Warum wird oftmals der Eindruck vermittelt, die Ostdeutschen wollen die DDR wieder haben?

8 Antworten

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Du bist unvoreingenommen und gehst ohne Vorurteile an die Sache heran. das finde ich (als Ossi) sehr lobenswert.

Es gibt nur sehr wenige ehemalige DDR-Bürger, die wirklich die Mauer zurück haben wollen - mit allen Konsequenzen. Das sind ehemals privilegierte Bonzen und solche, die gleich nach der Wiedervereinigung (im Osten sagt man „Wende“) arbeitslos geworden sind und nie eine Chance hatten. Das sind die Verlierer der Wende.

Viele fühlen sich zu recht betrogen, weil ihr „Volkseigentum“ verramscht wurde., weil auch gut aufgestellte Betriebe „abgewickelt" wurden, weil es plötzlich massenhaft Arbeitslosigkeit (im Osten ein Fremdwort) gab und viele auch, weil ihre Ideale über Nacht zerbrachen - ihre Illusion von einer besseren, gerechteren Welt.

Der Mensch neigt dazu, sich immer an die positiven Dinge zu erinnern, deshalb hört man von vielen alten Menschen: „Früher war alles besser“.

Auch die ehemaligen DDR-Bürger erinnern sich gern an die positiven Dinge - die es durchaus gab - doch wenn sie ehrlich sind, wollen sie doch nicht mehr zurück in die alten Zeiten der Mangelwirtschaft und der geschlossenen Grenzen.

Ich bin in der DDR groß geworden und konnte nach der Wende noch einmal richtig durchstarten. Ich hatte das Glück, im besten Alter dafür zu sein und bin Wagnisse eingegangen.

Vorurteile gibt es auf beiden Seiten. Sie halten sich zäh und sind nur schwer abzubauen - vor allem, weil die Lebensqualität im Osten noch immer hinter der im Westen hinterher hinkt (das Einkommensniveau liegt bei ca. 75%, der aktuelle Rentenwert ist erst 2025 einheitlich, die meisten Führungskräfte kommen noch heute aus den alten Bundesländern...).

Meine Kinder sehen das schon ganz anders als wir und das ist gut so. Es wird aber noch einige Generationen brauchen, bis die Grenzen endgültig überwunden sind.

Hessen001 
Fragesteller
 15.06.2020, 22:33

Im Westen sagt man eigentlich auch oft Wende 😉

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Ich nehme an, Du hattest bisher nur ein sehr einseitiges Bild von "Ost-Deutschland" oder der DDR. Ich war noch zu DDR-Zeiten zu Besuch meiner Großtante in Sachsen (Nähe Görlitz). Schon zu dieser Zeit gab es sehr unterschiedliche Meinungen zu dem Staat DDR dort.

Einige waren glühende Anhänger des Systems, andere haben sich halt mit dem System arrangiert, und einige wollten etwas ändern.

Dann kam der Mauerfall und die Wiedervereinigung. Es kamen ausschließlich Jubelbilder im Fernsehen. Ich und einige Andere haben sich gewundert, dass Niemand an das Finanzielle dachte und das alle euphorisch waren. Wir wußten doch, wie kaputt die Infrastruktur, die Straßen dort, waren. Aber ich selbst habe die Wiedervereinigung auch begrüßt, denn die Alternative wäre nicht friedlich gewesen. Für mich war es sowieso nur der andere Teil Deutschlands.

Ein paar Jahre später wachten alle auf aus ihrem Jubel - ui, das wurde ja teuer! Viele verloren ihre Arbeit. Das ganze System hatte sich geändert. Plötzlich wurden viele Leute mit ihren Qualifikationen nicht mehr gebraucht. Die Unzufriedenheit wuchs.

Meine Verwandten in Sachsen aber sind zufrieden. Keiner von ihnen möchte das alte System wieder haben. Ja, sie mussten teilweise umschulen, denn es galt nur der West-Standard. Sie haben sich darauf eingelassen und es gepackt.

Ich war noch einige Male in den neuen Ländern. In Halle kam ein riesiger, muskelbepackter Mann auf uns zu. Ringer-Shirt + Springer-Stiefel und von Kopf bis Fuß tätowiert....und er fragte total freundlich, ob wir für unser Wohnmobil Strom oder Wasser aus seinem Haus haben wollten. Selten soetwas Nettes erlebt!

Es ist nichts, wie es scheint! Man darf keine Vorurteile haben.

Man muss reisen und eigene Erfahrungen sammeln. Menschen begegnen und mit ihnen sprechen, zuhören! Genau das hilft, damit wir andere nicht ausgrenzen. Es sind alles Menschen und was sie tun und wie sie leben, ist plausibel.

