Leben wir noch im Kapitalismus?

9 Antworten

"Wohlstand der Nationen" von Adam Smith wurde 1776 veröffentlicht. Da war der Kapitalismus noch in den Kinderschuhen. Das Buch ist ein "Kampfbuch" für freie Wirtschaft gegen den feudalistisch geprägten Merkantilismus. Von einer weltweiten Wirtschaft heutigen globalen Ausmaßes konnte Smith noch nicht mal träumen. Das Buch hat historischen Wert, einige Erkenntnisse moralisch-psychologischer Art, die man inzwischen wieder über Bord geworfen hat, sind fruchtbare Anregungen, doch es eignet nicht für eine Analyse heutiger Verhältnisse. Auch die marxche Analyse ist längst überholt. Sowohl soziologisch wie auch wirtschaftstheoretisch.

Die Frage ist, wie weit der Begriff KAPITALISMUS überhaupt noch zu einer einigermaßen brauchbaren Analyse eignet. Seit Marxens Zeit hat sich die ökonomische Bedeutung von KAPITAL vervielfacht und es ist inzwischen sinnvoll in Real- und Finanzkapital zu unterscheiden. Doch eine Analyse der Entstehungs- wie Verfügungsverhältnisse ist viel komplexer geworden. Industriezweige, von denen noch Engels (Textilindustrie) und Marx gelebt haben, schwinden in der Bedeutung gegenüber den neuen digitalen Angeboten, die in kürzester Zeit Studenten zu Milliardären machen. Gestern noch kleiner Volksgenosse, heute Milliardär in China oder Moskau und das alles in sehr stark abweichenden Gesellschaftsformationen, wenn man Saudi Arabien und die Golfstaaten zusätzlich in den Blick nimmt.

Durch die gewaltigen Schuldenverhältnisse ist es schwer, überhaupt Vermögen, das mehr als Luftforderungen darstellt, sicher auszuweisen. Virtuelles (eingebildetes Vermögen, das nur in Büchern steht) und reales Vermögen durchdringen sich und evtl. wird es eine Machtfrage bleiben, wer letztlich die Verfügungsrechte für sich behauptet. Die brachiale Machtpolitik der USA deuten darauf hin, dass militärische und strategische Macht am Ende den Ausschlag geben, wer seine Forderungen durchsetzt und fremde Forderungen abwehrt. Auch die massive und seltsamerweise geduldete Wirtschaftsspionage der USA machen deutlich: Letztlich ist die Verfügung über KnowHow, Ressourcen und das Bestimmungsrecht in Vertragsverhältnissen ausschlaggebend. Forderungen kann man mit entsprechender Macht von jetzt auf gleich für nichtig erklären. Die gesamte Finanzökonomie sind im Grunde reine Rechtsverhältnisse und wo diese niemand durchsetzt, sagt der, der bestimmt, was gilt, welchen Wert welche Rechtsbindungen haben, basta.

Ich danke dir für diesen wichtigen Beitrag! 

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@BenjaminGraham

Ich danke, denn Deine Frage hat bei mir eine weitere Frage ausgelöst: Was ist der Unterschied zwischen der Ökonomie zur Zeit von Adam Smith, zur Zeit von Marx und heute?

Wenn zur Zeit von Adam Smith jemand aus ökonomischen Leistungen vereinbarte Forderungen hatte, gab es keine Rechtssicherheit, konnte der Feudalherr eigenmächtig einen Strich durch die Rechnung machen, eine Redewendung, die wir heute noch benutzen, ohne die Herkunft zu kennen.

Zur Zeit von Marx stand allem Kapital in der Regel im Buch den Forderungen ein Anteil an realen Investitionen gegenüber. Der Investor hatte reale Gegenwerte.

Heute leben wir in einer Zeit einer ausgedehnten Finanzwirtschaft und den – oft mit künstlich zusammengestellten Rückgriffsrechten – ausgestatteten Rechtsverbindlichkeiten stehen keine realen Kapitalien gegenüber sondern kaum nachprüfbare Versprechungen, teils, siehe Griechenlandschulden, uneintreibbare Versprechungen, die zwischen sogenannten Garanten hin und her geschoben werden. Niemand weiß, was von den Versprechungen eintreibbar ist. Ein Großteil der in der Welt hin und her geschobenen Vermögen hat längst keinen realwirtschaftlichen Hintergrund mehr. Die sinnlose Vermehrung von Geldforderungen wirkt nicht mehr zum Anreiz der Realwirtschaft, weil sie sich in den virtuellen Kanälen der anschwellenden Forderungsbücher verströmt.

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@berkersheim

... weil sie sich in den virtuellen Kanälen der anschwellenden Forderungsbücher verströmt ... und zum Objekt einer wuchernden Spekulationsbranche wird.

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Wohlstand der Nation durch die Gier der Einzelnen. Ja, trifft auf Deutschland zu. Also Kapitalismus!

