Warum sind Deutschland und Schweiz so schlecht bei Digitalisierung der Verwaltung?

10 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die Auführungen von jo135 sind stichhaltig.

Hinzuzufügen bleibt, dass die Digitalisierung bei uns sehr lange als Ausbau der Netze missverstanden wurde. Tatsächlich braucht niemand "schnellstes Internet" um einen Antrag digital auszufüllen.

Auch der Föderalismus spielt eine große Rolle, jedes Bundesland achtet peinlichst auf seine Unabhängigkeit und Eigenständigkeit. Es gibt zwar "Entwicklerverbünde", bei denen jeweils mehrere Bundesländer versuchen, etwas gemeinsam zu entwickeln, aber diese versuchen natürlich, möglichst viele eigene Positionen im Gesamtprojekt durchzusetzen, was die Entwicklung extrem verlangsamt und verteuert und baut einen gewaltigen Wasserkopf auf. Bis es da mal eine "working Demo" gibt, darüber vergehen Jahre, und in einem mir bekannten Fall, sogar Jahrzehnte.

Eine Zusammenarbeit im Betrieb solcher Systeme findet praktisch nicht statt, jedes Bundesland besteht darauf, das jeweilige System im eigenen Landesrechenzentrum zu betreiben, dadurch entstehen enorme Redundanzen und Kosten.

Die Sicherheitsanforderungen sind bei uns extrem hoch. Das hat zwar zur Folge, dass Behördensysteme nur selten mal tatsächlich gehackt werden, aber es verteuert und verlangsamt die Entwicklung.

Und zu guter Letzt: Informatiker werden bei uns nach öffentlichem Tarif bezahlt, eben BAT oder TVL/TVöD. Was dazu führt, dass man im öffentlichen Dienst kaum die Hälfte von dem verdient, was in der Wirtschaft bezahlt wird. Folge: Man muss mit der Hälfte der Belegschaft arbeiten, die eigentlich nötig wäre.

Fertige Azubis, die in einem Landesrechenzentrum ihre (sehr gute) Ausbildung zum Fachinformatiker abschließen, werden von der Wirtschaft "mit Kusshand" abgeworben. Das trägt auch nicht eben zur Attraktivität des ÖD bei.

hinter sehr rückständigen und kleinen Ländern wie Portugal oder Dänemark

Offenbar sind diese Länder doch nicht so rückständig.

In Deutschland ist die Ursache vor allem die extreme Zersplitterung der Verwaltung. Einerseits föderal (d.h. pro Bundesland), andererseits wird auch bei Bundesangelegenheiten für jeden Mist eine separate Behörde aufgezogen, mit separaten Strukturen. Eine gemeinsame Behörde, die für Digitalisierung von A-Z zuständig ist, gibt es nicht. Der vielzitierte Datenschutz ist eher eine Ausrede.

In Österreich (das vom Staatsaufbau Deutschland ziemlich ähnlich ist, in diesen Benchmarks aber traditionell weit vorne liegt) hat man vor ca. 20 Jahren viele grundlegende und erstmal langweilig klingende Reformen gestartet, vor allem eine Zentralisierung von Registern. Es reicht nämlich nicht, einfach nur bestehende Prozesse "digital" zu machen. Dazu gibt es mit dem BRZ ein staatliches Unternehmen, das gesetzlich für die Digitalisierung ermächtigt ist.

Das führt dann eben dazu, dass in Österreich heute viele Amtswege 100% digital möglich sind, und jene die man immer noch persönlich ausführen muss (etwa einen neuen Pass zu bekommen, oder ein Führungszeugnis) laufen sehr viel rascher und einfacher.

Wie das in der Schweiz läuft, weiß ich nicht. Dort betreibt man den Föderalismus ja nochmal extremer, aber ansonsten meinem Eindruck nach recht effizient.

tomriddle700 
Fragesteller
 15.07.2023, 12:38

Aber Österreich ist ein ziemlcih kleines Land das fast nur Tourismus und Landwirtschaft hat vielleicht macht es das einfacher

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jo135  15.07.2023, 13:14
@tomriddle700
Land das fast nur Tourismus und Landwirtschaft hat 

Trollst du, oder glaubst du das wirklich?

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Weinberg  15.07.2023, 16:05

Was Pass, aber auch Personalausweis oder Führerschein betrifft:

Bei der Behörde in N.Ö. am Freitag neuen Pass, Perso und FS beantragt, an Dienstag darauf Pass und FS im Postkasten, Perso Tags darauf.

Das sowas in Deutschland etliche Wochen lang dauert, ist schon einmalig. Vor allem, wenn eh schon alle Daten aufliegen und nur ein neues Foto dazu kommt....

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jo135  15.07.2023, 16:29
@Weinberg

Dazu kommt, dass man diese Amtswege selbstverständlich in ganz Österreich erledigen kann, egal wo man den Hauptwohnsitz hat.

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Weinberg  15.07.2023, 17:04
@jo135

Ja, eh.

Mein Sohn, der in München lebt, fährt für solche Angelegenheiten nach Tirol oder Salzburg....

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ntech  16.07.2023, 11:35

Absolut richtig! Siehe auch meine Antwort.

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Das Internet und die Digitalisierung sind für uns alle Neuland. Es gibt in Deutschland zum einen immer noch viel zu viele Bedenkenträger gegen alles. Zum anderen sind die Prozesse, um neue Infrastruktur zu bauen, zu lang, zu bürokratisch und mit zu vielen Möglichkeiten des Verzögerns oder Verhinderns gespickt.

Das liegt wohl an der überbordenden Bürokratie in Deutschland, - wo der Weg eines Projekts durch alle Entscheidungs-Instanzen immer unendlich lange dauert!

Woher ich das weiß:Recherche

Um es kurz zu machen: Verkrustete Strukturen sprengst Du nicht über Nacht auf. Es gibt viel Salbader, der mal den Datenschutz, mal das vermeintlich schlechte Internet anprangert, nur um vom Kernproblem abzulenken. Die Strukturen sind so lange gewachsen und zerklüftet, daß einmal mit dem Farbeimer durchgehen nicht funktioniert und reicht.

Und da Du nicht einfach mal das bestehende System stoppen und schnell ein neues hochziehen kannst (planieren statt sanieren), dauern Prozesse entsprechend lange. Sicher, man kann bewußt auf die Bremse treten, man kann auch schneller machen, aber das Grundproblem bleibt.

Föderalismus ist ein Gegenentwurf zum Zentralismus und wenn extrem viele Köche im Brei rühren, geht halt nichts voran.

Und da wir offenbar nicht zu einem pragmatischen Mittelweg in der Lage sind, wird es halt noch dauern.