Österreichischer Bundespräsident VDB (Grüne) beauftragt zweitstimmensstärkste Partei ÖVP die neue Regierungsbildung zur Recht?

Nein, VDB hat zu entscheiden, wen er will. 93%
Ja, es ist gegen den Willen des Volkes. 7%

14 Stimmen

10 Antworten

Die Frage ist suggestiv und ignoriert die Geschehnisse der vergangenen Wochen, nämlich vor allem die Unfähigkeit Kickls, andere Parteien auch nur zu vorberatenden Sondierungsgesprächen an den Tisch zu bringen. Er hat sich selbst und die FPÖ derart in den Extremismus gesteuert, dass keine Partei ihm zutraut, demokratisch im langfristigen Interesse des Landes und der dort lebenden Menschen zu regieren. Die überragende Mehrheit in Österreich ist überzeugt, dass eine Kickl-Rigierung primär ideologisch handeln würde, aber nicht primär im Sinne der Demokratie und der Europäischen Werte. Und einmal mehr muss glasklar sein: Jemand, der demokratisch gewählt wurde, ist keineswegs automatisch selbst auch Demokrat.

VdB ist als Bundepräsident überparteilich, und er hat in den vergangenen Jahren vielfach bewiesen, dass er sich an diesen verpflichtenden Grundsatz hält. Als Bundespräsident von Österreich hat er das Recht und die Pflicht, denjenigen Spitzenkandidaten zur Regierungsbildung zu beauftragen, der imstande ist, eine funktionierende, mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Kickl ist dazu erwiesenermaßen nicht imstande. Ferner kann der Bundespräsident die demokratischen Grundwerte, die Verfassungstreue und die innereuropäische Partnerschaft einfordern. Auch in dieser Hinsicht versagt Kickl, und darum hat ihn VdB auch schon 2019 im Zuge der leider längst in Österreich vollkommen vergessenen Ibiza-Affäre völlig zu recht seines Innenministerpostens enthoben. Der stimmenstärkste Kandidat, der beides gewährleistet, ist hingegen eindeutig Nehammer und die ÖVP.

Der Regierungsbildungsauftrag an ihn kam daher völlig zu recht und erwartet.

Keineswegs aber geht es darum, "wen VdB will" (daher: "suggestive Frage"!) oder wen er nicht will. Es geht um die Bildung einer stabilen und mehrheitsfähigen Regierung, nicht um den Willen von Privatpersonen. Dies versteht, wie mir scheint, auch Herbert Kickl nicht.

Ist das undemokratisch?
Nein, wieso denn?

Punkt a) der Bundespräsident kann irgendjemanden dazu beauftragen, so wie es beispielsweise nach Ibiza mit Bierlein der Fall war - die Person müsste nicht einmal zur Wahl gestanden sein. Also im juristischen Sinne: Alles in Ordnung.

Punkt b) bezieht sich auf den Grund dahinter. VdB hat selbst Gespräche mit den Parteispitzen geführt und sie auch dazu beauftragt, miteinander zu sprechen. Mit dem Hintergedanken, herauszufinden wer mit wem potentiell kann - bzw. was sicherlich nicht klappt.

Was kam dabei heraus?

Die FPÖ besteht auf Kickl als Kanzler. Keine andere Partei erklärt sich dazu bereit, mit Kickl als Kanzler zusammenzuarbeiten.

Obwohl alle Seiten über die Bedingungen der Gegenseite Bescheid wissen, rudert niemand zurück.

Sondierungs- bzw. Koalitionsgespräche einer Partei, mit welcher niemand zusammenarbeiten möchte sind bekanntermaßen sinnlos. Das braucht Zeit, bedeutet gewissermaßen Stillstand im Land und führt zu nichts, sondern dieses Szenario nennt sich dann Zeitverschwendung.

Wenn ich mit viel zu hoher Geschwindigkeit um eine Kurve fahre, bremse ich schließlich ab, anstatt noch mehr Gas zu geben und von der Fahrbahn abzukommen.

Wird die neue Koalition ÖVP-SPÖ-Neos scheitern?

Es gibt doch noch gar keine neue Koalition. Warten wir ab, welche Koalition letztendlich zustande kommt und wie das Regierungsprogramm ausschauen wird. Das dürfte bereits einiges an Aufschluss geben.

Und noch eine Anmerkung am Rande: "Das Volk" sind wir alle. Nicht nur jene, welche die FPÖ gewählt haben. Es geht darum, Lösungen zu finden, mit denen möglichst alle irgendwie leben können.