Die armen Entwicklungsländer die der IWF stranguliert passen jetzt leider nicht mehr zum Smith'schen Kapitalismus. Vielleicht in diesem Fall einbischen zu viel Gier? Oder Wohlstand der Nation ist einfach nicht gleich Frieden und Wohlstand der ganzen Menschheit.

http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/11/03/der-grosse-plan-iwf-kredite-als-mittel-zur-ausbeutung-der-voelker/

Wie war es bei den Griechen? Wurde dort über Ihren Verhältnissen gelebt und damit Schulden angehäuft. Spielte da die Gier eine Rolle? Wie unterscheidet sich die Gier der Griechen zu der Gier der Deutschen? Faulheit oder in der Gier getriebenen Tücke? Welche Absatzmärkte haben unseren Konzernen Profit eingebracht und die Lorbeeren der unstillbare Gier eingefahren?

Für mich spricht alles für ein kapitalistisches System und eine Gesellschaft die dies toleriert und gutheißt.

Natürlich leben wir in Kapitalismus. Du berufst dich konsequent auf eine Quelle - auf Adam Smith - und behauptest, es sei DER Gründer des Kapitalismus, und sein Werk das einzig ausschlaggebende. Er ist aber nur ein Theoretiker gewesen, der die sich entwickelnden Zustände zu beschreiben begann. Es gibt viele Definitionen und Erwähnungen, und die Grundrichtung des Kapitalismus beinhaltet auch die von Smith begründete soziale Marktwirtschaft. Mag sein dass man das ganze anders nennen kann, anders in seine Unterarten einteilen könnte, aber die allgemeingültige Definition eines Systemes, in dem die Produktionmittel in privater Hand sind (nach Marx), der Markt durch angebot/nachfrage reguliert wird (nach Smith) und die Akkumulation des Kapitals als Nebeneffekt auftritt, ist in der heutigen Zeit definitiv erfüllt.

Ich bin fest überzeugt, dass Smith der Gründer des Kapitalismus ist. Oder anders ausgedrückt: für mich ist Kapitalismus das Buch von Smith. Er erklärt den Menschen, den Markt und die Herausforderungen (die Gier). 

Die Grundidee vom Kapitalismus bzw. von Smiths Idee ist heute gegeben, aber sie wurde leider nicht umgesetzt, oder konnte leider nicht umgesetzt werden, da er Markt bzw. die Teilnehmer dies zugelassen haben, und ich glaube, dass Smiths Fehler vielleicht daran lag - er glaubte, das der Markt schlau genug sei, um solche Probleme lösen zu können.

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Nein! Zum Glück nicht! Wir leben in einer (sozialen) Marktwirtschaft und Angebot und Nachfrage regulieren die Preise. Im (realen) Kapitalismus profitieren letztlich nur die Superreichen, Leistung lohnt sich für den Otto-Normalverbraucher nicht, es sei denn nach "Radfahrermethode" (nach oben buckeln, nach unten treten) mit entsprechendem "Feedback" im Leben.....

Tuedel, erstmal vielen Dank, dass Du auch hier meine Fragen und Anregungen beantwortest bzw. dein Beitrag dazu leistest.

Adam Smith, der Gründer dieses Wirtschaftssystemes (Kapitalismus), schreibt in seinem Buch, dass Kapitalismus nur funktionieren kann, wenn die Bevölkerung daran teilhat, das sei die wichtigste Grundlage des Kapitals. Adam Smith schreibt auch, dass der Staat nicht eingreifen sollte, da eine unsichtbare Hand (die Marktteilnehmer) alles regeln würden.

Smith schreibt auch, dass jeder Milliardäre oder Millionär werden kann, aber sozial agieren muss, damit das System funktioniert, denn die Grundlage sei die Bevölkerung. Ein weiterer Kapitalist war Henry Ford, der seine Mitarbeiter mehr Lohn zahlt, obwohl sie schon viel verdienten, weil er (Henry Ford) der Meinung war, dass nur so der Wohlstand der Nation steigen könne, und somit das Kapital.

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@BenjaminGraham

Adam Smith schreibt auch, dass der Staat nicht eingreifen sollte, da eine unsichtbare Hand (die Marktteilnehmer) alles regeln würden.

Da hat Adam Smith bis zu einem gewissen Grad recht. Allerdings sollte der Staat schon gegen Monopole oder Kartelle vorgehen können, wenn diese ihre Preispolitik zu sehr nach eigener Gewinnoptimierung ausrichten (an den Haaren herbeigezogenes Beispiel: Der Liter Cola für 16,30 € beim Discounter mangels Mitbewerber).

Dass jeder Millionär/Milliardär wird hatten wir ja schon.....Ende WK1 bis Mitte 1920er Jahre....brauchen wir also nicht! "Wohlstand für Alle" ist eher ein Statement von und für Sozialisten (ich zweifele nicht an, dass dieser Wortlaut von Henry Ford stammt, jedoch, dass er sich der Bedeutung bewußt war) und auch kein wirklich machbares Finanzsystem. Ich denke, so wie es ist, ist es schon ganz gut (verbessern lässt sich natürlich immer etwas...). Niemand **m̲̲u̲̲s̲̲s̲** verhungern, wer Leistung erbringt wird entsprechend entlohnt.....

