbeiten, um die Lebenshaltungskosten decken zu können - also Grundbedürfnisse zu erfüllen.

Viel mehr als das ist heutzutage auch bei vielen gar nicht mehr drin.

Wer viel verdient und keinen Wert auf den Luxus legt, den er sich davon leisten könnte, sondern gerne mehr Freizeit hätte, hat ja die Wahl weniger zu arbeiten - eben gerade noch so viel, dass er das Nötigste bezahlen kann.

Naja frag mal den Hans-Werner dessen wöchentliches Higlight das halbe Hänchen beim Grill am Marktplatz ist, was er sich in den letzten 30 Jahren für ein Statussymbol in der Werkshalle erarbeitet hat. Entweder knallt er dir direkt eine oder fragt dich in was für einer Welt du eigentlich lebst. Dann wirst du ihm wahrscheinlich antworten, in einer in der man mit Playsi zocken auf Youtube soviel Geld machen kann das man nach Dubai ziehn kann und sich mit nem Helicopter nen Lambo vor seinen Pool auf das Dach seiner Suite liefern lassen kann. Wahrscheinlich wird am nächsten Tag in der Zeitung stehn und dann richtete Hans-Werner die Waffe gegen sich selbst.

Darum sage ich, der Teil hier ist gar nicht so schlecht >>>

"Allerdings: Ist es schlimm, wenn manchen Leuten Freizeit mehr wert ist als Luxus? Könnte nicht auch eine Gesellschaft funktionieren, in der es weniger Luxus, weniger Arbeit und dafür mehr Freizeit gibt?

Ich sage nicht, man soll die Wirtschaft an die Wand fahren. Aber müssen z.B. wirklich immer wieder künstliche Bedürfnisse geweckt werden, um neue Firmen gründen zu können, um mehr zu arbeiten? Sinnvolle Erfindungen sind natürlich gut."

Weißt du was die gute Nachricht ist? Die Umstände werden uns sowieso dazu zwingen, schon sehr bald. Naja oder man tötet soviele Menschen das man einfach so weiter machen kann wie bisher, das wäre die andere Möglichkeit.

Was glaubst du, wie werden sich die Verantworlichen entscheiden? Oh man ich muss ständig an Ted denken :-/

https://www.youtube.com/watch?v=bsr18EQyhvM

Vor allem nach der Doku Gestern und deiner Frage jetzt :-/

https://www.youtube.com/watch?v=z4iR_RN-bII

Weißte Bescheid ;-)

Da erklärst du dem Kapitalismus den Krieg. Ihr einziges Interesse ist mehr Arbeit, Wachsum eben und immer mehr Konsum, egal welcher Art.

Ich glaube, dass die Menschen heute mehr denn je konsumieren und immer mehr Wert darauf legen. Gleichzeitig wird es manchen zu viel und sie versuchen sich auf Freizeit und Familie zu besinnen, sind aber inzwiachen so tief in dem System gefangen, dass sie kaum noch eine Chance haben.

Ich bin kein Fan davon, wie unsere Gesellschaft sich entwickelt hat. Aber mit der technologischen Entwicklung und neuen Generationen verändern sich auch die Zeiten und das lässt sich nicht aufhalten. Man muss eben schauen, wie man selbst damit am besten umgeht und lebt.

Hessen001 
Fragesteller
 24.09.2023, 21:48

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass ich dadurch dem Kapitalismus den Krieg erkläre. Kapitalismus gibt es ja schon sehr lange und insgesamt hat sich unser Lebensstandard ja sehr verbessert. Sinnvolle Erfindungen, sinnvolles Wachstum finde ich gut... Allerdings: Braucht es denn die zahlreichen Start-ups mit oft unnötigen Produkten?

Früher hat es z.B. auch nur ein paar Firmen gegeben, die sich auf etwas spezialisiert haben.

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Eigentlich ist Luxus das Versprechen von Glück. Materieller Besitz hat allerdings noch niemanden glücklich gemacht. Alles was du dir mit Geld kaufst, nur des Geldes wegen, hat keinen realen Wert weil Geld nur etwas ist, das wir uns ausgedacht haben. Die Leistungsgesellschaft wie wir sie kennen muss weg, sie macht nur unglücklich.