Hier sind viele Jugendliche im Forum. Sie konnten bisher noch nicht selbstständig reisen.

Und viele Leute verstehen unter "reisen" nach Malle fliegen oder in irgendeine Ferienanlage einchecken - entspannt am Pool liegen. Klar mag man auch mal entspannen. Aber so sammelt man kaum Erfahrungen!

Man sollte sich ins Auto setzen oder in die Bahn, einfach Deutschland oder die Nachbarländer besuchen. Da macht man die Erfahrungen, die wichtig sind.

Reisen hilft gegen Fremdenhass!

Reisen hilft gegen Vorurteile!

Es gibt nur ganz wenige, die die DDR wirklich gern zurück haben wollen. Spricht man mit diesen Leuten und fragt sie ob sie denn erneut 13 Jahre auf einen Trabant warten wollen, ob sie ihren Flachbildschirm gegen einen Robotron eintauschen wollen, ob sie wieder für alles und jedes Schlange stehen wollen, ob sie wieder von der Stasi bespitzelt werden wollen und ob sie wieder hinter der Mauer eingesperrt leben und auf die Reisefreiheit verzichten wollen, dann lichten sich die Reihen derjenigen gewaltig. Dieses dumme Geschwätz ist nur Ostalgie. Es ist nur eine Erinnerung von Leuten die damals etwas darstellten, die mal jemand waren, die heute niemand mehr sind und das nicht ertragen können. Wenn es dann darum geht den Euro tatsächlich wieder gegen Alu Chips einzutauschen, dann machen die meisten dann doch einen Rückzieher. Nur wenn sie ihren Golf mitnehmen könnten, wenn es das freie Internet auch in der DDR gäbe, die lieb gewonnene Meinungsfreiheit, die Reisefreiheit und natürlich den harten Euro, ja dann würden sie die DDR gern zurück haben.

Ossis halt 🤷‍♂️.Ich würde mir auch die Zeit wieder zurückwünschen(nicht politisch), aber nur mir mal ein Bild davon zu machen.

Killer6734  10.10.2023, 01:20

Antworten können nicht Grausamer gehen als wie mit dir! 😩

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Guten Abend liebe/r Hessen001,

als OSSI fühle ich mich positiv berührt von deinen Zeilen und freue mich über deine "Auslandserfahrung" :-) Warum im Westen, wo ich nicht wohne, der Eindruck des Jammerossis entstanden ist, kann ich dir nicht erklären. Dass Dresden bunt und weltoffen ist, Sachsen sowieso ein recht vielfältiges Bundesland geworden ist und auch Thüringen einiges an Abwechslung zu bieten hat, zeigen ja zum Teil deine Eindrücke. Ich kann deinen Überlegungen nur zustimmen und finde, vieles an den Eindrücken ist medial verzerrt. Man darf aber nicht vergessen, dass viele Ostdeutsche (bspw. meine Elterngeneration zwischen 1958-1962 geboren) die "Wiedervereinigung" nach wie vor nicht als einen auf Augenhöhe ausgehandelten Prozess wahrnimmt und im Nachgang bei allem Diskurs über Unrechtsregime und staatliche Willkür, Grundrechtsbeschneidung etc. doch auch nicht vollständig mit dem DDR-Leben brechen kann, weil die ersten 30 Jahre in der DDR nun mal prägend und identitätsstiftend waren. Wer kann schon nachvollziehen wie das gewesen sein muss, wenn alles von einem auf den anderen Tag an Wert und Gültigkeit verliert bzw. in Frage gestellt wurde? Einstellungen speisen sich ja grundsätzlich aus den biographischen Erfahrungen und da ist evtl. bei den Ostdeutschen mehr passiert bzw. hat jeder vor 1989 geborene Ostbürger eine einschneidende Zäsur in seinem Leben erlebt, was unter Umständen das verzerrte Bild vom Jammer-Ossi ergab. Aber genauso stimmt sicher das Bild vom "Besserwessi" nicht 100% :-)

Hessen001 
Fragesteller
 15.06.2020, 22:27
auch Thüringen einiges an Abwechslung zu bieten hat

Wo habe ich denn über Thüringen geschrieben? Wir sind zwar wirklich oft in Bad Salzungen in Thüringen, aber ich wüsste gerade nicht, dass ich das schonmal erwähnt habe. 🤷‍♂️

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Wolkenluft  15.06.2020, 22:32
@Hessen001

Ich habe das einfach als Analogie hinzugesetzt. Heimatbezug und so. Sachsen + Thüringen :-)

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