Das spiegelt sich auch in unserer Demokratie ab: Um zu regieren, braucht es eine absolute Mehrheit (über 50 Prozent der Mandate), also sehr viele Menschen, welche diese Parteien (aufgrund ihrer Inhalte) gewählt haben. Wie diese Mehrheiten zustande kommen, wer mit wem kann, welche Kompromisse es geben kann, usw. - da sind die politischen Akteure am Zug. Auf andere zugehen, Kompromissen gegenüber offen sein, andere überzeugen. Wer das nicht kann und nur auf alle anderen schimpft, der hat es eben schwer.

Wenn ein Kind alle anderen Kinder mit Steinen bewirft, braucht es sich nicht zu wundern, wenn diese nicht mit ihm spielen möchten.


jo135  27.10.2024, 16:27
Um zu regieren, braucht es eine absolute Mehrheit

Im engeren Sinne nicht: es gibt natürlich auch Minderheitsregierungen, die in einigen Ländern durchaus üblich sind. Man kann auch die Bierlein-Regierung als solche sehen.

Natürlich müssen die sich dann für jedes Gesetzesvorhaben solche Mehrheiten suchen, sonst kommen sie nicht weit.

Mariiaaca  27.10.2024, 16:39
@jo135

Da hast du mich jetzt aber, das stimmt natürlich - normalerweise ergänze ich immer "handlungsfähige Regierung" um dabei möglichst genau zu bleiben ohne noch mehr zu verwirren, aber natürlich ist auch das streng genommen nicht ganz korrekt ;)

Das Konzept der Minderheitsregierung hatten wir in Österreich ja auch bereits unter Kreisky, nur scheint das aktuell natürlich alles andere als machbar oder realistisch, denn da wird sich niemand finden, das das unterstützt!

Nein, VDB hat zu entscheiden, wen er will.

Wenn absehbar ist, dass die Partei mit den meisten Abgeordneten keine stabile Regierung bilden kann, würde ein Regierungsauftrag an diese Partei lediglich Zeitverschwendung sein.

Alle anderen Parteien haben deutlich gemacht, dass sie mit einem Kickl nicht zusammenarbeiten wollen, das ist durchaus als glaubhaft einzuschätzen.


Panamacity3  27.10.2024, 17:37

Dann bleibt abzuwarten, wie stabil eine aus Verlegenheit zusammengeschusterte Regierung sein wird.

RobertLiebling  27.10.2024, 17:43
@Panamacity3

Solange keine Partei alleine über mehr als 50% der Mandate verfügt, ist jede Regierung "aus Verlegenheit zusammengeschustert".

Nein, VDB hat zu entscheiden, wen er will.

Ob dies als undemokratisch angesehen werden kann, hängt stark von der Perspektive ab. Auf der einen Seite könnte man argumentieren, dass das Festhalten an Traditionen und Regeln wichtig für die Stabilität eines politischen Systems ist. Andererseits könnte die Entscheidung von VDB auch als Reaktion auf die gegenwärtigen politischen Gegebenheiten interpretiert werden, um eine breitere und stabilere Koalition zu fördern. Es zeigt auch, dass die Wählerstimmen und Wählerwünsche in einem sich ständig verändernden politischen Klima neu interpretiert werden müssen. Insofern könnte man sagen, dass er versucht, auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Wählerschaft zu reagieren, auch wenn dies zu Spannungen führt.

Persönlich finde ich die Situation in Österreich aus der Ferne faszinierend, aber auch besorgniserregend. Die politischen Veränderungen und Entscheidungen können tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben und es ist wichtig, dass die Politiker die Stimmen und Ängste der Bürger ernst nehmen. Es könnte sein, dass die Koalition nicht lange hält, wenn sie nicht in der Lage ist, eine klare und inklusive Politik zu entwickeln, die die Bedürfnisse aller Wähler berücksichtigt.

LG aus Tel Aviv

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Globalgeschichte/ internationale Politik

DerRoll  27.10.2024, 15:32
Insofern könnte man sagen, dass er versucht, auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Wählerschaft zu reagieren, auch wenn dies zu Spannungen führt.

Und warum soll das dann "gegen den Willen des Volkes" sein?

Stressika  27.10.2024, 15:32
@DerRoll

Einfach das falsche angeklickt! *geändert* danke für den Hinweis!

Nein, VDB hat zu entscheiden, wen er will.

Auch das ist Demokratie, wenn keiner mit der stärksten Partei koalieren will. Zumal die Wähler das in der Regel vorher wissen

Könnte in Deutschland auch passieren - wie mit der AfD