Wie beeinflusst Gravitation Zeit?

8 Antworten

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Hallo Dultus,

vielleicht wirdes Dich überraschen, aber Deine Frage ist nicht einmal besonders schwer zu beantworten:

Gravitationspotential und Frequenzverschiebung

Die Differenz des Gravitationspotentials Φ führt zu einer Verschiebung der Frequenz f elektromagnetischer Strahlung. Dies lässt sich z.B. über die Lichtquantenhypothese von PLANCK (1900) motivieren: Jedes Quant (Photon) hat eine (kinetische) Energie h·f, wobei h das PLANCK’sche Wirkungsquantum ist.

Von EINSTEIN wiederum wissen wir, dass Energie alle Eigenschaften von Masse (Trägheit, Schwere etc.) besitzt und somit jedes Photon eine „Effektivmasse“ h·f/c² und in einem Gravitationspotential Φ eine potentielle Energie h·f·Φ/c² besitzt. Die Gesamtenergie beträgt somit

(1) h·f·(1 + Φ/c²)

und ist natürlich konstant. Das führt beim „Abstieg“ eines Photons zu einer Frequenzerhöhung und beim „Aufstieg“ zu einer Frequenzverminderung um den Faktor

(2.1) f₂ = f₁·(1 + Φ₁/c²)/(1 + Φ₂/c²).

Für |Φ₂|<<c² ist die Näherung

(2.2) f₂ ≈ f₁·(1 + Φ₁/c²)·(1 – Φ₂/c²) = f₁·(1 – ΔΦ/c² – Φ₁Φ₂/c⁴)

anwendbar, wobei ΔΦ:=Φ₂–Φ₁ ist. Falls auch |Φ₁|<<c² ist, ist auch dieses Φ₁Φ₂/c⁴ vernachlässigbar klein, und es bleibt nur mehr

(2.3) f₂ ≈ f₁·(1 – ΔΦ/c²)

übrig (NEWTONsche Näherung). Dies wurde tatsächlich schon gemessen, und zwar für irdische Gravitationspotentialdifferenzen, durch POUND und REBKA (1960). Der Effekt ist winzig, aber messbar.

Die eigentliche ART-Begründung geht etwas anders: Der Aufenthalt im (weitgehend homogenen) Gravitationsfeld entspricht der Situation gleichförmiger Beschleunigung nach „oben“. Ein Lichtsignal, das am Boden eines Labors startet, verhält sich so, als müsse es die Decke „einholen“, die inzwischen schneller geworden ist. Ein Signal, das an der Decke startet, verhält sich so als komme es dem inzwischen schneller gewordenen Boden entgegen.

Zeitraffer bzw. Zeitlupe

Dabei muss ein am Ort der Strahlungserzeugung stattfindender Vorgang von höherem Potential aus ebenfalls verlangsamt zu sehen sein, sonst wäre die Situation physikalisch inkonsistent.

Angenommen etwa, ich trinke in 10 Minuten einen Kaffee und versende dabei 1-MHz-Wellen, dauert das Kaffetrinken 600 Millionen dieser Schwingungen, und das muss so sich ändert, auch wenn die Frequenz sich ändert. Man sieht mich also von tieferem Potential aus im Zeitraffer und von höherem aus in Zeitlupe. Im Prinzip jedenfalls.

Interstellar
Äußerst interessantes Thema, welches im Film Interstellar wunderbar dargestellt wurde.

Der Effekt ist im Film aber übertrieben dargestellt. Berechnen kann man ihn - in etwa, weil das die wahrscheinlich Rotation des Schwarzen Loches nicht berücksichtigt - mit der SCHWARZSCHILD-Metrik

(3) dτ² = dt²(1 – 2μ/r) – dr²/c²(1 – 2μ/r) – r²dΩ²/c²,

wobei dτ ein mikroskopisch kurzer Eigenzeit-Abschnitt, dt ein entsprechender Koordinatenzeit-Abschnitt (gemessen von einer weit entfernten Uhr, r→∞) ist, und dΩ ist eine Abkürzung für jede tangentiale Bewegung.