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@tuedelbuex

Da hat Adam Smith bis zu einem gewissen Grad recht. Allerdings sollte der Staat schon gegen Monopole oder Kartelle vorgehen können, wenn diese ihre Preispolitik zu sehr nach eigener Gewinnoptimierung ausrichten (an den Haaren herbeigezogenes Beispiel: Der Liter Cola für 16,30 € beim Discounter mangels Mitbewerber).

Ich glaube für Smith gab es im Kapitalismus kein Monopol, da dies andere Marktteilnehmer nicht erlauben würden, in dem Fall der Staat.

Dass jeder Millionär/Milliardär wird hatten wir ja schon.....Ende WK1 bis Mitte 1920er Jahre....brauchen wir also nicht!

Nein, Du hast mich falsch verstanden, nach Smith und ich gebe ihm Recht, sollte jeder die Möglichkeit haben Millionär oder Milliardär zu werden, also Smith hat wohlhabende Menschen nicht als Feind betrachtet, was im Kommunismus anders ist. Dort wird Vermögen vom Staat enteignet, dies hat Smith ausgeschlossen. Smith war es aber auch klar, das nicht jeder Milliardär werden kann, das ist für den Wohlstand der Nation auch nicht wichtig.

"Wohlstand für Alle" ist eher ein Statement von und für Sozialisten

Nein, das ist eigentlich, mehr oder weniger, in einer bisschen anderen Bedeutung kapitalistisch. Smith und sein Buch sind älter als die Idee vom Sozialismus, die vor allem mit Karl anfing.

Ich denke, so wie es ist, ist es schon ganz gut (verbessern lässt sich natürlich immer etwas...). Niemand m̲̲u̲̲s̲̲s̲ verhungern, wer Leistung erbringt wird entsprechend entlohnt.....

Das System ist auch nicht schlecht, aber es ist kein Kapitalismus. Wenn wir im Kapitalismus leben würden, dann hätten wir viel mehr Wohlstand, und das ohne Inflation :-)

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@tuedelbuex,

"Marktwirtschaft" ist ein beschönigender Euphemismus für "Kapitalismus" und "sozial" für seine Gestaltung durch z.B. Tafeln und Suppenküchen, um den sozialen Frieden zu sichern.
Den Raubtierkapitalismus von vor über 200 Jahren haben wir nicht mehr, aber der Trend dahin lässt sich nicht verbergen. Man verzögert und verschleiert ihn nur, indem man bei Aufmüpfigkeiten immer mal wieder einen Wohltätigkeitsbrocken locker macht, dafür klammheimlich andere wieder verschwinden lässt und  mit schöner Regelmäßigkeit die Massen erst einmal zum Schweigen bringt. Dieser Kreislauf ist ein Merkmal unserer Marktwirtschaft, unseres ganz speziellen Kapitalismus'.

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@Utyos

Wir haben Presse und Meinungsfreiheit und das ist gut so. Von "Massen zum Schweigen bringen" kann keine Rede sein. Die Massen bringen sich schon selbst zum Schweigen mit Handy, Internet, Fernsehen und anderen selbstgewählten Drogen.

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In der Tat sieht die klassische Variante des Kapitalismus bei den größten Geschäften nicht etwa das Prinzip "Vergesellschaftung der Kosten" - "Privatisierung der Gewinne" vor. Du hast Recht: Man muss das anders nennen. Allerdings deckt die ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee der Wucherungen des "Monopols" schon einiges ab ...

Selbstverständlich kann man wahrscheinlich nicht mehr alles, eins zu eins, übernehmen, aber, ich denke, dass wir die Grundlagen übernehmen könnten. Das ist Kapitalismus. Adam Smith wusste ganz genau, dass irgendwann die Gier der Menschen die Grenzen überschreiten wird (die heutige Situation), der Staat hat hier versagt, nicht die Marktteilnehmer.

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@BenjaminGraham

 der Staat hat hier versagt, nicht die Marktteilnehmer.

Doch! Es sind die Marktteilnehmer, die durch ihre Gier versagt haben. Der Staat hat nur versäumt (oder wurde durch die Marktteilnehmer durch Wahlen und/oder Lobbyismus z.B.) daran gehindert , einzugreifen...

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@tuedelbuex

Nein, die Marktteilnehmer sind Menschen und Menschen sind von Natur aus gierig, daran ist es auch nichts falsches. Adam Smith schreibt, dass der Wohlstand der Nation von der Gier jedes einzelnen Markteilnehmers abhängt. Das ist auch völlig richtig.

Der Staat bzw. die Regierung haben versagt, da sie nicht eingegriffen haben. Lobbyismus oder Wahlen, das sind ehrlich gesagt nur Ausreden für die betriebene Politik.

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