Wir wussten von nichts?

9 Antworten

Du musst strikt unterscheiden zwischen "Konzentrationslagern" und "Vernichtungslagern"

"Konzentrationslager" waren von der NSDAP betriebene nicht-staatliche Gefängnisse. Die wurden ab 1933 eingerichtet, weil es aus Sicht der Nazis zu wenig Gefängnisse gab - sie wollten einfach viel mehr Leute einsperren als vorher. Diese KZs kannten alle, die waren eine Mischung aus Gefängnis und Arbeitslager, und die Leute wurden daraus auch mal wieder entlassen. Nicht schön natürlich, aber weitgehend akzeptiert wie auch Gefängnisse eben.

Vernichtungslager gab es erst im Krieg und nur in den durch Krieg eroberten Gebieten, wo es keine Presse gab und strengstes Kriegsrecht auch gegen die umgebende Bevölkerung, Postzensur usw. Wurden offiziell auch als Arbeitslager dargestellt, waren aber im wesentlichen geheim (man sagte im Zweifelsfall, dass es Rüstungsfabriken seien die deswegen eben so geheim sein müssen ...) Was dort ablief wusste in Deutschland kaum jemand, und wenn doch dann konnte das als "offensichtlich Feindpropaganda" abgetan werden. Im Krieg kann man ja eh keiner Seite irgendwas glauben.

Die meisten wusten es.

Und die Orte um die Verbrennungsoefen wusten es auch, der Geruch von verbrennendem Menschenfleisch ist charakteristisch, unmoeglich sich das wegzuluegen.

Es gab aber Wissende, die taten taetsaechlich vieles um das zu stoppen.

Vereinzelte unter den Nazis (siehe Film "Der Pianist"), aber auch kleine Gruppen

Das wird von den "Leuten" abhängig sein.

Wenn man zu dieser Zeit volljährig gewesen ist, werden die allermeisten natürlich mitbekommen haben, das ihre Nachbarn, Kollegen, Freunde auf einmal weg sind.

Was konkret mit den Menschen passiert ist, wussten sie vielleicht nicht, aber von nichts gewusst haben, das werden nicht allzu viele haben.

Der Wehrmachtssoldat Joe J. Heydecker wurde 1943 in der Neuen Winterfelstraße in Berlin Augenzeuge, als eine jüdische Familie abtransportiert wurde und hörte den Kommentar einer der umstehenden Frauen: "Die werden ooch verjast". (Quelle: Joe J. Heydecker: Das Warschauer Ghetto. München (dtv) 1983, S. 35-36)

Albert Speer hat in einem Interview einmal gesagt: "Wer wissen wollte, konnte wissen."

Ich denke, das beantwortet diese Frage. Es gab niemanden, der "nichts wußte", aber sehr, sehr viele, die "nichts wissen wollten", und nach dem 8. Mai 1945 befiel diese "kollektive Amnesie" fast die gesamte Nation.

Ergänzung zum Thema Konzentrationslager:

Das System beruhte darauf, daß die Bevölkerung davon wußte und es als Drohung empfand, so diszipliniert werden sollte und wurde. Von den Konzentrationslagern hat JEDER gewußr, der nicht blind und taub war!

Knallfrosch24  17.03.2024, 01:12

Ich denke, dieser Aspekt des "nicht wissen wollen" kommt in der Betrachtung oft zu kurz. Viele verstanden prinzipiell, dass es in den Lagern menschenunwürdig zuging, duckten sich aber aus eigener Angst (Feigheit) weg, um nicht tatsächlich/detailliert Wind von den Verbrechen zu bekommen und dann vom eigenen Gewissen konfrontiert zu werden. Und selbstverständlich gab es auch eine nicht zu verleugnenden Sparte der Bevölkerung, der die Verfolgung und Vernichtung bestimmter Gruppen schlicht für richtig hielt.

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Über die Deportationen wussten viele Deutsche Bescheid. Es gab aber viele Dörfer, in denen keine Juden lebten, deshalb bekamen viele Dorfbewohner davon nichts mit. Laut dem Zensus vom Juni 1933 lebten 65 Millionen Menschen im Deutschen Reich, davon waren 0,77 % jüdisch. Die meisten Juden lebten in Städten, nur 15,5 % in Orten mit weniger als 10.000 Einwohnern.

In der NS-Propaganda wurden sämtliche Konzentrationslager als Arbeitslager dargestellt. Die Vernichtungslager wurden in den besetzten Gebieten aufgebaut. Die Täter waren zur Verschwiegenheit über die Mordmaschinerie verpflichtet. In ausländischen Zeitungen und Radiosendungen kam manchmal zur Sprache, dass in bestimmten Lagern Juden fabrikmäßig ermordet werden. Allerdings war es verboten, so genannte Feindsender zu hören. Wer Hitlers Reichstagsrede am 30. Januar 1939 im Radio aufmerksam gehört hatte, konnte ahnen, dass Hitler die Juden ermorden lässt.

Die Massenerschießungen von Juden im Osten wurden hauptsächlich von den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes durchgeführt. Die deutschen Soldaten waren mehrheitlich nicht an diesen Erschießungen beteiligt.