(4) 2μ = 2GM/c²

ist der SCHWARZSCHILD-Radius, wobei „Radius“ ein mit Vorsicht zu genießender Begriff ist, denn r ist nicht der radiale Abstand vom Zentrum.

Im Kreisorbit

Kann man von einer Kreisbahn ausgehen, kann man dΩ durch dφ ersetzen, und dr=0.

Außerdem gilt die Gleichgewichtsbedingung

(5) rv² = r³dφ²/dt² = μc²,

weshalb wir in (3) r²dΩ² bzw. r²dφ² durch (μ/r)c²dt² ersetzen können:

(6) dτ² = dt²(1 – 2μ/r) – (μ/r)dt² = dt²(1 – 3μ/r)

Da für den Weg eines Photons durch die Raumzeit dτ=0 ist, gibt es einen Photonenorbit bei r=3μ, der aber instabil ist. Der engste stabile Orbit soll - das gilt zumindest für ein nicht rotierendes Schwarzes Loch - bei r=6μ liegen, und damit kommen wir auf

dτ = dt√{1 – 3μ/6μ} = dt√{½},

also eine Verlangsamung des Zeittaktes einer dort kreisenden Uhr um den Faktor √{2} gegenüber dem einer sehr weit entfernten.

Möglicherweise würde sich nach der KERR-Metrik (für rotierende Schwarze Löcher) ein extremeres Verhältnis finden lassen, aber die kann ich bislang nicht.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

SlowPhil  03.05.2019, 18:02

Danke für den Stern!

Dultus 
Beitragsersteller
 03.05.2019, 20:53
@SlowPhil

Ich konnte mir bei deiner Antwort tatsächlich mir am meisten darunter vorstellen und erklären. Viel mir aber auch bei den tollen Antworten hier nicht einfach. ^^

Dultus 
Beitragsersteller
 03.05.2019, 08:26

Lieben Dank für die ausführliche Antwort!


Dultus 
Beitragsersteller
 02.05.2019, 13:22

Das ist ja keine Antwort, die ich haben möchte. ;-)
Mir ist klar, dass man das berechnen kann. Ich möchte aber wissen, wie es dazu kommt, dass es funktioniert.

Du erzählst mir, wie man den Ofen heiß macht, aber nicht, warum er heiß wird. Denn "Knopf drehen" ist da keine Antwort drauf.

SirKermit  02.05.2019, 13:27
@Dultus

Was genau verstehst du unter funktioniert? Wir wissen über viele Dinge, dass sie sich so verhalten und können es experimentell nachweisen und berechnen.

Aber alleine schon die Frage, wie genau die Gravitation funktioniert, ist schon problematisch, denn wer kann sich genau vorstellen, wie sich Raum krümmt? Oder ob es Austauschteilchen gibt.

SirKermit  02.05.2019, 13:28
@Dultus

Was den Ofen betrifft: willkommen in den Naturwissenschaften.

Dultus 
Beitragsersteller
 02.05.2019, 13:30
@SirKermit

Es gibt oftmals Modelle, die das erklären können.

Wenn ich jetzt zum Beispiel von Hitze (nicht speziell den Ofen) rede, kann ich sagen, dass die Hitze dadurch entsteht, dass sich die Atome und Moleküle schneller bewegen, da sie Energie aufnehmen (im komplett groben).

Dultus 
Beitragsersteller
 02.05.2019, 13:45
@SirKermit

Das ist ein guter Lesetipp, danke dir.

Umso stärker das Gravitationsfeld ist, umso langsamer vergeht die Zeit, genauso wird die Zeit auch durch Bewegung verlangsamt.

Wurde sie überhaupt schon beantwortet ...

ja. in der allgemeinen relativitätstheorie

...oder lässt sich diese Differenz bis heute nur über die Relativitätstheorie errechnen?

was heißt "nur"?

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Physiker (Teilchenphysik)

Dultus 
Beitragsersteller
 02.05.2019, 14:30

Damit meine ich nicht lediglich Mathematisch.

Reggid  02.05.2019, 14:33
@Dultus

was soll das bedeuten??

hast du ein beispiel dafür was du meinst?

wie würdest du die elektrostatische anziehung zweier geladener körper berechnen? wie würdest du den wäremaustausch zweri körper in thermischen kontakt berechnene? wie würdest du leitfähigkeit eines metalls berechnen? wie würdest du ....?

Dultus 
Beitragsersteller
 02.05.2019, 14:34
@Reggid

Visuelle Erklärung ist das, was ich möchte. Ein Modell. Der SirKermit hat einen interessanten Artikel dazu bereits verlinkt gehabt.

SlowPhil  03.05.2019, 08:42
@Dultus

POUND und REBKA haben eine Frequenzverschiebung schon bei irdischen Gravitationspotentialdifferenzen festgestellt.

Genau genommen beeinflusst Gravitation nicht die Zeit, Ursache und Wirkung sind genau andersherum. Ein massebehafteter Körper krümmt die Raumzeit um sich herum, was dazu führt, dass räumliche und zeitliche Abstände verzerrt werden.

Die Zeit vergeht dabei umso langsamer, je näher man an der Oberfläche des Körpers ist. Genau dadurch und weil für einen Körper auch umso weniger Zeit vergeht, je schneller er sich bewegt, werden Körper in seiner Umgebung zu ihm hin beschleunigt, was eben auch Gravitation genannt wird.

Das liegt daran, dass ein kräftefreier Körper (also einer mit gleichbleibender Geschwindigkeit) immer dem kürzest- und somit geradestmöglichen Weg zwischen zwei Punkten folgt. In der Raumzeit ist das der Weg mit der größten Eigenzeit, also der Weg, auf dem für den Körper die größte Zeitspanne vergeht. In der gekrümmten Raumzeit um einen massebehafteten Körper führt so ein Weg zu dem Körper hin.

Die Raumkrümmung ist im Vergleich zur Zeitdilatation bei Himmelskörpern mit so einer geringen Masse wie der Erde übrigens vernachlässigbar, wenn man sich nicht gerade mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegt, weil der Umrechnungsfaktor zwischen Längenkontraktion und Zeitdilatation die Vakuumlichtgeschwindigkeit ist. Eine Längenkontraktion von 299.792,458 km entspricht daher einer Zeitdilatation von nur 1 s.

Wie ein massebehafteter Körper aber die Raumzeit um sich herum krümmt und damit auch die Zeitdilatation verursacht, ist meines Wissens bisher unerforscht. Es ist wohl sogar so, dass man die Gleichungen der ART auch anders formulieren und die Gravitation wie in der Gravitationstheorie von Isaac Newton durch eine Kraft erklären kann, die zwischen zwei Körpern so wirkt, dass es nur so scheint, als ob es eine gekrümmte Raumzeit gibt.

Der Physiker Martin Bäker hat zur ART auf seinem Blog Hier wohnen Drachen übrigens diverse Artikel geschrieben und kürzlich auch ein Buch zu dem Thema veröffentlicht.


Dultus 
Beitragsersteller
 02.05.2019, 20:07

Auch eine schöne Antwort. Ich freue mich, dass der Großteil der Antworten auf meine Frage eingeht!

Janeko85  03.05.2019, 20:05
@Dultus

ich sollte mich wohl korrigieren, beziehungsweise eine Unklarheit beseitigen.

Kräftefreie Körper sind nur in der ungekrümmten Raumzeit diejenigen, die sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit bewegen.

In der gekrümmten Raumzeit sind aber diejenigen Körper kräftefrei, die sich beschleunigt auf die Quelle der Raumzeitkrümmung zubewegen, sich also im freien Fall befinden (die besagte Beschleunigung ist nichts anderes als die Schwerebeschleunigung, in der Nähe der Erdoberfläche also die bekannten 9,81 m/s^2).

Körper mit gleichbleibender Geschwindigkeit (was aucb Stillstand einschließt) werden in diesem Fall durch eine Kraft davon abgehalten, sich auf dem Weg mit der größten Eigenzeit zu bewegen. Zum Beispiel indem ein Apfel von dem Ast gehalten wird, an dem er hängt, oder, nachdem er heruntergefallen ist, von dem unter ihm befindlichen Boden (wenn er könnte, würde er bis zum Schwerpunkt der Erde fallen).

Dultus 
Beitragsersteller
 03.05.2019, 20:52
@Janeko85

Danke für die Ergänzung!